Alexander Zverev:Der Hochbegabte sucht den Ausgang

2019 US Open - Day 8

Alexander Zverev während seines Achtelfinal-Matches.

(Foto: AFP)
  • Alexander Zverev scheidet bei den US Open im Achtelfinale aus.
  • Bei der Niederlage gegen Diego Schwartzman leistet er sich 17 Doppelfehler.
  • Ex-Tennisprofi Boris Becker übt bei Eurosport Kritik an Zverevs Spiel.

Von Jürgen Schmieder, New York

"Das Übliche." Die ersten Worte von Alexander Zverev nach seiner Niederlage gegen Diego Schwartzman klangen wie eine Bestellung in der Stammkneipe, auf wundersame Weise waren sie das auch irgendwie. Es ging um seinen zweiten Aufschlag und darum, dass Zverev beim 6:3, 2:6, 4:6, 3:6 insgesamt 17 Doppelfehler produziert und eine Eröffnung mit der grotesken Geschwindigkeit von 110 km/h übers Netz geschubst hatte. "Das Übliche", sagte Zverev also, und genau so ist es gerade auch bei seinem restlichen Spiel derzeit: Der Hochbegabte, der Tennis für Feinschmecker spielen kann, hockt seit Wochen in einer Spelunke und weiß offenbar nicht, wo der Ausgang ist.

Nein, auch wenn das viele nun behaupten: Zverev spielt kein schreckliches Tennis. Andere junge Hochbegabte wie Stefanos Tsitsipas, Karen Chatschanow oder Nick Kyrgios sind bei den US Open früher gescheitert, im so genannten "Race", bei dem sich die acht besten Spieler der Saison für das Finalturnier in London (das Zverev im vergangenen Jahr gewonnen hat) qualifizieren, liegt er derzeit auf Platz neun. "Davon träumen andere ihr Leben lang", sagt Zverev, und es stimmt schon: Dominik Koepfer, der drei Jahre älter ist als Zverev, 22, wird für seine Achtelfinal-Teilnahme gefeiert, Zverev für sein Scheitern in der gleichen Runde geschmäht.

Er hat in New York all jene besiegt, die er besiegen sollte, und dann hat er gegen einen verloren, gegen den man verlieren kann. Schwartzman ist ein giftiger und gefährlicher Spieler, auf den sich ein Gegner nur schwer vorbereiten kann, weil es solche Typen nur sehr selten gibt: klein und flink, aber technisch derart filigran, dass er Bälle sehr früh nehmen und druckvoll zurückspielen kann. Er hatte vor der Partie gegen Zverev keinen Satz abgegeben, und wäre sein Gegner im Viertelfinale nicht ausgerechnet der furchteinflößende Rafael Nadal, der Gefährlichste und Giftigste von allen, dann wäre Schwartzman noch mehr zuzutrauen in New York.

Zverev verarbeitet gerade zwei Dinge, die jeder Sportler in seiner Karriere mal erlebt, wenn auch bestenfalls nicht gleichzeitig: diese erste kleine Krise nach den ersten Erfolgen, wenn die ausgebufften Gegner die Schwächen kennen (bei Zverev: die bisweilen passive Spielweise, das Hadern mit der eigenen Fehlbarkeit, die Ungeduld bei Mätzchen des Kontrahenten) und sie bewusst bespielen. Und dieses Zittern, wenn irgendwas ohne triftigen Grund plötzlich nicht mehr funktioniert. Das Nachdenken darüber und ausuferndes Training machen alles nur schlimmer. Es gibt schon einen Grund, warum der Caddy im Buch "The Legend of Bagger Vance" dem Golfspieler rät, den Ball einfach mal ins Gestrüpp zu prügeln, um seine Ruhe zu haben.

