Süddeutsche Zeitung

Tennis:Die Freuden und Sorgen des Alexander Zverev

Der deutsche Tennisspieler hat sportlich einen erfolgreichen Herbst hinter sich, er erlebt aber gerade wechselhafte Tage. Eine Ex-Freundin wirft ihm häusliche Gewalt vor - mit heftigen Details.

Von Gerald Kleffmann

Der letzte Ballwechsel zeigte beispielhaft, wie sich Alexander Zverev spielerisch entwickelt hat. Es stand 6:4, 6:5, 40:15 aus seiner Sicht, Matchball. Zverev schlug auf, Richtung Vorhandseite von Rafael Nadal, der den Ball sicher zurückspielte. Sofort versuchte der Spanier, der kürzlich bei den French Open seinen 20. Grand-Slam-Titel errungen hatte, Druck aufzubauen; er brauchte dringend diesen Punkt. Aber Zverev blieb abwartend, ließ Nadal das Risiko suchen. Und tatsächlich war es der 34-Jährige aus Mallorca, der die Geduld verlor und den Schuss wagte.

Aus. Es kommt selten vor, dass Nadal voreilig ein zu gewagtes Manöver angeht. Zu Wochenmitte hatte er sein 1000. Tour-Match beim Masters-Turnier in Paris-Bercy gewonnen, seine die Gegner zermürbende Resistenz hat ihm ja auch diese Bestmarke eingebracht. Aber in diesem Halbfinale am Samstag bezwang Zverev Nadal mit Nadals eigener Stärke: mit der Fähigkeit, den anderen aus der Balance zu bringen. "Ich denke, ich habe bei 4:5 im zweiten Satz mein Niveau gesteigert, dann lief es gut", sagte Zverev erfreut, "ich bin glücklich, im Finale zu sein." Dieses stand am Sonntagnachmit. Gegen Daniil Medwedew, 24, hatte er die Chance, seine vierte Trophäe bei einem Event der Masters-Serie zu gewinnen, die aus neun Turnieren pro Saison besteht. Doch der Russe hatte am Ende schlicht mehr Kräfte übrig und siegte 5:7, 6:4, 6:1. Zverev hat dennoch eine beeindruckende Serie in dieser Endphase der Saison hingelegt. Vor Paris gewann er die beiden in Köln ausgetragenen ATP-Turniere der 250er Kategorie, die so heißen, weil der Sieger 250 Punkte für die Weltrangliste erhält. Er hatte bis Sonntag zwölf Matches hintereinander erfolgreich bestritten. In der Weltrangliste wird er sich vom siebten auf den sechsten Platz verbessern. Dass sich Zverev diesen Spitzenplatz in seiner achten Profisaison souverän gesichert hat, liegt auch an seinem neuen Trainer David Ferrer, der ihm klammheimlich zum nächsten Entwicklungsschritt verhalf.

Warum seine Resultate nicht immer im Vordergrund stehen

Der Zverev von 2020 ist sichtbar ein anderer Spieler als der von 2019. Er hat massiv seine Position an der Grundlinie verändert und, wie es Boris Becker, sein Mentor und Head of Men's Tennis beim Deutschen Tennis-Bund, nannte, seine "Sicherheitszone" verlassen. Zu oft war Zverev zu viele Meter hinter der Grundlinie gestanden, wodurch er automatisch schnell in die Defensive geraten war. Nun steht er mehr im Feld, was es ihm ermöglicht, die Bälle früher zu schlagen und so den Gegenüber schneller in Bedrängnis zu bringen. Er erinnert ein wenig an Ferrers früheres Agieren, der ein zäher, kleiner Wühler war, mit dem Unterschied, dass Zverev bei 1,98 Metern Körpergröße andere Hebel besitzt und Bälle, wie man sagt, auch tot machen kann. Er punktet viel öfter direkt. Wobei offensichtlich ist, dass er mit Ferrer intensiver an Matchplänen arbeitet. Um eine Chance gegen Nadal zu haben, müsse er "fehlerfrei" spielen, hatte er erklärt. Er fuhr, auch das fiel am Samstag auf, sein eigenes Risiko tatsächlich zurück. Feinheiten, die unter Topprofis Wirkung zeigen. Auch den Schweizer Stan Wawrinka hatte Zverev im Viertelfinale ähnlich ausgefuchst besiegt.

Dass seine sportlichen Resultate in dieser Woche nicht immer im Vordergrund standen und sogar auf der Internetseite der ATP Tour auffallend nüchtern vermeldet wurden, hängt sicher mit seinen privaten Problemen zusammen, die bekannt wurden. Seine Ex-Freundin Brenda Patea hatte öffentlich gemacht, dass sie ein Kind von Zverev erwarte. Er hatte daraufhin, auch öffentlich, betont, er wolle trotz der Trennung seiner Verantwortung nachkommen als Vater.

Zeitgleich hatte sich darüber hinaus Olga Scharipowa zu Wort gemeldet und schwere Vorwürfe an Zverev bezüglich häuslicher Gewalt gerichtet. Die zwei waren bis vergangenes Jahr ein Paar gewesen. Nach einer ersten Aussage Scharipowas bei Instagram und einem Dementi Zverevs bezüglich aller Vorwürfe wiederholte die Russin, die Zverev seit der Kindheit kennt, in einer Geschichte des Magazins Racquet ("Olya's Story") ihre Vorwürfe mit weiteren, teils heftigen Details. Bei Pressekonferenzen in Paris wurde Zverev darum gebeten, Stellung zu nehmen. Er sei in Paris, um Tennis zu spielen, erklärte er und verwies auf sein früheres Statement. Nach dem Sieg gegen Nadal sagte er auch noch: "Ich habe gelernt, dass es immer Leute geben wird, die es nicht gut mit dir meinen. Sie wollen, dass du, wenn du oben bist, fällst. Es liegt an mir, das nicht zuzulassen."

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SZ vom 09.11.2020/sonn
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