Zwei Favoriten:Amerika entscheidet

Lesezeit: 4 min

Gianni Infantino oder Scheich Salman? An diesem Freitag wählt der Fußball-Weltverband einen neuen Präsidenten. Das Rennen ist immens eng.

Von Johannes Aumüller und Thomas Kistner, Zürich

Der Kandidat strauchelt, fast fällt er hin. Aber dafür ist das Gedränge zu groß. In der Lobby des Renaissance-Hotels herrscht ein Aufruhr, als wäre Lionel Messi aufgetaucht, mit Neymar am Arm. Stattdessen kommt hier nur ein Schweizer Funktionär namens Gianni Infantino - der nun allein eine Minute braucht, bis er durch die Drehtür ist. Drinnen bringen ihn Kameraständer aus der Balance, der Kandidat taucht ab und federt mit flatterndem Schal wieder hoch, nutzt das Überraschungsmoment der Presseleute für einen Spurt Richtung Bar, ums Eck - weg ist er.

Am Tag vor der Kür bietet der Präsidentschafts-Wahlkampf im Fußball-Weltverband Fifa allerlei Slapstick-Momente. In den Hotels von Zürich tagen am Donnerstag die Kontinentalverbände, im Renaissance sind es die von Nord- und Mittelamerika (Concacaf) beziehungsweise Ozeanien (OFC). Die fünf Thronbewerber buhlen um die letzten Stimmen. Längst ist klar, dass die drei Kandidaten Prinz Ali, Jérôme Champagne und Tokyo Sexwale nur Außenseiter sind - und dass es auf ein Duell hinauslaufen wird zwischen Infantino, Generalsekretär der Europa-Union Uefa, und Scheich Salman Al-Khalifa, Chef des Asien-Verbands AFC aus Bahrain. Ebenso klar scheint zu sein, dass es immens knapp wird, so knapp wie bei keiner Fifa-Wahl mehr seit 1998, als Sepp Blatter gegen den Schweden Lennart Johansson gewann.

Jedes einzelne Votum könnte zählen - und kurz vor der Kür sieht es so aus, als läge der Scheich doch erkennbar vorne. Bisher schien die Grundkalkulation klar zu sein: Salman hat das Gros der Stimmen Asiens (47) und Afrikas (54) hinter sich. Infantino glaubte seine 53 Europäer hinter sich sowie an einen Vorsprung in Ozeanien (11) und den beiden Amerika-Verbänden Concacaf (35) und Südamerikas Conmebol (10). Letzterer hatte sich sogar geschlossen für ihn ausgesprochen. Doch je näher die Wahl rückt, umso wackeliger erscheint diese Wahlstatik. Aus Kreisen von Golf-Funktionären wurde Donnerstagabend transportiert, ein markant großer Teil an Nationalverbänden sei aus dem europäischen Block ausgebrochen - angeblich unter russischer Führung. Dazu passt, dass der russische Verbandschef Witalij Mutko, zugleich Sportminister und ein alter Petersburger Vertrauter von Staatspräsident Wladimir Putin, bis vor Kurzem noch öffentlich einen Deal zwischen Scheich Salman und Infantino befürwortet hatte. Schließlich soll auch der scheidende Fifa-Patron Sepp Blatter im Hintergrund einige Gespräche geführt haben.

Wird er der neue Fußball-Chef? Der Schweizer Gianni Infantino, 45. (Foto: Arnd Wiegmann/Reuters)

Im Laufe des Donnerstags bröckelte auch die panamerikanische Front für Infantino. Als Vorreiter fungiert dabei just der brasilianische Verband CBF - dessen langjährige Topleute Ricardo Teixeira, Marco Polo del Nero und José Maria Marin weit oben auf der Fahndungsliste stehen. Interimschef Antônio Carlos Nunes legte heimischen Medien im Hintergrund dar, Brasilien werde zwar zunächst - wie offiziell verkündet - Infantino wählen. Aber für den Fall, dass sich eine Mehrheit für Salman abzeichne, wolle man in dessen Lager umschwenken. Nunes erklärt den offenen Opportunismus so: Der CBF sei nie so schwach aufgestellt gewesen wie heute, man könne es sich nicht leisten, beim Aufbruch in die neue Ära auf der Verliererseite zu stehen. Der CBF-Funktionär Fernando Sarney, der im Fifa-Vorstand sitzt, verstärkte dies mit der Andeutung, es sei nicht mal sicher, dass Brasilien in Runde eins Infantino wähle.

