Zwei Deutsche in Paris:Die Witterung aufgenommen

Zwei Deutsche in Paris: Im Dialog mit dem launischen französischen Publikum: Alexander Zverev im Interview nach seinem Zweitrundensieg.

Im Dialog mit dem launischen französischen Publikum: Alexander Zverev im Interview nach seinem Zweitrundensieg.

(Foto: Lewis Storey/Getty Images)

Alexander Zverev und Daniel Altmaier spielen in Paris bisher nicht nur herausragendes Tennis - sie haben zudem das launische Publikum am Bois de Boulogne erobert.

Von Gerald Kleffmann, Paris

Alexander Zverev hat wie jeder Mensch Schwächen, beim Thema Pünktlichkeit etwa pflegt er eine freier ausgelegte Zeitrechnung. Andererseits, wenn er es zu einer Pressekonferenz oder vor ein Mikrofon geschafft hat, hört man ihm gerne zu. Das Antichambrieren kann er gut, wie das Pariser Publikum am späten Donnerstagabend erfuhr. Da stand Zverev, die Haare zerzaust, und berichtete nach seinem locker gewonnenen Zweitrundenmatch gegen den Slowaken Alex Molcan (6:4, 6:2, 6:1) beim Platz-Interview: Er sei ein guter Schläfer, bis zwölf habe er diesmal geschlafen. Dann noch mal von 14 bis 16 Uhr. Und abends noch ein Stündchen. "Irgendwann kam ich raus auf den Platz", sagte er, und da japsten die Zuschauer, bestens unterhalten.

Abschließend richtete er eine Bitte in die Weite des Court Philippe-Chatrier. Es sei, weil er kein Einheimischer ist, manchmal schwierig, in Roland Garros zu spielen, bekanntermaßen sind die Franzosen sehr parteiisch, was der Amerikaner Taylor Fritz auf dramatische Weise in seinem Duell mit Arthur Rinderknech erfuhr, als er minutenlang ausgebuht wurde und sein Siegerinterview abbrach. "Vielleicht kann ich in den nächsten zehn Tagen Franzose werden, und wir können alle glücklich sein, wenn ich hier auf dem Platz bin", schlug Zverev vor. Ein Schelm ist er auch. Er weiß: Will er bei diesen French Open weit kommen und seinen ersten Grand-Slam-Titel holen, sollte er es sich nicht mit der Menge verscherzen.

Zverevs Ausgelassenheit lag nicht nur an seiner guten Leistung, nach einem rumpeligen ersten Sieg gegen den Südafrikaner Lloyd Harris agierte er gegen Molcan dominant, fehlerarm, strukturiert. Der 26-Jährige hatte auch eine Konfrontation mit der Vergangenheit erfolgreich hinter sich gebracht. Im rechten Eck des Platzes, gleich beim Gang, der zu den Umkleiden führt, war er vor einem Jahr umgeknickt im Halbfinale gegen den Spanier Rafael Nadal, sieben Bänder waren gerissen. "Ich war schon nervös vor dem Match", gestand er nun. "Es war für mich auch wichtig, dass das Match vor mir schnell beendet war, sodass dann der Platz frei war." Zverev sei rausgegangen, "um den Platz noch mal zu sehen". Er klang erleichtert, als er meinte: "Ich bin froh, wie alles gelaufen ist."

Zwei hoch gehandelte Kontrahenten, die auf Zverevs Weg erwartet wurden, sind überraschenderweise schon ausgeschieden

Grand-Slam-Turniere sind auch deshalb so ein Faszinosum, weil sich oft neue Plots entwickeln. Zverevs Situation ist geradezu exemplarisch dafür, wie sich eine Geschichte um 180 Grad drehen kann. Der 26-Jährige startete mit der Aussicht, dass er seiner Unfallstelle erstmals begegnen würde. Seine Form war durchwachsen. Die Auslosung las sich hürdenreich. Doch nun sind im Südtiroler Jannik Sinner und im Russen Daniil Medwedew zwei Top-Ten-Spieler ausgeschieden, auf die Zverev im Achtel- bzw. Viertelfinale hätte treffen können.

