Zweite Bundesliga:Der Hausmeister räumt auf

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Vor dem Saisonbeginn gegen Paris hat es Nürnbergs Trainer Damir Canadi nicht leicht, seine Spielidee zu ver­mitteln.

Von Sebastian Fischer

Es war vor ein paar Tagen in Maria Alm in Österreich, als Damir Canadi erstmals so richtig merkte, mit was für einem Verein er es nun zu tun hat. Der 1. FC Nürnberg trainierte zum letzten Mal im Trainingslager, zahlreiche Fans schauten zu, und dann sangen sie die Vereinshymne. "Da hatte ich schon ein Gänsehaut-Gefühl", sagt Canadi, der neue Trainer. Den Text kenne er noch nicht, "ich bin mit anderen Dingen beschäftigt". Auch das gehört zum Job bei diesem Klub dazu, über den ihm in den Einstellungsgesprächen angeblich niemand erzählt hat, dass man ihn manchmal einen "Depp" nennt: viel Arbeit, besonders in diesen Tagen.

Als Canadi, 49, im Mai als Nachfolger von Interimstrainer Boris Schommers sowie als jener Mann vorgestellt wurde, dem nach dem Abstieg in diesem Jahr bis spätestens 2021 der Wiederaufstieg in die Bundesliga gelingen soll, da war sein Name kaum bekannt: ein Wiener, der nächste Österreicher im deutschen Profifußball, der vorher einen Verein namens Atromitos Athen in den Europapokal geführt hatte. An diesem Samstag, ziemlich genau zwei Monate später, ist der französische Meister Paris zur Saisoneröffnung zu Gast, eine Woche später beginnt die Zweitligasaison für Nürnberg mit einem Auswärtsspiel bei Dynamo Dresden. Und Canadi ist inzwischen jener Trainer, der im Mittelpunkt einiger Veränderungen steht. Er sagt: "Der Umbruch im Verein ist riesig."

Erste Anweisungen: Trainer Damir Canadi (l) und Alexander Fuchs beim Trainingsauftakt des 1. FC Nürnberg. (Foto: Daniel Karmann/dpa)

Flügelspieler Virgil Misidjan fällt mit einem Kreuzbandriss aus, Iuri Medeiros kommt als Ersatz

Von jener Stammelf, die in der Bundesliga-Rückrunde von den eigenen Fans erstaunlich euphorisch begleitet wurde, obwohl sie als Tabellenletzter mit 19 Punkten und einem Torverhältnis von -42 abstieg, ist entgegen der ursprünglichen Pläne von Sportchef Robert Palikuca nur noch ein kleinerer Kern da. Zwar blieben Torwart Christian Mathenia oder Kapitän Hanno Behrens. Doch Offensivspieler Matheus Pereira etwa, der beste Nürnberger der Rückrunde, verabschiedete sich mit einem Beitrag in den sozialen Netzwerken - kurz nachdem Palikuca erklärt hatte, der Brasilianer würde sich im Urlaub überlegen, vielleicht bleiben zu wollen. Innenverteidiger Ewerton und Linksverteidiger Tim Leibold gingen zum Hamburger SV, U21-Nationalspieler Eduard Löwen für die erstaunliche Summe von angeblich sieben Millionen Euro zu Hertha BSC. Am Donnerstag verletzte sich außerdem der Flügelstürmer Virgil Misidjan im Training schwer, mit einem Kreuzbandriss wird er lange fehlen.

Palikuca, der nach seinem Arbeitsbeginn im April gerade seinen ersten Kader als alleine verantwortlicher Vorstand zusammenstellt, kann man allerdings keine Untätigkeit vorwerfen. In Asger Sörensen aus Salzburg und Tim Handwerker aus Köln kamen zwei talentierte Verteidiger, in Oliver Sorg aus Hannover einer mit Erfahrung, fürs offensive Mittelfeld unter anderem der rund 2,5 Millionen Euro teure Nikola Dovedan. Am Freitag gab der Verein zudem die Verpflichtung von Iuri Medeiros, 25, von Sporting Lissabon bekannt. Der Portugiese, früherer U21-Nationalspieler, der zuletzt an Legia Warschau ausgeliehen war und einen Vierjahresvertrag unterschreibt, ist ein offensiver Flügelspieler.

