Zwei Goldmedaillen für deutsche Kanuten:Nicht verzagen, Medaillen einfahren

Eine heftige Diskussion über das Abschneiden der deutschen Mannschaft ist in London entbrannt. Viele beklagen mangelnde Förderung und fehlende Konzepte. Von den Kanuten hört man bei Olympia wenig - denn die gewinnen lieber Medaillen. Am Donnerstagvormittag gab es erneut Gold. Und das gleich zwei Mal: im Zweier-Canadier der Männer und im Zweier-Kajak der Frauen.

Jürgen Schmieder, Eton Dorney

Peter Kretschmer und Kurt Kuschela paddelten einfach weiter. Das aserbaidschanische Duo war ihnen im Finale des Zweier-Canadiers über 1000 Meter enteilt. Weit enteilt sogar. Mehr als eine halbe Bootslänge hatten Kuschela und Kretschmer bei der Hälfte der Strecke Rückstand, es sah eher nach einem Rennen um Platz zwei aus, doch sie paddelten und paddelten - und holten auf: einen Meter, noch einen Meter, noch einen Meter. Plötzlich, 300 Meter vor dem Ziel, da waren die Boote gleichauf.

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Holten das erste Gold für Deutschland am Donnerstag: Peter Kretschmer und Kurt Kuschela im Zweier-Canadier.

(Foto: AFP)

"Ich war so in Trance", sagte Kuschela nach dem Rennen, "die Hälfte war schnell vorbei." Kollege Kretschmer ergänzte: "Als wir an die Aserbaidschaner herangeflogen sind, das hätten wir nicht gedacht." Die beiden paddelten weiter, sie hatten einen Meter Vorsprung, und ein paar Meter vor dem Ziel waren es Kretschmer und Kuschela, die mehr als eine halbe Bootslänge vorne lagen - also hoben sie ihre Paddel in die Luft und glitten über die Ziellinie. Sie wussten: Diesen Sieg kann ihnen niemand mehr nehmen.

"Diese Lässigkeit ist vielleicht noch da, wenn man die ersten Olympischen Spiele fährt", sagte Trainer Kay Vesely danach, "wir nennen sie die jungen Wilden. Sie sind locker drauf, und das ist vielleicht das, was man braucht, um auch locker zu einem Rennen zu fahren." Der Endspurt sei so geplant gewesen: "Wir haben im Training versucht, ökonomisch über die Strecke zu gehen, dann hat man nach 750 Metern noch Kraft, so einen Endspurt zu fahren." Sie haben sich dezent zurückgehalten und dann, dann haben sie Gold gewonnen.

Gleich im ersten Wettbewerb am Donnerstag erreichte die deutsche Mannschaft die Goldmedaille - an einem Tag, an dem in London nicht wenige Menschen über das Abschneiden der deutschen Olympiamannschaft sprechen. Es ist eine Diskussion entbrannt über Förderung, Vermarktung, Zielvorgaben.

Man kann kaum ein Gespräch mit einem Athleten führen, ohne spätestens bei der vierten Frage Klagen zu hören - die Vorwürfe sind meist die Gleichen: zu wenig Geld, verkrustete Strukturen, kein Konzept. BMX-Fahrer Luis Brethauer nannte die Bedingungen in Deutschland "grottenschlecht" und forderte den Bau einer Trainingsstrecke, weil es hierzulande keine einzige gebe, während die Amerikaner einfach den Londoner Kurs in Kalifornien aufgebaut haben, damit ihre Athleten trainieren können. Die Hockey-Frauen beklagten mangelnde Förderung, Badmintonspielerin Juliane Schenk lieferte sich mit ihrem Verband eine regelrechte Schlammschlacht. Volleyballer Georg Grozer kritisierte ungenügende Vermarktung. Robert Harting, Olympiasieger im Diskuswurf, sagte nach seinem Erfolg: "Wir vergleichen uns in der Wirtschaft mit sämtlichen Ländern. Warum sollen wir uns nur in der Sportförderung nicht mit anderen vergleichen dürfen? Jeder redet über Geld, aber wenn Sportler es tun, bekommen sie einen übergezogen."

Bahnradsprinter Maximilian Levy, der in London Silber im Keirin und Bronze im Teamsprint gewonnen hatte, sagte: "Von der Förderung her sind wir hoffnungslos unterlegen. Wir schaffen es nur über unsere deutsche Disziplin, dranzubleiben. Im ganzen deutschen Sportsystem muss sich etwas grundlegend ändern. Die Frage ist doch: Will die Gesellschaft sportlichen Erfolg - oder will die Gesellschaft nur Fußball und Formel 1 gucken?"

