Zum Tod des Boxers:Muhammad Ali - Held für jedermann

Zum Tod des Boxers: Fasziniert die Menschen auch nach seinem Tod: Muhammad Ali

Fasziniert die Menschen auch nach seinem Tod: Muhammad Ali

(Foto: AFP)

Er war die Sonne, die alle überstrahlte. Nicht nur Weltmeister, sondern auch noch wahnsinnig cool. Ali wird die Menschen auch nach seinem Tod motivieren, ihren Weg zu gehen.

Von David Pfeifer

Von den vielen Sätzen, die nun zu Muhammad Alis Tod von ihm zitiert werden, weil er eben nicht nur ein überragender Boxer war, sondern auch ein kluger, lustiger und poetischer Mann, soll hier nur einer zitiert werden: "Was man vom Mond zu sehen glaubt, ist, dass er leuchtet, doch er benutzt nur die Sonne. So ist es mit Frazier: Er ist der Mond, Muhammad Ali die Sonne."

Es war seine Art, den anderen klein zu reden, in diesem Fall seinen Angstgegner Joe Frazier. Neben ein paar der besten Boxkämpfe der Geschichte haben wir Ali diese Technik zu verdanken: dass er das Schwere leicht und das Beängstigende unterhaltsam machen konnte. Zur Not mit einem Spruch.

Muhammad Ali wurde ein Star in den 1960er-Jahren, zu einer Zeit, in der das Schwergewichtsboxen so etwas war wie der Jazz zwanzig Jahre zuvor: eine Ära, in der besonders viele besonders Gute aufeinander trafen. Was im Jazz Miles Davis und John Coltrane darstellten, war in etwa vergleichbar mit Ali und Frazier. Eine eigene Liga, in der das knallharte Handwerk in Kunst überführt wurde. Das Betonballet, das man heute von Wladimir Klitschko und Tyson Fury zu sehen bekommt, wirkt gegen die Kämpfe von damals wie "Hau den Lukas".

Ali war in dieser Ära tatsächlich die Sonne, er überstrahlte sie alle, nicht nur Joe Frazier, sondern auch George Foreman, Ken Norton, George Chuvalo und die anderen, deren Namen nur noch eingefleischten Fans etwas sagen. Die vielen großen Kämpfer, die auch 40 Jahre später noch von diesen Jahren ihres Lebens erzählen, immer und immer wieder - sie alle würden nicht mehr befragt werden, hätten sie nicht zu irgendeinem Zeitpunkt ihrer Karriere den Boxring geteilt mit ihm, dem Größten.

Die Sonderrolle, die Muhammad Ali in der US-amerikanischen Geschichte einnimmt, kann man allerdings nicht nur vom Boxen ableiten und nicht mehr begreifen, wenn man seine Biografie aus der Gegenwart betrachtet.

Klug und eitel, selbstbewusst und schnell, frech und unschlagbar

Wegen seiner Formulierungskunst gilt er heute als erster Rapper, tatsächlich aber bereitete er nicht dem Sprechgesang den Weg, sondern der spezifischen Attitüde, die Rappern nachgesagt wird. In seinem ausgezeichneten Buch "King of the World" erzählt David Remnick, Chefredakteur des New Yorker, wie sensationell die Figur Muhammad Ali, damals noch Cassius Clay, auf die amerikanische Gesellschaft in den 1960er-Jahren wirkte. Grob gesagt gab es vor Ali nur zwei Typen von Afroamerikanern in der öffentlichen Wahrnehmung: den unauffälligen, braven Schwarzen.

So wie Joe Louis, der Ali als Weltmeister voranging und von seinen Managern darauf getrimmt worden war, sich immer nach den Erwartungen des weißen Publikums auszurichten. Und den gefährlichen Schwarzen, den Gangster, wie Alis direkter Vorgänger, Sonny Liston, der schon im Knast gesessen hatte, bevor er Weltmeister wurde.

Ali war anders: klug und eitel, selbstbewusst und schnell. Frech und unschlagbar. Er besiegte Sonny Liston und verhöhnte angepasste Schwarze als "Onkel Toms". Was er damit erreichte, erklärt Davis Miller in seinem autobiografischen Buch "The Tao of Muhammad Ali". Davis, ein schmaler Weißer aus der Mittelschicht, beschreibt darin die Wirkung, die Ali auf ihn und seine Freunde hatte. Plötzlich wollten weiße Jungs wie er sein, schmalen schwarzen Anzug auf schwarzer Haut tragen und einen Afro haben. Weil Ali nicht nur Weltmeister, sondern auch noch wahnsinnig cool war.

