Süddeutsche Zeitung

Alexander Zverev:Der Trapper stellt die Bärenfalle auf

  • Seit August wird Tennis-Spieler Alexander Zverev von Ex-Profi Ivan Lendl trainiert.
  • Seitdem tüfteln und justieren die beiden in den Grenzbereichen des Spitzensports, am Mentalen, an technischen Finessen, um die letzten Hürden zu schaffen bei den großen Anlässen.
  • Zverevs Ziel ist eigentlich mittelfristiger Natur: Bei den Grand Slams will er besser abschneiden. Doch auch bei den gerade stattfindenden ATP Finals hat er die Chance auf den bislang größten Erfolg seiner Karriere.

Von Gerald Kleffmann, London

Gemütlich fläzten sie auf den Sitzen, Alexander Zverev links, Ivan Lendl rechts. Sie schwiegen gemeinsam. Dann sagte einer was. Der andere hörte zu. Dann antwortete der andere. Plötzlich lächelte Lendl, es war dieses zähnefletschende Lächeln, das man von früher noch kennt, als er Profi gewesen war und sich mit John McEnroe, Jimmy Connors, Boris Becker unvergessene Nervenschlachten geliefert hat. Lendl, das war der, der Sägespäne in den Taschen seiner viel zu engen Tennis-Short bunkerte. Und die er benutzte, um einen trockeneren Griff zu haben. Lendl war der, der immer als der Böse herhalten musste in den Duellen mit den Amis, oft genug aber triumphierte er.

Zwei Makel hafteten ihm nur an: Nie gewann er Wimbledon. Und einmal ließ er sich von einem kleinen Schnibbler vorführen. Michael Chang zwirbelte ihm bei den French Open einen Aufschlag von unten rotzfrech ins Feld. Da sah er schlecht aus, aber seinen Ruf, ein Abgezockter zu sein, beschädigte das nicht wirklich. Als Trainer zementierte er diesen sogar, als er den wankelmütigen Andy Murray Jahre später zu ersten Grand-Slam-Siegen und Olympia-Gold verhalf.

Und genau deshalb sitzt Lendl jetzt in London in dieser kleinen Trainingshalle, an einem Wochentag bei den ATP Finals in London. Er soll und will diesem 1,98-Meter-Hünen aus Deutschland seine Abgezocktheit vermitteln. Wie das aussieht? Manchmal, das ist kein Geheimnis, reden sie einfach über Hunde. Lendl ist Hunde-Fan. Und Zverevs Familie besitzt ja auch einen kleinen, Lövik heißt er. Und wenn dann taktische Ansichten zum Tennis dazu gemixt werden, ist das ein Klima, das Zverev mag, in dem er sich wohlfühlt.

Ivan Lendl bekam den Vorzug vor Boris Becker

Alexander Zverev, 21, Bruder von Mischa, 31, ebenfalls Profi, in Hamburg geboren, russische Tennis-Eltern, Nummer fünf der Welt, Wohnsitz Monte-Carlo, bald in Dubai und auf den Malediven im Urlaub, lebt das erfolgreiche Tennisleben. Aber zum Erfolg, darunter bereits drei Siege bei Masters-Turnieren, soll bald auch Ruhm hinzustoßen, der nachhaltiger ist als eine schnell verdiente Viertelmillion beim Laver Cup.

Genau deshalb holte Zverev im August Lendl ins Team, dem er den Vorzug vor Boris Becker gab, auch der ein Vertrauter seiner Familie. Seitdem tüfteln und justieren die beiden in den Grenzbereichen des Spitzensports, am Mentalen, an technischen Finessen, um die letzten Hürden zu schaffen bei den großen Anlässen. Und weil sowohl Zverev als auch Lendl wie zwei Protagonisten wirken, die sich nie ganz in die Karten schauen lassen, strahlen sie etwas Geheimnisvolles aus. Ihre Kooperation ist in der Weltspitze das spannendste Projekt, darin sind sich alle doch einig.

Einen "Prozess, der etwas dauert und Zeit benötigt", nennt es Zverev, und benennt damit indirekt die größte Herausforderung, die ihn persönlich betreffen dürfte: Er muss seine Ungeduld zähmen. Und offen für Veränderung sein. Das Interessante wird jedenfalls sein, wie viel Lendl in sich Zverev nun zulässt. Sägespäne wird er wohl nicht in die Tasche stopfen, und deutsche Schäferhunde haben es ihm auch noch nicht angetan, die Lendl so liebt.

Aber auf dem Platz, deutete Zverev an, gebe es schon erste Adaptionen. "Ich schlage variabler auf", sagte er, nachdem er mit einem 7:6, 7:6-Erfolg gegen den Kroaten Marin Cilic bei den ATP Finals gestartet war. Der Gedanke dahinter ist typisch für Lendl: immer unberechenbar bleiben. Nicht einfach Ball hoch und drauf. Als Cilic im Tie-Break des ersten Satzes mächtig aufholte und es nur noch 5:6 stand, lockte ihn Zverev mit einem einhändigen Rückhand-Stopp ans Netz - dann passierte er ihn trocken mit der beidhändigen Rückhand. Bärenfalle stellen, den Grizzly anlocken, zuschnappen - das war der gerissene Lendl, der Trapper. Und auch disziplinierter mit sich selbst sein. Dem Schotten Murray hatte Lendl das Jammernde ausgetrieben, eine Eigenschaft, die auf ähnliche Art in Zverev steckt.

Lendl wird gewusst haben, auf was er sich einlässt. Zverev ist impulsiv, testet gerne Rahmenhärte von Schlägern, schimpft, hadert. Zverev ist, auch wenn er das abstreitet, nicht der allerbeste Verlierer, vor allem nicht, wenn er gegen jemanden verliert, den er für schlechter hält. Letztlich ist das genau der Punkt, an dem Lendl ansetzen wird: Er muss in den Kopf von Zverev kriechen und ihn dort stählen. Und nicht nur für Erst- und Zweitrundenmatches. Für die späteren Phasen eines Turniers, wenn die Gegner härter werden. Die ATP Finals sind so gesehen ein idealer Testballon in Echtzeit: weil in der imposanten O2-Arena ja eh nur ein elitärer Kreis mitwirkt. Jede Partie ist ein kleines Finale. In jedem Match braucht er nun Bärenfallen.

Zverevs Chancen stehen gut, auch wenn er zuletzt Schulterprobleme hatte und wie alle die lange Saison spürt. Dubai, die Malediven, die Verlockung der Offsaison lockt schon. Bekanntlich aber ist Zverev über zwei Gewinnsätze noch resistenter als beim Best-of-Five-Format der Grand Slams. Und er ist in Form, zumindest machte er gegen Cilic einen guten Eindruck. Zwar lag er 2:5 zurück, aber dann zeigte er eine Qualität: Man kann sich trotz Führung gegen ihn nicht sicher sein.

Zverevs Ziel ist eigentlich mittelfristiger Natur: Bei den Grand Slams will er besser abschneiden, ein Viertelfinale ist für einen wie ihn doch zu wenig bisher. Aber London böte die Chance, schon jetzt den größten Erfolg seiner Karriere zu erreichen. Das ist auch eine Verlockung. An diesem Mittwoch trifft er auf den wiedererstarkten Novak Djokovic. Lendl, Zverevs Mastermind, sitzt natürlich in der Box. Und wie immer kann man nichts an seinem Gesicht ablesen. Rein gar nichts.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4209565
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 14.11.2018
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.