Zweite Bundesliga:Ein einziges Schneckenrennen

Arminia Bielefeld - Dynamo Dresden

Will denn keiner Aufsteigen? Bielefelds Konstantin Kerschbaumer schreit seinen Frust heraus.

(Foto: dpa)

Von SZ-Autoren

Platz 1: 1. FC Nürnberg (45 Punkte)

Bereits in den vergangenen Jahren war der 1. FC Nürnberg eine Bereicherung für die Bundesliga, regelmäßig bildete er Spieler aus, die er dann verkaufte, um die eigene Finanzlage zumindest vorübergehend zu stabilisieren. Besonders gerne hat sich im jährlichen Winterschlussverkauf der FC Schalke 04 bedient, er holte aus Nürnberg Guido Burgstaller, Alessandro Schöpf und zuletzt Cedric Teuchert. In Zukunft würde der "Club" die Bundesliga gerne wieder etwas direkter bereichern, und das zeigt sich auch an der Transferpolitik.

Am Wochenende gab der Verein U 20-Nationalspieler Törles Knöll als ersten Zugang zur kommenden Saison bekannt. Der Mittelstürmer hat in dieser Saison in der Regionalliga Nord in 16 Spielen 15 Treffer erzielt, und Törles Knölls Tore sollen in der nächsten Spielzeit dem 1. FC Nürnberg den Klassenverbleib in der Bundesliga sichern "Ich bin zuversichtlich, dass wir eine erfolgreiche gemeinsame Zeit haben werden", sagte Knöll, der erste Eindruck vom Club sei "richtig gut" gewesen. Dazu muss man allerdings auch wissen, dass der 20-Jährige aus der zweiten Mannschaft des Hamburger SV kommt. Benedikt Warmbrunn

Platz 2: Fortuna Düsseldorf (44 Punkte)

Die Wutrede hat in der Trainerbranche Tradition. Giovanni Trapattoni wetterte 1998 gegen "Struuunz", Bundestrainer Rudi Völler 2003 gegen seinen Interviewer "Waldi" Hartmann - und Klaus Augenthaler 2007 mit einem 42-Sekunden-Boykott-Monolog gegen die Medien; Thomas Doll lachte sich 2008 über die Presse "den Arsch ab", und Bruno Labbadia beschloss 2012, Trainer seien "keine Mülleimer". Trainer produzieren viel Cortisol, ein Stresshormon, von dem Friedhelm Funkel noch nie etwas gehört hat. Funkel ist der Zen-Meister unter den Trainern. Als seine Fortuna ausgangs der Hinrunde sechs Spiele nicht gewann, sagte er nach einer 0:2-Heimniederlage zu den betrübten Düsseldorfer Journalisten: "Warum gucken hier denn alle so bedröppelt? Es ist doch nichts passiert. Das wird schon wieder. Kopf hoch!" Die nächsten vier Spiele gewann Fortuna: Mutrede statt Wutrede. Mittlerweile hat die Fortuna aber schon wieder drei Spiele nicht gewonnen, zuletzt wurde in Regensburg eine 3:0-Führung verspielt (3:4). Jetzt ist wieder der Zen-Meister gefragt. Die Fortuna hat den Funkel in den Augen, alle glauben fest an den Aufstieg. Ulrich Hartmann

Platz 3: Holstein Kiel (37 Punkte)

Marvin Ducksch hat am Wochenende sein 13. Tor geschossen. Es war ein besonders schönes Tor gegen seinen eigenen Klub. Denn Ducksch ist von St. Pauli nur ausgeliehen an Holstein Kiel, den Tabellendritten. Verloren haben die Kieler dann doch, mit 2:3. Ducksch fühlt sich in Kiel sehr wohl, so wohl, dass er am liebsten über den Sommer hinaus an der Ostsee bleiben würde. Und so jubelte er über seinen Treffer, als habe er ihn gegen den ärgsten Feind erzielt. Aber ob er, sollte er in Kiel bleiben, Erstliga-Profi wird, das bleibt fraglich.

