Zum Tod von Juan Antonio Samaranch:Der Machthaber

Zum Tode von Juan Antonio Samaranch: Niemand hat den Weltsport so stark verändert wie der langjährige IOC-Präsident, der am Mittwoch an Herzversagen starb.

Michael Gernandt

Gemeinhin gilt als gesicherte Erkenntnis, dass Jimmy Carter nicht zu den bedeutenden amerikanischen Präsidenten der USA gehört. Eine Erkenntnis, die auch Juan Antonio Samaranch befürworten würde, obwohl der Erdnussfarmer aus Georgia im weitesten Sinne einer der Steigbügelhalter des Katalanen gewesen ist beim Aufstieg ins Präsidentenamt des Internationalen Olympischen Komitees (IOC).

Samaranch, afp

Juan Antonio Samaranch im Jahr 2009.

(Foto: Foto: afp)

Als Reaktion auf den Einmarsch der Sowjets in Afghanistan hatte Carter den Boykott der Olympischen Spiele 1980 in Moskau beschlossen, worauf Bundeskanzler Schmidt den von Willy Daume geführten bundesdeutschen Olympiasportlern mit Nachdruck nahelegte, Moskau ebenfalls fernzubleiben. Daume, ein überzeugter Boykottgegner, musste sich der Bonner Order beugen, wissend, was der Verzicht für ihn, der sich auf der IOC-Session in Moskau ebenfalls um das Präsidentenamt bemühte, persönlich bedeutete: Chancenlosigkeit im Wahlduell mit Samaranch. Daume damals, resigniert, aber realistisch: "Einer, der Olympia boykottiert, wird nicht gewählt." Ohne die Konkurrenz des vorzeitig gescheiterten Daume siegte Samaranch mühelos. Ein Gewinner des Carter-Boykotts.

Annäherung ans Profitum

Noch ein weiterer Deutscher beflügelte die Ambitionen des damals 60-jährigen Präsidentschaftskandidaten aus Barcelona: Horst Dassler, Chef des Herzogenauracher Sportartikelherstellers Adidas. Der Franke war der große Puppenspieler des Weltsports und zog solange an den richtigen Strippen, bis sein Favorit Samaranch installiert war.

Die Vorgänge vor den Moskauer Spielen vermittelten den ersten Eindruck von der bis 2001 währenden Ära Samaranch. Sie gründete auf Macht, Einfluss, Ränkespielen, Geld und Korruption. Als die gefährliche Mischung beim Bestechungsskandal vor den Winterspielen 2002 in Salt Lake City (USA) zur Explosion kam, hatte Samaranch die Verantwortung bereits an seinen Nachfolger weitergereicht, den Belgier Jacques Rogge.

Es ist müßig zu hinterfragen, ob das IOC unter einem Präsidenten Daume einen anderen Weg eingeschlagen hätte, zu mehr geistiger Führung vielleicht und konsequenter Wahrung von Werten. Historisch verankert ist indessen, dass der Deutsche Samaranch gleich zu Beginn von dessen Amtszeit entscheidende Hilfestellung leistete für eine Veränderung im Regelwerk des Fünfringezirkels, deren Auswirkung stets an erster Stelle genannt wird, wenn die Lebensleistung des siebten IOC-Präsidenten beschrieben werden soll: die beim Olympischen Kongress 1981 in Baden-Baden beschlossene Abschaffung des Amateur-Paragrafen, gleichzusetzen mit der Annäherung auch der olympischen Wettbewerbe ans Profitum.

Daume half, weil er angesichts der de facto bereits professionellen Ostblockmethoden den Sport "weitgehend außerhalb der Realität" wähnte, "und was noch schlimmer ist, außerhalb der Gerechtigkeit". Dass ihm gleichwohl die letzte Überzeugung fehlte, lag wohl an der Ahnung, dass Unheil heraufziehen würde für die Bewegung in der hemmungslosen Hingabe zum Kommerz.