Nur von den Ruderern und Kanuten ist erstaunlich wenig zu hören. Nachdem der Achter die Goldmedaille geholt hatte, verkündeten die acht Gewinner, dass sie ganz zufrieden wären, sie nicht von einer großartigen Vermarktung ausgingen und sich nun wieder dem Studium widmen würden. Thomas Konietzko, Präsident des Kanu-Verbandes, sagte zur Debatte gar: "Kein Präsident wird behaupten, wir haben zu viel Geld. Es ist aber genügend Geld im System. Wir stellen hohe Ansprüche lieber an uns selber."

"Das ist so unfassbar"

Jens Perlwitz, Präsident des Hessischen Kanuverbandes, sagt: "Natürlich könnten unsere Trainer im Ausland viel mehr Geld verdienen, aber bei uns gibt es dieses Gemeinschaftsgefühl - und Sie sehen, dass unsere Athleten auch ganz oben stehen." Doch auch er werde nun Werbung machen, dass die Trainer endlich mehr Geld bekommen.

Olympics Day 13 - Canoe Sprint

"Wir wollten einfach nur ein perfektes Rennen fahren, und das ist uns mehr als gut gelungen": Auch die Kanutinnen Tina Dietze und Franziska Weber gewinnen Gold.

(Foto: Getty Images)

Die Kanuten sind neben den Radfahrern und Ruderern die Athleten, die derzeit bei den Olympischen Spielen in London die Bilanz der deutschen Mannschaft aufhübschen. Die Slalom-Kanuten hatten zwei Medaillen geholt (Konietzko: "Damit haben wir unser Ziel erreicht."), die Sprinter sorgen jeden Tag für aus deutscher Medaillensicht äußerst erfreuliche Nachrichten.

So auch am Donnerstag: Nach dem Erfolg des Canadier-Duos stand das Finale im Vierer-Kajak über 1000 Meter an. Dieses Boot hatte zuletzt bei den Olympischen Spielen 1996 in Atlanta Gold gewonnen, danach gab es zwei mal Silber und ein Mal Bronze. Diesmal reichte es zu keiner Medaille, Marcus Groß, Norman Brockl, Tim Wieskötter und Max Hoff kamen nach einem spannenden Rennen beim Sieg des australischen Teams auf Platz vier - mit 0,26 Sekunden Rückstand auf Bronze.

Katrin Wagner-Augustin gewann ihr Kajak-Rennen über 500 Meter, doch das war nur das B-Rennen, sie kam damit auf Rang neun. Das A-Finale gewann die Ungarin Danuta Kozak. Kurios dabei: Die Zeit von Wagner-Augustin (1:52,402) hätte gereicht, um im Finale den zweiten Platz zu erreichen und Silber zu gewinnen.

Am Ende des Kanu-Tages gab es noch das Rennen über 500 Meter im Zweier-Kajak. Franziska Weber und Tina Dietze hatten im Halbfinale die beste Zeit erreicht und deshalb als aussichtsreiche Kandidaten auf eine Medaille gegolten. Weber und Dietze starteten herausragend, in diesem Rennen brauchte es keinen Endspurt, weil die deutschen Frauen von Anfang bis zum Ende konzentriert paddelten.

Tina Dietze sagte danach: "Wir wollten einfach nur ein perfektes Rennen fahren, und das ist uns mehr als gut gelungen." Franziska Weber fand: "Das ist so unfassbar. So etwas wie heute haben wir noch nie gemacht."

Die Kanuten können mit diesem Tag wieder einmal zufrieden sein - überhaupt wirken sowohl Athleten als auch Verantwortliche an der Strecke in Eton Dorney im Westen von London herrlich entspannt. Natürlich sagt keiner, dass es zu viel Förderung, zu viel Vermarktung und ein zu gutes Konzept gebe. Aber das Motto scheint zu lauten: Wir zeigen spannende Rennen, gewinnen Medaillen - der Rest kommt dann von selbst. Dieses Konzept geht im Kanu bislang auf.

Doch dann jammert Franziska Weber doch ein wenig. Dass siebte Interview müsse sie schon geben, doch viel lieber würde sie endlich richtig feiern. "Mein Trainer sagt immer: Wenn ich jammere, dann bin ich meistens gut drauf."

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