Zverev plagten in diesem Sommer noch ein paar andere Dinge: Stress mit der Freundin, die Krankheit des Vaters, Trennung von Trainer Ivan Lendl, Rechtsstreit mit dem ehemaligen Manager Patricio Apey. Tennis ist ein psychologisch höchst interessanter Sport, weil auf größtmögliche Anstrengung diese Pausen zwischen den Ballwechseln folgen, in denen einer nachdenkt: über den letzten Ballwechsel, über das Match, über das Leben. Manche Sportler stürzen in eine Krise, wenn sie abseits des Platzes nur eine schwierige Situation verarbeiten müssen - bei Zverev waren derart viele Dinge nicht geklärt, dass es wirklich nicht verwundert hätte, wenn er ein paar Wochen lang jeden Tag in eine Spelunke gegangen wäre und "das Übliche" bestellt hätte.

"Er hat sich in den letzten 18 Monaten als Spieler nicht verbessert"

Die Niederlagen zuletzt sind völlig normal für einen, der gerade mal 22 Jahre alt ist, und sehr viele der Störgeräusche außerhalb des sportlichen Geschehens sind nun beseitigt: Dem Vater geht es wieder besser, er war in New York als Trainer dabei. Die Freundin ist zurück, und Zverev wird nun von der Agentur Team Eight vermarktet, die sich auch um Roger Federer und Coco Gauff kümmert. Im Streit mit Apey soll es Fortschritte geben, wenn auch noch keine endgültige Lösung. Da dürfte sich in den kommenden Wochen vieles normalisieren.

Bleibt das Problem mit dem zweiten Aufschlag, und nun wird es interessant: Zverev sagte vor den US Open, dass er jeden Tag stundenlang geübt habe, und dass es irgendwann "Klick" gemacht hätte. Auch das kennt jeder Sportler, wenn es aus unerklärlichen Gründen wieder funktioniert. Nur: Es klappte in New York dann doch nicht, Eröffnungen mit einer Geschwindigkeit von 110 km/h sind keine Aufschläge.

Zverev sagt auch, dass er keine technischen Veränderungen vorgenommen habe - was dann beim Betrachten der Trainingseinheiten doch zur Frage führt: Woran hat er denn stundenlang geübt, wenn nicht an wenigstens kleinen Veränderungen? Vielleicht hätte er, wie der Golfspieler in "Bagger Vance", auch mal was Verrücktes probieren sollen, eine durchgeknallte Variante, etwas außerhalb der Norm. Wer Zverev fragt, was er verbessern könne, der hört nur Floskeln, eigentlich könnte er auch sagen: Das Übliche.

Ex-Tennisspieler Boris Becker sagte dennoch beim Sender Eurosport. "Er hat sich in den letzten 18 Monaten als Spieler nicht verbessert", sagte der dreimalige Wimbledonsieger über Zverev: "Für mich ist das Spiel ein bisschen zu eindimensional, zu lesbar für den Gegner." Becker meinte zudem: "Er ist motiviert, ist fleißig, hat ein gutes Umfeld, aber seine Netzangriffe und seine Position auf dem Platz sind gleich wie vor 18 Monaten." Mit Blick auf die vielen Doppelfehler sagte er: "Der zweite Aufschlag ist der Blick in die Seele eines Tennisspielers."

Zverev ist kein junger Hüpfer mehr, er gibt mittlerweile sogar den Elder Statesman unter den jungen Spielern und sagt offen, dass er diese Mätzchen von Tsitsipas, Kyrgios und Medwedew nun wirklich gar nicht leiden kann: "Ich will da nicht in einen Topf geworfen werden." Er kennt die Tenniswelt, seit er ein kleiner Junge ist, er verfügt über ein grandioses Netzwerk und weiß sicherlich, wen er anrufen kann, der beim Aufschlag und vielleicht auch anderen Dingen zu helfen kann. Vielleicht probiert er auch mal was Verrücktes, der Caddie Bagger Vance aus dem Buch kam nicht aus der Golfwelt. Zverev wird nun ein paar Tage lang Urlaub machen und dann den Rest der Saison vorbereiten. Das Übliche eben.

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