Parteigänger und Botschafter

Als Samaranch nach 14-jähriger Mitgliedschaft im IOC dessen höchstes Amt 1980 von dem Iren Michael Killanin übernahm, war das Komitee im Vergleich zur heutigen Situation bitterarm, gerade mal 200.000 Dollar betrugen die Rücklagen. Von 1984 an explodierten die Honorare für die TV-Rechte an den Spielen, waren Weltfirmen plötzlich bereit, die Sponsorentöpfe zu füllen.

Samaranch, als Parteigänger des Diktators Franco und als Moskau-Botschafter des Königs Juan Carlos politisch und diplomatisch mit allen Wassern gewaschen, hatte ganze Arbeit geleistet - und dabei Mittel eingesetzt, an die sich die Tugendwächter des Sports bis heute nicht gewöhnt haben, ohne sie verhindern zu können. Er setzte Partner unter Druck, verhandelte mit zweifelhaften Personen, arbeitete mit Intrige und Korruption, traf Geheimabsprachen, verschwieg, hofierte.

Die Abermillionen, die Samaranch akquirieren ließ, verschafften dem IOC Unabhängigkeit, Machtfülle und ein Selbstbewusstsein, das den Präsidenten vom Friedensnobelpreis für sein IOC schwadronieren ließ. Aber auch Verdruss, der die Amtsperioden des 1991 in den Adelsstand erhobenen Katalanen wie ein immer wieder aufbrechendes Geschwür begleitete: Spätestens 1988, als der Sprint-Olympiasieger und Weltrekordler Ben Johnson der pharmakologischen Manipulation überführt wurde, musste das IOC erkennen, dass die vom unkontrollierten Geldfluss fett gewordene Krake Doping höchste Gefahr für das florierende Unternehmen bedeutete.

Nur: Juan Antonio Samaranch hat gegen die Seuche keine wirksamen Schritte durchgesetzt. Er empfand Doping als lästig wie Mückenstiche und spielte auf Risiko. Durch rigorose Überwachung verschreckte Stars, denen er gerade erst Zutritt zum Weltzirkus Olympia verschafft hatte, konnte er nicht gebrauchen. Sein Geschäft florierte nur, wenn er sie weiter auf dem Hochseil balancieren ließ.

Die Öffnung des Markts

Natürlich erwuchsen aus der Öffnung des Markts nicht nur Nachteile. Die seit den achtziger Jahren sozial besser gestellten Sportler gehören nicht zu denen, die Samaranch Verrat an den hehren Regeln des olympischen Sports vorwerfen. Und überhaupt: Nicht alles, was er auf den Weg brachte, muss kritisch hinterfragt werden. So holte er jene Gruppe ins Komitee, um die sich im Sport alles drehen sollte, die Sportler; auch für Frauen machte er das Plenum zugängig. Dass 2013 erstmals eine Frau Chancen auf die Präsidentschaft besitzt, die Marokkanerin El Moutawakel, ist ein Verdienst Samaranchs.

Unter den acht IOC-Vorsitzenden seit der Wiedereinführung der Olympischen Spiele 1896 nimmt Samaranch trotz aller Bedenken zu seiner Person und seiner Politik eine herausgehobene Position ein. Höchstens Pierre de Coubertin, Präsident Nummer eins, und der erste Mann in der Zeit zwischen 1952 und 1972, Avery Brundage, hatten ein ähnlich scharf konturiertes Profil (über den jetzigen Chef Rogge kann ein abschließendes Urteil erst am Ende seiner Amtszeit, 2013, gefällt werden). Freilich, keiner war so widersprüchlich wie Samaranch. Diese Eigenschaft hat am Ende abgefärbt auf die Weltregierung des Sports: Zuweilen stellt sich das IOC dar wie ein Widerspruch in sich.

Juan Antonio Samaranch ist am Mittwoch, drei Monate vor seinem 90. Geburtstag, in seiner Heimatstadt an Herzversagen gestorben.

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