Alexander Zverev:Weitermachen, auch wenn es bitter ist

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Vergeblich vom Finale geträumt: Alexander Zverev in seinem ersten Grand-Slam-Halbfinale. (Foto: Cameron Spencer/Getty)
  • "14 Breakchancen nicht genutzt": Bitter analysiert Alexander Zverev sein Scheitern im Halbfinale der Australian Open - und kündigt dann an, seinen Erfolgsweg fortzusetzen.
  • Gegner Dominic Thiem erwies sich als abgeklärter und trifft im Finale auf Novak Djokovic.

Von Barbara Klimke, Melbourne

Auch diesmal versammelte Alexander Zverev seine kleine Mannschaft um sich. Fitnesstrainer, Physiotherapeut, Sparringspartner, seine Freundin Brenda und natürlich Alexander Zverev senior, sein Vater und Trainer, saßen am Freitag auf der Tribüne in ihrer kleinen Loge. Mal feuerten sie ihn an, mal schlugen sie die Hände vors Gesicht. Zum Schluss konnten sie ihm nur applaudieren. Alexander Zverev, 22 Jahre, hat die Chance verpasst, erstmals in seiner Karriere um einen Grand-Slam-Titel zu spielen. Er verließ die Halle mit gesenktem Kopf. Und so blieb es seinem Gegner, dem Österreicher Dominic Thiem, überlassen, seinen Freund Zverev nach der Niederlage in vier Sätzen, 6:3, 4:6, 6:7 (3), 6:7 (4), zu würdigen: "Ich denke, wir müssen nicht mehr lange warten bis zu seinem ersten Grand-Slam-Finale", sagte Thiem. "Das Turnier ist ein großer Durchbruch für ihn."

Ganz so optimistisch war Zverev nicht, als er wenig später, noch immer schwer geknickt, seine Turnierbilanz zog. Er hätte der erste deutsche Tennisspieler seit Rainer Schüttler 2003 im Männerfinale der Australian Open sein können. Stattdessen ist es nun Thiem, der den Titelverteidiger Novak Djokovic am Sonntag herausfordern darf. "Ich hatte 14 Breakchancen, das müsste genug sein", analysierte Zverev bitter. Aber immerhin, auch das gab er zu, hatte er im 19. Anlauf überhaupt das Halbfinale eines Major-Turniers erreicht. "Und nach dem ersten Halbfinale", kündigte er an, "will ich nicht aufhören."

Sogar die Möwen ziehen sich in den Schatten zurück

Der wärmste Tag des Turniers ging dem Ende entgegen, als Zverev, Nummer sieben der Welt, und Thiem, 26, die Nummer fünf, den Platz im Finale gegen Djokovic, den siebenmaligen Australian-Open-Sieger, ausspielten. Mittags stiegen die Temperaturen bis auf 43 Grad, Regenschauer und ein kleiner Sandsturm fegten über die Stadt. In der Backofenglut von Melbourne zogen sich sogar die Möwen am Flussufer in den Schatten zurück. Gemäß dem Hitzeprotokoll zum Schutze der Spieler mussten einige Juniorenpartien in den Abend verlegt werden.

Als um 19.30 Uhr die Hauptvorstellung begann, noch immer bei 34 Grad, war das Schiebedach in der Rod-Laver-Arena halb geöffnet. Doch kaum hatte das Match begonnen, wurde es beim Stand von 1:2 im ersten Satz aus Zverevs Sicht schon wieder unterbrochen. Es tröpfelte durch den Spalt im Dach. Ein Putztrupp mit Wischlappen rückte an. Als Zverev und Thiem weiterspielen durften, auf trockenem Boden, unter geschlossenen Paneelen, war die Aufregung der Kontrahenten, die beide ihre Halbfinalpremiere vor 15 000 Zuschauern in Melbourne erlebten, noch lange nicht verflogen. Und der kurioseste Zwischenfall, der ihre Geduld ein zweites Mal strapazieren sollte, kam erst noch.

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Alexander Zverev startete furios ins Match und nahm dem erfahreneren Thiem, dem zweimaligen Finalisten der French Open, sofort den Aufschlag ab; kurz darauf musste er seinerseits das erste Break kassieren. Dennoch blieb er der Aktivere im ersten Durchgang, den zähe, zermürbende Grundlinienduelle prägten. Er überrumpelte seinen österreichischen Freund, der von den vorherigen acht Duellen sechs gewonnen hatte, immer wieder mit Volleys und Netzangriffen. "Ich war nervös", sagte Zverev, Thiem berichtete sogar von akutem Magengrummeln. Doch beim Aufschlag, noch zu Jahresbeginn Zverevs Zitterschlag, den er kaum ins Feld brachte, erreichte er im ersten Grand-Slam-Halbfinale seiner Karriere eine Traumquote von zwischenzeitlich 90 Prozent. Dieses Service, räumte Thiem später ein, habe ihn im gesamten Match vor die größten Probleme gestellt.

Denn vor allem an seinem Schlag hatte Zverev zuvor gefeilt, oft sechs bis sieben Stunden am Tag. "Irgendwann zahlt sich die Arbeit aus", glaubte er, "dann kommt das Vertrauen in die Schläge zurück und das Gefühl, ein Match kontrollieren zu können." Auch hier half ihm sein Team. Jez Green, 47, sein britischer Athletiktrainer, der sich früher um die Fitness von Andy Murray gekümmert hatte, schnitt stundenlang Videoschnipsel zusammen. Dann verzogen sie sich in ein Zimmer und studierten Bewegungsdetails. "Er hat ein Wahnsinnsauge", sagte Zverev und berichtete, dass Green Aufgaben erledige, die gar nicht in der Jobbeschreibung stehen. Er brauche Leute um sich herum, auf deren Loyalität er sich verlassen könne, die das Fangnetz bilden, wenn er fällt. Auch deshalb hat er in Zeiten der Krise, als ihm unter anderem Boris Becker, mit der Kompetenz eines sechsmaligen Grand-Slam-Siegers, dringend zum Trainerwechsel riet, alle Ratschläge in den Wind geschlagen.

Thiem indes hatte mitten in der ersten Turnierwoche seinen gerade erst verpflichteten neuen Coach Thomas Muster entlassen, den French-Open-Sieger von 1995. Ein höchst ungewöhnlicher Schritt, aber offenbar hatte Thiem, im Vergleich zu Muster eher ein Mann der leisen Töne, die Reißleine ziehen müssen. "Wenn die Zusammenarbeit nicht funktioniert, dann beenden wir sie wieder, das war vorher so ausgemacht", erklärte er; ansonsten sei die Trennung "sehr viel entspannter" verlaufen, als die Gerüchte besagten. Er sei inzwischen 26 Jahre alt und kein Junior mehr, schickte er hinterher, er müsse seine eigenen Entscheidungen treffen. Schon vergangenes Frühjahr hatte er sich von Günter Bresnik verabschiedet, der ihm den Karacho-Stil beibrachte und 15 lange Jahre lang ein Tennis-Ziehvater für ihn war. Es sei Zeit für neue Impulse, fand er. Nun, da der Herr mit dem markanten Strohhut aus seiner Box verschwunden ist und der Chilene Nicolas Massu, Olympiasieger von 2004, dort Platz nimmt, hat Thiem vor allem an seinem Defensivspiel gearbeitet.

"Er ist ein viel besserer Spieler, als er jemals war", hat auch Zverev erkennen müssen. Thiem wirft sich noch immer mit vollem Körpergewicht in die Bälle, aber sie rauschen nun schärfer und flacher übers Netz. Das Hartplatzspiel hat der frühere Sandplatzwühler inzwischen derart perfektioniert, dass Djokovic gewarnt ist: Nachdem Thiem im Viertelfinale den Weltranglistenersten Rafael Nadal besiegt hatte, bescheinigte er ihm, über alle Mittel, die Erfahrung und die Kraft zu verfügen, "große Titel zu gewinnen".

Nach dem verlorenen ersten Satz indes schien Thiem etwas angeschlagen zu sein, vielleicht auch wegen der Magenschmerzen. Doch er erholte sich rasch. Im zweiten Durchgang setzte er seinen jüngeren Gegner vor allem bei dessen Aufschlagspielen mehr unter Druck, Zverev lag schnell 2:3 zurück, konnte zwei Chancen zum Ausgleich zum 5:5 nicht nutzen, verlor den Satz - und kurz darauf auch den Überblick, allerdings schuldlos.

Der Grund: Das Flutlicht hinter der Grundlinie fiel aus. Wieder musste das Match unterbrochen werden. Und während Turnierdirektor Craig Tiley, Chef des mit 44 Millionen Euro dotierten wichtigsten Tenniswettbewerbs der südlichen Hemisphäre, mit betretener Miene am Rande des Platzes stand, rückte erneut ein Handwerkstrupp an. Zur Unterhaltung des Publikums spielte die Organisatoren den Allzweck-Hit "Sweet Caroline" von Neil Diamond ein. Die australischen Zuschauer stimmten fröhlich schunkelnd auf den Rängen ein. Und Dominic Thiem, aufgewachsen in Wiener Neustadt, kam sich vor "wie beim Skifahren in Austria", wie er dem Hallensprecher John McEnroe später lachend erzählte.

Dann ging es weiter im dritten Satz, in dem Zverev beim Stand von 5:4 zwei Satzbälle vergab. Den Tiebreak entschied Thiem erst mit einer krachenden Vorhand, dann mit einer Rückhand aus spitzem Winkel für sich; beides war unerreichbar für Alexander Zverev. Und als auch der vierte Satz in den Tiebreak ging, musste er endgültig von seinem Traum, dem ersten Grand-Slam-Finale seines Lebens, Abschied nehmen. Dann dankte er nochmals seinem Team. Das hatte sich bereits an die nächste Aufgabe gemacht: Den Rückflug zu buchen.

© SZ vom 01.02.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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