Vielleicht auch deshalb, weil die in der Hinrunde zu spürende Aura des Aufstiegstrainers Markus Anfang seit Wochen nicht mehr reicht, um mehr als einen Punkt zu erspielen. Und ob der Lieblingscoach Anfang im Sommer überhaupt noch da ist, gilt auch als offen. Nach dessen Erfolgen - erst Aufstieg in die zweite Liga, dann dort Herbstmeister - interessieren sich größere Vereine für ihn als Kiel (etwa der 1. FC Köln). Noch aber können die Kieler zumindest sportlich ein paar Antworten auf dem Platz geben. Zum Beispiel mit einem Sieg im nächsten Spitzenspiel gegen den punktgleichen MSV Duisburg. Jörg Marwedel

"Schlechtester“ Tabellendritter der zweiten Liga

Seit Einführung der Drei-Punkte-Regel (1995) gab es nur einen Zweitliga-Spitzenreiter mit weniger Punkten nach 24 Spielen - es war 2003/04 ebenfalls der 1. FC Nürnberg (43 Punkte). Holstein Kiel hat sogar den Minusrekord für einen Tabellendritten nach 24 Spielen unterboten. Zweitschwächster Dritter war 1996/97 der VfL Wolfsburg (38 Punkte).

Platz 4: MSV Duisburg (37 Punkte)

Am 27. Mai ist es zehn Jahre her, dass der MSV Duisburg aus der Bundesliga abgestiegen ist. Im Jubiläumsjahr spielt man gerade die beste Saison seit langem. Der MSV ist Tabellenvierter, die Fans sind euphorisch und wissen gar nicht mehr, wie dieses vergessene Gefühl eigentlich heißt. Duisburg könnte wieder etwas ausstrahlen, aber stattdessen lacht ganz Deutschland über eine Flasche: Torwart Mark Flekken, 24, Niederländer, hat jüngst gegen Ingolstadt nicht mitbekommen, dass seiner Mannschaft ein Tor aberkannt wurde. Als der Gegenangriff bereits lief, stand er noch glückselig in seinem Tor, direkt am Netz mit Blick auf die Zuschauer und nahm einen tiefen Schluck aus seiner Pulle. Deshalb hat er das Gegentor weder verhindert noch wahrgenommen. Flekken hat im selben Spiel aber auch einen Elfmeter gehalten, der MSV siegte noch 2:1. Der Torwart kann jetzt also über alles lachen, will während des Spiels aber nichts mehr trinken. Flekken will sich vom bösen Flaschen-Geist befreien. Also wird die Flasche für einen guten Zweck versteigert - und beim MSV träumen zehn Jahre nach dem Abstieg alle von der Bundesliga. Ulrich Hartmann

Regenburg, Sandhausen, Union, Bielefeld

Platz 5: Jahn Regensburg (36 Punkte)

In der Fußballlehrer-Ausbildung zählt es zu einer der wichtigen Aufgaben, dass Trainer eine sogenannte Philosophie niederschreiben. Man kann sich vorstellen, dass so mancher Teilnehmer das belächelt hat - und muss unweigerlich an Mehmet Scholl denken. Andere wiederum haben es ernst genommen - und zu denen zählt bestimmt Achim Beierlorzer. Es ist seine Idee von Fußball, dass Abwarten stets falsch und Angreifen immer richtig ist: den Ball so schnell wie möglich zurückgewinnen, immer mit Karacho drauf.

Es ist kein Zufall, dass das sehr nach RB Leipzig klingt, dort hat Beierlorzer drei Jahre lang gearbeitet. In Regensburg, wo er im Sommer auf Heiko Herrlich folgte, darf er seine Philosophie ausleben, schon sein Vorgänger ließ ähnlich spielen. Nach anfänglichen Akklimatisierungsschwierigkeiten in der neuen Liga rast der Aufsteiger nun auf die Aufstiegsplätze zu, immer auf der Jagd nach dem Extrem, kein Team hat weniger Unentschieden gespielt. Beierlorzer, noch bis 2019 beurlaubter Mathematik- und Sport-Lehrer, will aber nicht vom Aufstieg reden. Understatement lernt man sicher auch in der Fußballlehrer-Ausbildung. Sebastian Fischer

Platz 6: SV Sandhausen (35 Punkte)

Im Mai 2012 gelang dem SV Sandhausen erstmals der Aufstieg in die zweite Liga, kaum einer rechnete damals damit, dass der Dorfverein Zeit haben würde, dort heimisch zu werden. Nach sechs Jahren sind die Sandhäuser immer noch da, und sie spielen ihre bislang beste Saison. Dazu mussten sie sich nicht einmal verändern, der Klub spielt so, wie er schon in der dritten Liga gespielt hat: hinten nichts zulassen, dann wird vorne schon einer reinfallen - mit 21 Gegentoren stellt Sandhausen die beste Defensive der Liga. Kenan Kocak, seit 2016 der Trainer, hat diese Taktik um eine Facette erweitert: Er lässt seine Angreifer den Gegners früh stören, erzwingt so das Vornereinfallen.