Drei verbliebene Nürnberger: Enrico Valentini, Mikael Ishak und Patrick Erras (v.l.n.r.), die in der Vorsaison mit dem Club aus der Bundesliga abgestiegen sind. (Foto: Sebastian Widmann/Bongarts/Getty Images)

Medeiros ist insgesamt der zehnte Zugang, zumindest wenn man einen Nachwuchsspieler aus der zweiten Mannschaft mitzählt, der Fabian Nürnberger heißt, was dem FCN schon mal einen Beitrag in der Kategorie "Fußballer mit Supernamen" des Magazins 11Freunde sicherte. Zwar scheiterte die Verpflichtung des früheren FC-Bayern-Assistenztrainers Peter Hermann, doch auch im Stab sind die meisten Mitarbeiter neu. Palikuca hat weitere Zugänge für die Stammelf angekündigt. Und dann ist da natürlich noch Canadis Spielsystem, das ebenfalls neu ist. "Dass ständig Neuzugänge kommen, erleichtert es auch nicht, die richtige Formation zu finden", sagt er.

Beim 1:2 im Testspiel gegen Rapid Wien vor einer Woche, das als Generalprobe galt und Palikuca wegen zu wenig Aggressivität in den Zweikämpfen nicht ganz so gut gefiel, Canadi aber zumindest in der ersten Halbzeit zufriedenstellte, spielte Nürnberg mit einer Dreierkette in der Abwehr und Mikael Ishak als einzigem Stürmer. Der Trainer probte im Trainingslager auch ein System mit Viererkette und zwei Angreifern. Außerdem fordert er Mut und aktive Spielgestaltung von seinen Spielern. Er will hohes Pressing sehen, und nach Balleroberungen schnelles Spiel in die Tiefe statt Querpässen - also so ziemlich das Gegenteil des Außenseiterfußballs eine Liga höher in der vergangenen Rückrunde, als der Weg zum gegnerischen Tor manchmal wirkte wie eine schier unüberbrückbare Distanz. "Nicht zu viel Respekt zu haben, mutig zu bleiben, das ist wichtig", sagt er auch zur Zielsetzung gegen den ungewöhnlichen Testspielgegner Paris. Logisch, dass das Umgewöhnung für die Spieler bedeutet.

Wenn Canadi erzählt, woran er mit der Mannschaft gerade am meisten arbeitet, dann sagt er: "ein gemeinsames Denken auf den Platz zu bekommen". Das fängt offenbar bei ziemlich grundlegenden Dingen an. Ein Schwerpunkt lag demnach zuletzt darauf, wie die Spieler miteinander sprechen. Canadi drückt es so aus: "Es kann passieren, dass einer mal die Situation verschläft oder unmotiviert die Position verlässt. Da ist es schon wichtig, wenn einer sagt: Hey, bleib hier." Seine Spielidee ist auf 59 bunten Power-Point-Folien zusammengefasst, die der Bund Österreichischer Fußball-Lehrer nach einem Vortrag Canadis vor einem Jahr auf seiner Internetseite veröffentlicht hat. "MOTIVATION und GLAUBE = Erfolg" steht auf Seite 3.

Er war kein außergewöhnlich erfolgreicher Profi, in seiner Trainerkarriere hatte er mit den Außenseitern SCR Altach und Athen großen Erfolg, bei Rapid Wien wurde er 2017 nach rund sechs Monaten wieder entlassen. Und doch ist es auch seine Vita, die ihn auszeichnet. 15 Jahre lang, noch während des Beginns seiner Trainerkarriere, arbeitete Canadi als Hausmeister. Den Tag, an dem er den Job für den Fußball aufgab, kann er nennen, ohne nachzudenken: 1. August 2008. Als Ausweis seiner Werte erzählt er zudem gern die Geschichte, wie er seinem Sohn Marcel, inzwischen 21 und Fußballprofi in Lustenau, die Armani-Jacke zerschnitt, weil er vor anderen Kindern damit angab.

Canadi deutet an, dass die Mannschaft noch etwas Zeit braucht. Um einen Systemwechsel während des Spiels zu verinnerlichen, einen Plan B zu perfektionieren, "wird die Vorbereitungszeit nicht reichen". Doch seine Zeit in Nürnberg begann auf jeden Fall schon mal besser als bei Rapid, dem ersten großen Klub, den er trainierte und scheiterte. Damals, so hat Canadi es erzählt, setzte sich schon in der ersten Trainingswoche ein Spieler während einer seiner taktischen Ansprachen mit dem Handtuch vor dem Gesicht in den Spind und sagte, er werde sowieso spielen, wie er will.

In Nürnberg, sagt Canadi, haben ihm bislang alle zugehört.

© SZ vom 20.07.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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