Ali war früh schon eine Figur der Popkultur und Politik

So wurde Muhammad Ali recht früh in seiner Karriere zu einer Figur der Popkultur und Politik. Wenn er nun in den Olymp der Menschen einzieht, die man vermisst, ohne sie persönlich gekannt zu haben, weiß man nicht sicher, in welchem Raum er sich niederlassen soll. Neben Joe Frazier und Ken Norton, die schon vor einigen Jahren gestorben sind? Zwischen Prince und David Bowie? Er könnte auch bei Malcolm X und Martin Luther King vorbeisehen. Denn je länger er lebte, desto mehr vergaß man, dass die Grundlage seiner Größe das Boxen war.

Das Boxen hatte er als Jugendlicher klassisch gelernt und als junger Mann zu einem eigenen Stil verfeinert. Er boxte offen, ohne Deckung, weil er es sich erlauben konnte. Er war schnell, besonders für einen Schwergewichtler, und hatte ein gutes Auge. Als Auge bezeichnet man die Fähigkeit von Boxern, die Aktionen ihrer Gegner vorauszuahnen, sie aus ihren Bewegungsabfolgen herauslesen zu können. Ali schien immer zu wissen, was sie als nächstes vorhatten und ließ sie dadurch schlecht aussehen, grob und tapsig.

Seine Gegner schlugen häufig ins Leere. Um diesen Effekt zu erzielen, braucht man vor allem eines: Intelligenz. Die Fähigkeit, Routinen im Ablauf zu erkennen, seine eigenen Handlungen blitzschnell darauf einzustellen. Alle Intelligenz ist allerdings vergebens, wenn Handwerk und Fitness fehlen. Ali war ein Trainingsmonster, getrieben von der Angst, im Vorfeld nicht genug in einen Kampf investiert zu haben und hinterher niemandem die Schuld an einer Niederlage geben zu können, außer sich selbst.

Er hat ja einige Kämpfe verloren, auch große, wichtige. Aber das lag an seinen Gegnern, an der Klasse von Joe Frazier und Ken Norton. Und es gehörte zu Alis Klasse, gegen diese Männer noch mal anzutreten und sie im Rückkampf zu schlagen.

Beim "Rumble in the Jungle" blitzt nur einmal das Genie auf

Sein berühmtester Kampf war dabei nicht sein stärkster: der sogenannte "Rumble in the Jungle" gegen George Foreman. Verewigt durch den oscarprämierten Dokumentarfilm "When we were kings". Ali konnte gegen den jüngeren, stärkeren Foreman wenig von seiner boxerischen Klasse zeigen - dafür seine ganze Intelligenz. Er gab seiner Ausweichtechnik später den lässig klingenden Namen "Rope-A-Dope", weil er sich so weit in die Seile hängen ließ, dass er die Härte von Foremans Schlägen kompensieren konnte. Dabei provozierte er den jungen, überheblichen Weltmeister so lange, bis dieser entnervt und entkräftet Opfer einer Schlagserie wurde. Im Grunde ist diese Serie, die zu Foremans K.o. führte, das einzige Mal in dieser Begegnung, in der Alis boxerisches Genie aufblitzt. Sein Auge und seine Fähigkeit, Schlagfolgen beliebig zu variieren.

Sonst war Ali in diesem Kampf schon mehr Darsteller seiner selbst gewesen. Ein Ausnahmeboxer war er die Jahre zuvor, vor allem vor seiner Kriegsdienstverweigerung, die ihn um die besten drei Jahre seiner Karriere brachte. Und der große Krieger wurde er erst später, im dritten Kampf gegen Joe Frazier, der ihm stets die härtesten Schlachten abverlangte.Dass der Foreman-Kampf heute so legendär ist, liegt auch an dem, was in "When we were Kings" neben dem Boxen dokumentiert wird: der schlagfertige Ali, ständig umringt von Journalisten, gut aussehend, strahlend, überlebensgroß.

Der Regisseur Michael Mann scheiterte Jahre später daran, Alis Leben in einen spannenden Film zu packen. Will Smith trainierte sich sogar Alis Muskeltonus mimetisch an, die Kämpfe wurden Schlag für Schlag nachgestellt - aber Ali war da schon so etwas wie eine selbsterfundene Märchengestalt. Es gab seiner Erscheinung keine Ebene hinzuzufügen. Stattdessen hätte man lieber eine der vielen Dokumentationen über den echten Ali gesehen, die immer besser waren als das, was Hollywood zu bieten hatte.