Zwei Deutsche in Paris: Damit er auch weiterhin kraftvoll zuschlagen kann: Daniel Altmaier bei seinem mitreißenden Zweitrundensieg gegen Jannik Sinner.

Damit er auch weiterhin kraftvoll zuschlagen kann: Daniel Altmaier bei seinem mitreißenden Zweitrundensieg gegen Jannik Sinner.

(Foto: Javier Garcia/Shutterstock/Imago)

Plötzlich sieht sein Draw verlockend luftiger aus. Seine Chancen? "Ich werde darauf nicht antworten", fuhr Zverev feixend dazwischen, doch das war Antwort genug. Paul Watzlawick hatte es trefflich formuliert: Man kann nicht nicht kommunizieren. Zverev hat Witterung aufgenommen, das steht fest, mit dem Sehnsuchtsziel Coupe des Mousquetaires, den der Sieger des Männer-Feldes erhält. Gegen Frances Tiafoe tritt er am Samstagabend in der dritten Runde bereits wieder als Favorit an, bei den Australian Open und in Wimbledon (jeweils 2017) sowie den US Open (2019) hatte er den Amerikaner besiegt.

Danach könnte (ja, Konjunktive sind gefährlich) er auf einen Deutschen treffen, Daniel Altmaier ist der zweite verbliebene Vertreter des DTB im Einzel. Der 24-Jährige aus Kempen, der einen ukrainischen Vater und eine russische Mutter hat, zog die internationalen Blicke auf sich, als er im bisher längsten Match des Turniers Sinner nach 5:26 Stunden niederrang. Danach weinte er, der sonst diszipliniert wie wenige ist, Tränen der Freude. Später schwärmte er, dass sein Mitwirken beim Davis-Cup-Duell in Trier im Februar gegen die Schweiz, bei dem er nur knapp Stan Wawrinka unterlag, ihn beflügelt hätte. Er hätte den deutschen Kollegen gesagt: "Dieses Davis-Cup-Feeling, das wir haben, das müssen wir auf die Tour bringen."

Es ist absolut angemessen, dass Altmaier gegen den Bulgaren Grigor Dimitrov voller Zuversicht antritt, er stand, 2020, schon mal im Achtelfinale von Paris, das jetzt wieder nur einen Erfolg entfernt ist. Damals wurde aufgrund der Corona-Turbulenzen im Herbst gespielt, und er hatte aufhorchen lassen, als er gar den Italiener Matteo Berrettini bezwang.

Zverev und Altmaier sind überraschend nur einen Sieg von einem deutsch-deutschen Achtelfinal-Duell entfernt

Heute aber, betonte Altmaier, sei er nicht mehr derselbe. Er spielt zwar noch die Rückhand einhändig wie sein Vorbild Wawrinka, aber: "Das, was damals war, war eine sehr, sehr schöne Erinnerung, die ich nie vergessen werde", sagte er, "jetzt bin ich ein anderer Spieler geworden und als Person gewachsen." Sein Coach ist der frühere argentinische Profi Alberto Mancini, der auch dafür sorgte, dass Boris Becker nie einen Titel auf Sand errang. 1989 gewann Mancini das Finale in Monte-Carlo gegen Becker. In Südamerika trainiert Altmaier auch oft.

Zverev ließ sich ob der Aussicht auf ein deutsches Duell dann doch zu einer kleinen Aussage hinreißen: "Wir würden uns beide sehr freuen, die vierte Runde hier bei Roland Garros gegeneinander zu spielen", sagte er und versicherte: "Ich bin auch unglaublich glücklich mit dem, was das deutsche Männertennis gerade zu bieten hat. In den letzten paar Jahren war das immer so, dass man bei den Grand Slams immer so ein bisschen auf mich geschaut hat." Diesmal ist das anders. Zumindest in der ersten Woche der French Open 2023.

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