Zuletzt signalisierten mehrere Bundesligisten Interesse an Kocak. Auch, weil dieser zögerte, seinen Vertrag zu verlängern - es ging um die Höhe der Ausstiegsklausel. Inzwischen hat er bis 2020 verlängert, das Interesse dürfte dennoch bleiben. Als Kocak vor zwei Jahren beim SV Waldhof verlängerte, unterschrieb er 14 Tage später in Sandhausen. Zumindest die Heimat des Trainers dürfte also irgendwann in der Bundesliga liegen. Julian Budjan

1. FC Union Berlin - SV Sandhausen

Die Vereinsführung will Union zu den 20 besten Klubs der Republik zählen. Die Fans können sich auf jeden Fall darüber freuen, schon viele Jahre zu den besten 36 zu gehören.

(Foto: dpa/Maurizio Gambarini)

Platz 7: Union Berlin (34 Punkte)

Nach der Schlacht sind alle Generäle, sagt der Volksmund. Das gilt auch in Köpenick, dessen berühmtester Soldat in Wahrheit keiner war - und dennoch als Hauptmann bekannt wurde. In Köpenick ist auch der 1. FC Union beheimatet, der nach seinem Selbstverständnis beständig zu den 20 besten Vereinen Deutschlands zählen will. Anfang Dezember waren sie nur unter den 22 besten, das machte die Unioner so nervös, dass sie Trainer Jens Keller abservierten. Eine Köpenickiade mit Folgen: Zurzeit sind sie nur unter den 27 besten Klubs des Landes zu finden, zwischenzeitlich waren sie sogar bloß unter den "Top 30".

Wie gesagt: Das hätte man alles vorher besser wissen können. In jedem Fall stehen nun die Chancen gut, dass sie den Titel als Zweitliga-Dino behalten: Union ist seit 14 Jahren und damit länger als jeder andere zweitklassig. Die Gefahr, dass die Köpenicker eine Digital-Uhr ticken lassen wie der Erstliga-Dino Hamburger SV, um die Ligazugehörigkeit sekündlich zu aktualisieren, ist überschaubar. Die Anschaffung lohnt nicht, weil: Aufsteigen wollen sie schon irgendwie. Oder irgendwann. Nur halt jetzt gerade nicht. Javier Cáceres

Platz 8: Arminia Bielefeld (34 Punkte)

Den berühmtesten Namen der Arminia Bielefeld gibt es offiziell schon lange nicht mehr: Den hatte immer das Stadion, die Bielefelder Alm, die zum Kulturschatz der Bundesliga gehört, obwohl sie ja nicht einmal der höchste Punkt der Stadt ist (das ist der 320 Meter hohe Berg Auf dem Polle). Seit 2004 ist die Bielefelder Alm nach einem Bauzulieferanten benannt, ein Erstligastadion blieb sie dadurch nicht lange; seit 2009 pendelt die Arminia nur noch zwischen der zweiten und der dritten Liga hin und her. Keine große Rolle im Aufstiegskampf spielt das Stadion im Status eines Kulturerbes, nur fünf Zweitligisten gewannen zu Hause weniger Punkte. Und in dieser Woche trainierte das Team aus weitestgehend unbekannten Spielern sogar auswärts, da der Rasen auf dem Trainingsgelände gefroren war. Eine Rasenheizung gibt es dort nicht, so viel Tradition darf dann schon noch sein. Benedikt Warmbrunn

St. Pauli, Ingolstadt, Heidenheim, Dresden

Platz 9: FC St. Pauli (34 Punkte)

Der Gelsenkirchener Markus Kauczinski dürfte kundig sein in der Geschichte des Fußballs im Ruhrgebiet. Man kann ihm nur wünschen, dass er sich an Rudi Gutendorf erinnert hat, als er im Dezember einen Vertrag beim damals abstiegsbedrohten FC St. Pauli unterschrieb. Die Legende von Gutendorf geht so, dass er 1963 als Trainer des Meidericher SV eine Nicht-Abstiegsprämie von 5000 Mark angeboten bekam, aber lieber eine Meisterprämie über 100 000 und eine für Platz zwei über 50 000 Mark aushandelte.

