Zweitbeste Rückrunden-Elf:Wie Stuttgart die Bundesliga verblüffte

Bayern München - VfB Stuttgart

Hier kommt der Rückrundenzweite: Stuttgart beendet eine beeindruckende Rückserie mit einem Auswärtssieg in München - im Bild Torschütze Daniel Ginczek.

(Foto: Andreas Gebert/dpa)
  • Der VfB Stuttgart schlägt den FC Bayern vor dessen Meisterfeier 4:1.
  • Die Entwicklung der Schwaben ist die verblüffendste Geschichte der Bundesliga.
  • Dank Trainer Tayfun Korkut dürfen die Stuttgarter sogar von der Europa League träumen.

Von Matthias Schmid

Holger Badstuber hatte sich aus alter Gewohnheit verlaufen, er trottete am Samstagnachmittag zunächst Richtung Südkurve in der Fröttmaninger Arena, wo die treuesten Bayern-Fans stehen. Der Innenverteidiger umarmte auf dem Weg Thiago, als er dann irgendwann merkte, dass ihm kein Mitspieler gefolgt war, stoppte er ab und lief in den Norden der Arena, wo die Menschen standen, die mit dem VfB Stuttgart sympathisieren. Sechs Meistertitel hatte der 29-Jährige ja mit dem FC Bayern errungen, mehr als 14 Jahre für den Klub seine anfälligen Muskeln und Knochen hingehalten. Da kann man schon mal durcheinander kommen, wenn man als Auswärtsmannschaft mit 4:1 in München gewinnt. "Das war super", schwärmte Badstuber hinterher und sprach von "schwierigen Zeiten", die überstanden werden mussten.

Was er über seine persönliche Bilanz in dieser Spielzeit erzählte, hätte er auch über den VfB sagen können. Zu einhundert Prozent. Badstuber und die Stuttgarter blicken auf eine Runde zurück, die ihnen kaum jemand zugetraut hatte. Mit ihrem ersten Erfolg in München seit 2010 schlossen sie die Rückrundentabelle auf dem zweiten Platz ab, nur der FC Bayern holte mehr Punkte (43) als der VfB (34), der dafür zwei Gegentore weniger hinnehmen musste. Dass die Schwaben die Saison als Aufsteiger auf dem siebten Tabellenplatz beenden, ist die erstaunlichste Geschichte in der Bundesliga. Als Sportvorstand Michael Reschke Ende Januar Tayfun Korkut als Nachfolger von Hannes Wolf gegen alle öffentlichen Widerstände präsentierte, steckte die Mannschaft noch im Abstiegskampf, nun nach gut drei Monaten fehlt nur noch der Pokalsieg des FC Bayern, damit der VfB in der nächsten Saison in der Europa League auflaufen darf.

Trainer Korkut lässt die Kritiker verstummen

"Wir waren auch so erfolgreich, weil wir in Ruhe arbeiten konnten", hob Badstuber hervor. Sie ließen sich von der aufgeregten Öffentlichkeit nicht irritieren, die Korkut zunächst ablehnte, ja sogar feindselig gegenüberstand. Doch der Deutschtürke aus Stuttgart hat es mit seinem pragmatischen Spielansatz geschafft, aus einem verunsicherten Haufen eine selbstbewusste Mannschaft zu formen, die seinen Vorgaben voll vertraute. Korkut erhob die seriöse Verteidigung zu seiner höchsten Maxime. Mitunter mussten alle zehn Spieler verteidigen, inklusive seiner beiden Stürmer Daniel Ginczek und Mario Gomez, die er anders als sein Vorgänger gemeinsam aufbot. Er vereinfachte das VfB-Spiel auf radikale Weise, lange Bälle auf seinen sogenannten Ochsensturm sollten seine Spieler schlagen. Was auf den ersten Blick ziemlich destruktiv wirkte, war letztlich die passende Spielweise für den VfB, allein Gomez schoss acht Tore in 16 Partien.

"Wir spielen als Mannschaft ruhig und sachlich", sagte Christian Gentner nach dem Coup in München. Und diesmal schickte Korkut eine Elf auf den Rasen, die auch das Spielerische betonte. Seine Aufstellung mit den fußballerisch hochbegabten Anastasios Donis und Chadrac Akolo folgte keinen neuen Erkenntnissen, sondern war eher aus der Not geboren, weil wichtige Spieler fehlten, Dennis Aogo (gelbgesperrt) oder Gomez (am Freitag Vater geworden). Es war eine offensive Aufstellung, die nichts Gutes für das Spiel gegen München erahnen ließ, weil Korkut Ginczek zum Beispiel auf ungewohnter Position über die linke Seite stürmen ließ und Akolo als einzige Spitze aufbot. "Ich war von dem Plan auch überrascht", gab Reschke zu, um hinterher genüsslich festzustellen: "Er ist voll aufgegangen."

Vier Siege im Endspurt

Bereits nach vier Minuten war der VfB in Führung gegangen, weil Donis an der Mittellinie James den Ball stibitzte und sich mit seiner technischen Klasse und Schnelligkeit auch von Weltmeister Mats Hummels oder Rafinha nicht aufhalten ließ. Im Strafraum angekommen, legte er den Ball präzise zu Ginczek, der nur noch einzuschieben brauchte.

Die List von Korkut beinhaltete noch, dass Ginczek in der Rückwärtsbewegung als fünftes Mitglied den Abwehrverband verstärkte. Vom zwischenzeitlichen Ausgleich von Corentin Tolisso (21.) ließen sich die Stuttgarter genauso wenig irritieren wie von einer Fülle von Bayern-Chancen, die Ron-Robert Zieler mit starken Reflexen parierte; einmal brachte er noch seine Hand bei einem Kopfball von Robert Lewandowski aus zwei Metern an den Ball. Es ist neben Glück auch diese kühle Effizienz, die den Stuttgarter Aufstieg erklärt. Im Endspurt gab es vier Siege in Serie. In den abschließenden drei Saisonspielen in Leverkusen (1:0), gegen Hoffenheim (2:0) und beim FC Bayern hatte der Gegner jeweils die besseren Gelegenheiten - die Tore aber erzielte der VfB. In München markierten noch der flinke Donis (42.), Akolo (52.) und abermals Ginczek (55.) die weiteren Tore. "Ich muss das erst einmal sacken lassen", gab Reschke am Ende zu, "4:1 in München zu gewinnen, klingt ziemlich surreal."

Auch der sonst so pragmatische Trainer Korkut fand für seine zurückhaltende Art fast schon überschwängliche Worte. "Das war bisher das Highlight für uns". Das Pokalfinale zwischen dem FC Bayern und Eintracht Frankfurt will er sich nun entspannt mit einem Glas Rotwein am Fernseher ansehen. Über eine mögliche Europapokalteilnahme in der nächsten Saison will er noch nicht nachdenken. Auch Holger Badstuber wollte darauf nicht groß eingehen. "Wir werden jetzt im Bus richtig feiern", kündigte der ehemalige Nationalspieler an. Am Sonntag hat der Klub einen Brunch angesetzt. "Ich bin gespannt", fügte Badstuber hinzu, "wie wir da beisammen sein werden." Nüchtern werden die VfB-Spieler eher nicht sein.

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