Als er in Atlanta das Feuer entzündet, weinen erwachsene Männer

Natürlich tat Ali auch, was allen Großen vor und nach ihm nicht erspart blieb: er verpasste den würdevollen Rücktritt. Er machte letzte, schlimme Kämpfe, in denen er lediglich eine Illusion seiner einstigen Klasse beschwor, wenn er seinen Tanz, den Ali-Shuffle zeigte, und den Rest nicht mehr abrufen konnte. In seinem vorletzten Kampf, gegen Larry Holmes im Jahr 1980, bat Holmes den Ringrichter mehrfach abzubrechen, weil er sein einstiges Idol nicht weiter mit Schlägen demütigen wollte. Ali hatte da schon Parkinson und seine Form nur mit Einsatz von Diätpillen optisch simulieren können.

Seine wirkliche Größe zeigte er danach. Er wurde ein Held für Jedermann.

Als er bei den Olympischen Spielen in Atlanta 1996 das Olympische Feuer entzündete, verzauberte er die Massen wieder, obwohl er da schon älter wirkte, als er eigentlich war. Zitternd und schwach kam er einem vor, wie er sich die letzten Zentimeter mit der Fackel in der Hand seinem Ziel entgegen kämpfte. Man fieberte mit ihm, wie früher bei seinen großen Gefechten. Er wurde zur Verkörperung des Prinzips, dass Gewinnen eine tolle Sache ist - aber erst wie man weiter macht, wenn man am Boden lag, definiert den Charakter.

Im Stadion und an den Millionen Bildschirmen weltweit weinten erwachsene Männer bei dieser Szene. Unter ihnen Bill Clinton. Einzig Joe Frazier soll in dem Moment geknurrt haben: "Ich hoffe, er fällt in die Flammen." Dabei waren die beiden halbwegs versöhnt, untrennbar verbunden durch ihre großen Kämpfe, von denen man vor allem den dritten, den "Thrilla in Manila" immer noch ansehen kann, auch ein zehntes Mal, ohne dass es langweilig wird. Obwohl das Ergebnis seit über 40 Jahren fest steht. Ali war eben größer als Hollywood.

Dieses letzte Aufeinandertreffen von Sonne und Mond endete damit, dass Fraziers Trainer Eddie Futch den Kampf vor der fünfzehnten und letzten Runde aufgab. Er hatte Angst, dass sein Schützling sonst nicht überlebt hätte. Wer sich diesen in der Geschichte eingefrorenen Moment noch mal ansieht, ahnt, dass er damit richtig lag. Damals brach Ali, der aufspringen wollte, um zu jubeln, sofort zusammen. Es hätte so oder so enden können, aber wohl nicht gut.

Die selbsterfundene Märchengestalt wird weiter existieren

So aber durften wir weiter Zeuge werden, wie Muhammad Ali sich in sein eigenes Denkmal verwandelte, leicht schlurfend, mit schleppender Sprache, eingesperrt in seinem einst mächtigen Körper, aber geistig voll da. Er reiste um die Welt als friedlicher Botschafter des Islam. Er besuchte Kuba, als inoffizieller Botschafter der USA. Er wurde ein Wanderprediger der guten Sache.

Auch deswegen wird der Mann, der am 17. Januar 1942 als Cassius Clay in Louisville, Kentucky, geboren wurde, und am 3. Juni 2016 in Phoenix, Arizona im Alter von 74 Jahren als Muhammad Ali an einer Blutvergiftung gestorben ist, nicht ganz verschwinden. Die selbsterfundene Märchengestalt wird weiter existieren. Er wird Generationen von Boxern und alle anderen Menschen weiter dazu motivieren, ihren eigenen Weg zu gehen, hart zu arbeiten und es dabei umso leichter wirken zu lassen. Den Mund aufzumachen, auch wenn man Angst hat. Und dabei nicht zu vergessen, dass die Wahrheit weniger weh tut, wenn man sie in einen guten Spruch verpackt.

Die Erde wird sich weiter drehen, die echte Sonne wird auch morgen aufgehen. Aber etwas weniger hell könnte einem die Welt ohne Ali schon erscheinen.

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