Gutendorf wurde erst belächelt, aber Duisburg danach sensationell Bundesliga-Zweiter. Vertragsdetails aus St. Pauli sind nicht bekannt, aber ein ähnliches Szenario wäre möglich: Kauczinskis Mission begann auf Rang 14 mit Blick nach unten - doch plötzlich, es brauchte nur ein paar Siege, beträgt der Rückstand auf Rang drei noch drei Punkte. Sportdirektor Uwe Stöver weiß: In der Liga "entscheiden meist nur Nuancen". Sebastian Fischer

Platz 10: FC Ingolstadt (33 Punkte)

Erfolgreiches zu exportieren, hat sich in Ingolstadt bewährt, anders hätten die hiesigen Autobauer nie eine Weltmarke erschaffen. Im Fußball ist daraus nun ein Problem geworden: Pascal Groß, früher beim FCI, ist seit Sommer in der Premier League erfolgreich, als Torschütze und Vorbereiter in Brighton - und wird in genau dieser Funktion in Ingolstadt vermisst. Der FCI hat einen der besten Kader der Liga, wird in die Favoritenrolle gedrängt und zum Ballbesitz gezwungen - kann damit aber wenig anfangen. Unter Trainer Stefan Leitl folgte nach dem Fehlstart in die Saison ein Aufschwung, in der Winterpause sprach Ingolstadt vom Aufstieg - und gewann bisher nur noch einmal. Es fehlt an Kreativität vorm Tor, bester Torschütze ist Sonny Kittel, ein Mittelfeldspieler. Vielleicht hätte ein Import geholfen? Doch für die Offensive wollte der FCI im Winter kein Geld ausgeben. Es kam nur Patrick Ebert, ablösefrei. Er konnte bislang nicht helfen. Sebastian Fischer

Platz 11: 1. FC Heidenheim (33 Punkte)

Für ein Fußballteam ist es normalerweise nicht so praktisch, wenn es zu sehr von einem Spieler abhängig ist. Dieser Spieler kann sich mal verletzen, er kann in eine Formkrise rutschen oder den Klub wechseln. Die weltweit einzige Ausnahme bildet mutmaßlich der 1. FC Heidenheim, dessen Abhängigkeit vom Offensivspieler Marc Schnatterer aus drei Gründen kein Problem darstellt: Schnatterer ist nie verletzt, seine Formkrisen nimmt er sich, wenn überhaupt, auf hohem Zweitliganiveau, und den Klub wird er eh nie mehr wechseln. Seit fast zehn Jahren spielt der 32-Jährige auf der Ostalb, er ist mit dem Klub durch die Ligen gerauscht, in jeder Liga hatte man das Gefühl, dass Schnatterer zu gut für sie ist. Schnatterer ist der beste Erstligaspieler, der nie in der ersten Liga spielte. Heidenheim ist schlecht in die Saison gestartet, Schnatterer spielte nur gut. Jetzt, da er wieder sehr gut spielt, fehlen nur noch vier Punkte zum dritten Platz. Christof Kneer

Platz 12. Dynamo Dresden (32 Punkte)

"Der Fußball ist die Oper des Volkes", sagte einst Stafford Heginbotham, ein früherer und mittlerweile verstorbener Präsident des englischen Zweitligisten Bradford City. Er muss eine Art Snob gewesen sein, denn auf die Idee, den sprichwörtlichen kleinen Mann und die echte Oper für inkompatibel zu halten, muss man auch erst mal kommen. Erst recht seit der Invasion der Dresdner Semperoper durch 1 200 Anhänger der SG Dynamo. Sie folgten neulich dem Ruf des Künstlers Andreas Mühe, der die Ultras in voller Montur und vermummt im Konzerthaus ablichten wollte; die Kurvenfahne zierte den Balkon des 1. Ranges. Das Foto schmückt nun die "Saisonbroschüre 2018/19" - aber nicht die der SGD, sondern jene der Semperoper. Sie konnte schon in Druck gehen, weil sie anders als die SGD Planungssicherheit hat. Dynamo kann theoretisch noch auf-, aber auch absteigen. Bei der Semperoper darf man davon ausgehen, dass sie erstklassig sein wird. Javier Cáceres

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