Meist dienen solche Bekenntnisse dazu, andere Wackelkandidaten ins - vermeintliche - Siegerlager hinüberzuziehen. Und sollten die mächtigen CBF-Leute im Conmebol andere infizieren, etwa Argentinien, Peru und Paraguay, geriete die Wahlstatik Infantinos eben ins Wanken.

Unklar ist zudem das konkrete Verhalten des Nord-/Mittelamerikaverbands. In der Föderation, wo lange Jahre der skandalumtoste Jack Warner weitgehend geschlossene Abstimmungen orchestrierte, soll nun etwas stattfinden, das Interimspräsident Victor Montigliani am Donnerstag optimistisch als "Kulturwechsel" ankündigte. Es gebe keine von oben verordnete Blockwahl mehr, sagte der Kanadier, "die Zeiten sind vorbei". Jeder wähle nun so, wie es ihm "sein Gewissen" vorgebe. Verbände wie Jamaika unter dem zwischendurch auch schon gesperrten Skandalfunktionär Horace Burrell werden dem Salman-Lager zugerechnet. Wie viele noch?

Es wird eng für Europas Kandidaten Infantino, wenn in letzter Sekunde Gefolge von der Fahne geht, das sich zuvor für ihn positioniert hat. Und reizt zu Spekulationen: Falls es einen späten Schub ins Lager des Scheichs gibt - wie kam er zustande?

Scheich Salmans Problemstellen wirken derweil überschaubar. Die Nationalverbände von Kuwait und Indonesien sind gerade suspendiert - und sollen es nach Meinung des jetzigen Fifa-Vorstandes bleiben. Ihre Fälle sollen erst beim nächsten Kongress geklärt werden. Es gilt als gewiss, dass beide für den Bahrainer gestimmt hätten. Theoretisch ist sogar denkbar, dass die Föderationen vor der Abstimmung ihr Stimmrecht doch noch einmal erhalten - es müsste nur jemand den Antrag stellen.

Im äußersten Fall gibt es fünf Wahlgänge, jeder kann zwei Stunden dauern

In jedem Fall wird die intensive Lobbyarbeit bis zuletzt andauern - auch in den Kongress hinein. Der Wahlmodus kann dazu führen, dass sich die Veranstaltung bis tief in den Abend zieht. In der ersten Runde ist eine Zwei-Drittel-Mehrheit notwendig, die wohl nach Lage der Dinge niemand erreichen kann. Danach reicht jeweils die einfache Mehrheit - falls die niemand erreicht, scheidet der Kandidat mit den wenigsten Voten aus. Im äußersten Fall gibt es also fünf Wahlgänge, jeder kann bis zu zwei Stunden dauern. Das kann noch zu kuriosen Szenen führen: Die Fifa muss das Züricher Hallenstadion irgendwann verlassen, weil dort alles für ein Eishockey-Spiel am Samstag hergerichtet wird. Nach Angaben aus Delegationskreisen kursiert der Plan, im Zweifel je einen Vertreter eines jeden Nationalverbandes aus dem Kongresssaal ins Hauptquartier der Fifa auf dem Zürichberg zu fahren und dort die Abstimmung zu Ende zu bringen. Die Fifa bestätigt lediglich, dass es verschiedene Planspiele gebe.

Scheich Salman scheint derweil schon für den Fall vorzusorgen, dass er die Wahl tatsächlich gewinnt. Auszugehen wäre dann davon, dass er bei der ersten Pressekonferenz einen Sturm kritischer Fragen abwehren muss. Seit Wochen steht er wegen seiner Rolle bei der Niederschlagung der Protestbewegung in Bahrain anno 2011 in der Kritik, damals sollen auch Sportler gefoltert worden sein. Salman weist alle Vorwürfe zurück; am Donnerstag tat er Berichte über seine Vergangenheit gegenüber CNN erneut als "politisches Werkzeug" ab. Andererseits liegen Berichte und Zeugenaussagen vor. In Zürich sind jedenfalls bereits bahrainische Fußballer aufgeschlagen - mutmaßlich, um Salman zu stützen.

Als Infantino das Renaissance-Hotel verließ, gab er sich noch demonstrativ aufgeräumt und ungebrochen siegessicher - wie in den vergangenen Wochen. Und jedenfalls hatte er eine Lektion offenkundig gelernt: Er spurtete durch einen Seitengang in die Lobby, wurde kurz an die Wand gerempelt, schaffte es trotzdem durch die Drehtür und in die Limousine. Ab ins nächste Hotel, im Norden Zürichs, wo die eigene Europa-Fraktion tagt. Da kam er sieben Minuten nach Scheich Salman an, und manches deutet darauf hin, dass die Reihenfolge symbolisch für den Ausgang der Wahl am Freitag gewesen sein könnte.

© SZ vom 26.02.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: