Alexander Zverev:Erst Luxusurlaub, dann der nächste Angriff

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Letzter Konfettiregen im Turniertennis 2021: Alexander Zverev bei der Siegerehrung in Turin. (Foto: Julian Finney/Getty Images)

Was ist für Alexander Zverev in der kommenden Saison möglich? Schon bei den Australian Open könnte der beste deutsche Tennisprofi seine letzte, große Leerstelle füllen.

Von Milan Pavlovic, Turin/München

Die größten Veränderungen zeigen sich oft in Details. Als Alexander Zverev zu seinem gerade souverän erspielten Gewinn des ATP-Saisonfinales befragt wurde, sagte der Hamburger, er freue sich sehr auf den anstehenden Luxusurlaub mit Freunden und Familie auf den Malediven ("Wir werden viel Blödsinn machen") - aber nicht weniger auf den Beginn der neuen Saison. Schon in Melbourne wird er den nächsten Versuch starten, seine erste Grand-Slam-Trophäe zu erstehen und damit den letzten Schritt zu gehen: vom sehr guten zum großen Spieler. Seine Augen glänzten vor Vorfreude.

Dass der 24-Jährige ein herausragender Athlet geworden ist, steht außer Frage und lässt sich mit Fakten unterfüttern: Er hat in dieser Saison mehr Matches und Turniere gewonnen als irgendwer sonst auf der Tour (59 bzw. sechs). Er darf sich nun Olympiasieger und Weltmeister nennen. Und er hat in Turin in den abschließenden Partien die Nummer eins der Welt (Novak Djokovic) sowie die Nummer zwei (Daniil Medwedew) bezwungen - das war vor ihm nur drei Größen seines Sports gelungen: Ivan Lendl (1982), Stefan Edberg (1989) und Andre Agassi (1990). Nicht die schlechtesten Referenznamen.

"Novak Djokovic hat das Jahr mit drei Grand-Slam-Titeln dominiert", gab Zverev dennoch zu bedenken, deshalb sei seine Saison nur fast perfekt gelungen. "Ich habe in diesem Jahr auf beinahe jedem Level reüssiert - nur eines fehlt, und das möchte ich im nächsten Jahr ändern." Weshalb ihm das gelingen könnte, konnte man in Turin studieren. Er hat nicht bloß seine schärfste Waffe - das Service - so stabilisiert, dass er in wichtigen Momenten zweite Aufschläge mit mehr als 220 Stundenkilometern ins Feld donnern kann, ohne wie ein Hasardeur zu wirken.

Zverevs Fortschritte bei Taktik, Technik und innerer Ruhe sind beeindruckend

Ebenso wichtig ist, dass er sein Repertoire in jeder Hinsicht erweitert hat: sowohl was die Technik als auch die Taktik betrifft. Letzteres hilft dabei, die Ruhe zu bewahren, wenn es mal nicht läuft. Zverevs berüchtigte Ausbrüche, wenn er beizeiten à la John McEnroe versuchte, sich durch Litaneien und Schlägerverstümmelungen anzutreiben, sind rar geworden. Die Tatsache, dass er auf dem Platz fast unterkühlt wirkt, sollte aber niemand beklagen, schließlich ist sein Tennis feuriger denn je. Und spektakulärer: Vor allem gegen Djokovic imponierte Zverevs Fähigkeit, in den epischen Ballwechseln die richtigen Entscheidungen zu treffen.

Als Zverev 2018 erstmals die ATP Finals für sich entschied, kam das für ihn fast zu früh. Er war 21, die Titel flogen ihm nur so zu, und fast jeder glaubte: Der Rest würde schon folgen. Er war schon damals auf dem Weg, der beste Spieler auf der Tour zu werden, der Spiele über zwei Gewinnsätze beherrscht, aber bei Grand Slams, der höchsten Währung im Tennis, war er auf der Langstrecke von maximal sieben Best-of-five-Partien stets irgendwann ausgepumpt. Und je mehr sich die Rückschläge häuften, desto verkrampfter wirkte er. Davon war 2021 nur wenig zu bemerken.

Die Konkurrenz ist ermattet, verletzt oder verunsichert

In Turin wirkte er trotz der langen Saison frischer als irgendwer sonst, selbst Djokovic konnte mit ihm in den entscheidenden Augenblicken des Halbfinals nicht mithalten. Im Endspiel glaubte man eine Weile lang, der Schlawiner und Schauspieler Medwedew, der das Gruppenspiel gegen Zverev noch knapp für sich entschieden hatte, würde Psychospielchen betreiben. Aber nein, der Russe war einfach chancenlos. "Ich war heute mental nicht mehr bei 100 Prozent", sagte der Ermattete. "An solchen Tagen ist der Aufschlag enorm wichtig, und da war Alexander heute einfach besser." Dann blickte er nach vorne: "Kann er ein Grand-Slam-Turnier gewinnen?" Medwedew gab die Antwort selbst: "Auf jeden Fall. Wird er es tun? Das weiß keiner, denn es liegt ja nicht nur an ihm - wir sind ja auch noch da."

Auf die Hunde gekommen: Wenn Alexander Zverevs Schoßhündchen um Aufmerksamkeit buhlen, wie hier nach dem Finalsieg in Turin, gerät die Trophäe schon mal in den Hintergrund. (Foto: Luca Bruno/dpa)

Und genau das ist der Punkt, der Zverevs gierigen Blick auf das kommende Jahr erklärt: Einige Kontrahenten sind verhindert (Stefanos Tsitsipas muss am Ellbogen operiert werden); andere wissen nicht einmal ansatzweise, wo sie stehen (Dominic Thiem kehrt nach langer Pause zurück); Novak Djokovic' Teilnahme in Australien steht wegen seiner Impf-Aversion in den serbischen Sternen; Rafael Nadal ist nun auch schon 35, hat in Melbourne nur einmal gewonnen - und das war 2009. Kein Wunder, dass Zverev den Anfang der neuen Saison kaum abwarten kann.

Wie erwachsen er in den vergangenen Monaten geworden ist, zumindest in der Blase des Sports, sieht man auch daran, dass er weiß, wann er als Athlet gefragt ist und wann als Entertainer. Die ATP Finals hätten jahrelang in London organisatorisch auf höchstem Niveau stattgefunden, sagte er nun: "Aber als Sieger darf ich sagen: Turin hat das noch getoppt." Und die tifosi auf den Rängen seien "wahnsinnig", lobte Zverev. Zum Dank erntete er einen Orkan der Zuneigung, kurz bevor er auf dem Center Court die Trophäe, seine Familie und seine Hunde herzte. Sie bilden die Basis für seine neue, fast Zen-artig anmutende Gelassenheit.

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