Süddeutsche Zeitung

Geisterspiele:Der Zuschauer muss Teil der Geschichte bleiben

Manchmal klingt es gerade so, als seien Zuschauer im Stadion gar kein wichtiger Teil mehr einer postpandemischen Welt. Das wäre das Ende des Sports - und deswegen ist es gut, dass nun wie in Leipzig Konzepte für eine Rückkehr vorgestellt werden.

Kommentar von Thomas Hahn

Für Takayuki Hioki geht es erst mal nur ums Geld, wenn er über das Leben mit dem Coronavirus nachdenkt. Das liegt in der Natur seines Jobs, denn Takayuki Hioki ist der Geschäftsführer der Vermarktungsfirma Sports Branding Japan. Klubs und Verbände heuern ihn an, weil sie wissen wollen, wie sie möglichst viel verdienen können. Als ihn jetzt die Japan Times interviewte, wollte auch diese von ihm wissen, wie man das Geschäft mit dem Sport nach der Pandemie-Pause wieder auf die Beine bekommt. Und natürlich stellte Hioki sehr konsequent entsprechende Werkzeuge vor: Wetten, Livestreams, weitere Digitalstrategien. Es klang, als wäre der Zuschauer als leibhaftiger Stadiongast schon nicht mehr Teil der Rechnung.

Japanisches Zweckdenken kann sehr hilfreich sein. Und vorerst ist es nach wissenschaftlicher Erwägung ja tatsächlich am besten, Sportbetrachter auf Distanz zu halten. Das DFB-Pokalfinale am Samstag zwischen Leverkusen und dem FC Bayern darf immerhin vor 700 Menschen stattfinden (zu denen der Bundestrainer gehören darf) - ein nötiges Zugeständnis an die Gesundheitskrise. Und bei allem Verständnis sei den Fans des dänischen Klubs Aalborg BK zugerufen: dass Ihr beim verlorenen Pokalfinale gegen Sönderjyske auf der Tribüne in Esbjerg nicht die Abstandsregeln einhalten wolltet, passt nicht in die Zeit!

Trotzdem: Ein postpandemischer Sport, der seine Zukunft vor allem in der Produktion von Konserven für den Digitalkonsum sieht, darf nicht das Ziel sein. Gerade in Japan hat man manchmal den Eindruck, dass die neue Normalität ein willkommener Vorwand ist, um eine sterile, leichter zu kontrollierende Gesellschaft mit kaum sozialen Kontakten zu erschaffen. Ein Leben, das nur noch aus Vorsichtsmaßnahmen besteht? Das wäre gruselig - und das Ende des Sports. Klar, im Internet kann man jedem Bezirksligisten zu Publikum verhelfen. Mit diversen Bezahlmodellen könnten Livestreams zur Geldquelle für Amateurklubs werden.

Aber der Zuschauer im Sport ist eben nicht nur ein Kunde, den man mit irgendeiner Ware versorgen muss. Der Zuschauer ist ein Teil jeder Geschichte, die den Sport erst sehenswert macht. Sei es, weil Fans eine Stimmung erschaffen, die ihre Mannschaft zu einer besonderen Leistung motiviert. Weil die aufgeladene Atmosphäre ein Kind dazu motiviert, selbst Sport zu treiben. Oder weil Menschen zusammenkommen, die sich vorher nicht kannten. Ohne Zuschauer im Stadion fehlen dem Sport seine Energiequelle und sein gesellschaftlicher Daseinszweck. Jede Netflixserie ist auf Dauer spannender als ein Kick vor leeren Tribünen.

Der Japaner Hioki und andere Marketender dürfen den Klubs und Verbänden nichts vormachen: Sie brauchen leibhaftige Zuschauer. Sie müssen nach den Empfehlungen der Wissenschaft langsam zurück zur alten Normalität. Deshalb ist es zum Beispiel eine gute Nachricht, dass das Hygienekonzept von RB Leipzig beim Gesundheitsamt gut angekommen ist. Als erster Bundesligist kann RB seinen Fans wieder Stadionbesuche in Aussicht stellen. Vielleicht können schon im September 20 000 kommen. Bei Stehplatzverbot und Mundschutzpflicht. Immerhin.

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SZ vom 03.07.2020/schm
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