Süddeutsche Zeitung

Alexander Zverev:Ein Turniersieg zur Aufmunterung

Alexander Zverev muss oft an das denkbar knapp verlorene Finale bei den US Open denken. Das Turnier in Köln hilft ihm bei der Verarbeitung: Er gewinnt das Endspiel - und brilliert.

Von Milan Pavlovic, Köln

Für einen kurzen Schreckmoment ist Alexander Zverev immer gut. Er dominierte das Endspiel gegen den keineswegs wehrlosen Kanadier Félix Auger-Aliassime, führte 6:3, 4:2 und hatte gerade das Break geschafft, um entspannt seinen ersten Titel des Jahres nach Hause zu servieren. Doch dann leistete er sich einen Doppelfehler und sogleich den nächsten, der an die Phase 2019 erinnerte, als er oft mit seinem Service zu kämpfen hatte. Nun sah er sich nicht bloß zwei Breakbällen ausgesetzt, sondern er ließ den rechten Schlagarm baumeln, als habe er einen Krampf oder Schlimmeres zu überwinden. Zverev schüttelte sich kurz und hatte Glück, dass sein junger Gegner einen Treibschlag knapp ins Aus setzte. Dann aber gelang Zverev ein Service Winner, danach der nächste mit mehr als 220 km/h - und die höchste Hürde auf dem Weg zum zwölften Turnier-Sieg war bewältigt. Wenig später stand es 6:3, 6:3. Der Eindruck, Auger-Aliassime sei nicht gut gewesen, täuschte; es war vielmehr so, dass Zverev richtig gut war.

Nicht jeder Arbeitstag eines Tennisprofis kann optimal verlaufen, und es ist auch eher die Ausnahme, dass ein einzelnes Match ohne Aussetzer verläuft. Insofern gelang Zverev in Köln etwas Rares: Er begann auf hohem Niveau, als er am Donnerstag tadellos gegen den Routinier Fernando Verdasco agierte. Und beendete das Turnier auf noch höherem Niveau. Zwischendurch zeigte er vor pandemie-bedingt leeren Rängen zwei eher durchwachsene Leistungen, im Semifinale ein zum Teil mühsames 7:5, 7:6 (3) gegen Alejandro Davidovich Fokina, 21. Zverev traut dem Spanier eine Menge zu: Der werde "rasch seinen Weg nach oben schaffen". Herausragend in dessen Repertoire: der Vorhand-Stopp, den er mit derselben Armbewegung einleitet wie seinen Top-Spin-Treibschlag. Mehr als ein Dutzend Mal setzte der Mann aus Málaga den Schlag ein, bis tief in den zweiten Satz hinein mit beachtlicher Erfolgsquote.

Das Spiel des Kanadiers liegt dem Deutschen

Es ist auch der perfekte Schlag, um den Gegner zu frustrieren, und vor gar nicht allzu langer Zeit wäre Zverev unbedingt gefährdet gewesen, sich aus dem Rhythmus bringen zu lassen und ausgiebig zu lamentieren. Aber der Zverev von 2020 ist weiter als der Zverev vor Jahresfrist. Er ließ diese dreisten Spielchen des Spaniers an sich abperlen - und punktete gegen einen Stopp, als es besonders wichtig war: bei 1:1 im Tie-Break des zweiten Satzes.

Von Auger-Aliassime hält Zverev noch viel mehr, aber wie es im Tennis ist: Das Spiel des Kanadiers liegt dem Deutschen besser. Gerade weil der Herausforderer gerne lang und hart spielt, ohne große Variationen wie Stopp-Bälle oder Netzattacken, kann Zverev es sich in seiner Komfortzone weit hinter der Grundlinie richtig bequem machen. Er erlief so gut wie jeden Ball des 20-Jährigen und erhöhte häufig das Tempo, bis Auger-Aliassime ausplatziert war.

So gewann Zverev sein erstes Endspiel seit dem jetzt schon legendären US-Open-Finale, als er im September seinen ersten Grand-Slam-Titel denkbar knapp verpasste. "Das war mir heute sehr wichtig, weil ich natürlich immer noch oft an New York denken muss."

Um dieses Trauma zu überwinden, muss er ein Grand-Slam-Turnier bestreiten, aber das kann erst 2021 geschehen. Bis dahin sind kleine Aufmunterungen wie ein Turniersieg in Köln sehr willkommen. Oder vielleicht zwei, denn schon am heutigen Montag startet das zweite Turnier in Köln.

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Quelle:
SZ vom 19.10.2020/sonn
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