Zum Tod von Gerhard Mayer-Vorfelder:Talentförderer auf Rechtsaußen

Gerhard Mayer-Vorfelder war als Politiker für viele ein Feindbild, als Funktionär umstritten. Aber der deutsche Fußball hat ihm auch viel zu verdanken.

Von Matthias Schmid

Wer in den Achtziger- und Neunzigerjahren auf der Schwäbischen Alb als Sohn eines Gymnasiallehrers aufgewachsen ist, hat früh gelernt, dass Gerhard Mayer-Vorfelder ein "Seckel" (sprich: Seggl) war. Seckel, das meistbenutzte schwäbische Schimpfwort, gibt es in allerlei Variationen, es wird derb und auch liebevoll eingesetzt. Die Steigerung von Seckel ist "Granadaseggl". So einer war Gerhard Mayer-Vorfelder, Minister für Kultus und Sport in Baden-Württemberg, in den Augen vieler liberaler und grün wählender Lehrer damals. Später wurde ihr Chef Finanzminister und blieb für viele ein natürliches Feindbild. Der Erzkonservative verglich Hausbesetzer mit SA-Horden, sah in allen Lehrern Nichtsnutze in Turnschuhen und wollte die Schüler im Ländle alle drei Strophen der Nationalhymne singen lassen.

Es gab den CDU-Politiker Mayer-Vorfelder, und es gab den Fußballfunktionär Mayer-Vorfelder, der den VfB in seiner 25 Jahre währenden Amtszeit zu zwei deutschen Meisterschaften und einem Pokalsieg führte. Das brachte ihm bei den Lehrern zwar keine Bewunderung ein, aber zumindest Respekt. Auch sie litten schließlich mit dem VfB, auch wenn sie das nicht zugeben wollten.

Bundesweit bekannt wurde "MV", wie ihn alle nannten, als er 2001 zum Präsidenten des Deutschen Fußball-Bundes gewählt wurde. Mit Hartnäckigkeit brachte er nach der missratenenen EM 2000 gegen große Widerstände ein teures Konzept zur Nachwuchsförderung auf den Weg, das heute weltweit beachtet und geschätzt wird und nebenbei der deutschen Elf im vergangenen Jahr zum WM-Titel verholfen hat. MV ließ deutschlandweit ein enges Netz an Stützpunkten einrichten, die A-Jugend-Bundesliga gründen und machte es den Profiklubs zur Auflage, Nachwuchsleistungszentren zu unterhalten, die regelmäßig zertifiziert werden.

Es gehört wohl zu den Widersprüchen in seinem Leben, dass einerseits 2014 Spieler wie Özil, Khedira und Podolski den WM-Pokal hochrecken durften, Mayer-Vorfelder sich andererseits einst darüber beschwert hatte, dass in einem Bundesligaspiel "nur zwei Germanen" auf dem Platz stünden.

Mayer-Vorfelder war schon immer ein Mensch, der den Leuten nicht egal war, er war ein Agitator, ein Provokateur auf Rechtsaußen im Kabinett und in seiner Partei. Er liebte die schrillen Auftritte mit seiner Ehefrau Margit, die stets die kürzesten Röcke trug. Seine Sucht nach Öffentlichkeit, nach Bewunderung und Anerkennung machte ihn zu einem der umstrittensten Figuren in der jüngeren Geschiche Baden-Württembergs. "Ich war immer der, der ich war - mit allen guten und weniger guten Seiten", beschrieb er sich einmal selbst.

MV kam am 3. März 1933 in Mannheim als Sohn eines Oberregierungsrats auf die Welt. Einen großen Teil seiner Jugend verbrachte er in der südbadischen Heimat seiner Mutter, wo er für den SV Waldshut als Mittelläufer kickte. Der Fußball ließ ihn auch nicht los, als er Rechtswissenschaften in Freiburg und Heidelberg studierte und schnell Karriere im baden-württembergischen Innenministerium von Hans Filbinger machte. Er blieb auch dessen persönlicher Referent, als dieser 1966 Kurt Georg Kiesinger im Amt des Ministerpräsidenten ablöste.

"Ich bin fast täglich im Schützengraben gestanden"

Fast gleichzeitig begann er beim Württembergischen Fußballverband (WFV) seine Laufbahn als Funktionär, bis 1985 saß er dort im Vorstand. Doch erst mit der Wahl zum Präsidenten beim VfB Stuttgart machte er sich einen Namen über die Landesgrenzen hinaus. Doch seinem Anfang wohnte eine sportliche Katastrophe inne, zwei Tage nach seiner Amtseinführung stieg der VfB erstmals in die zweite Liga ab.

Aber mit ihm an der Spitze kehrte der Traditionsklub zwei Jahre später stärker denn je in die Bundesliga zurück und gewann 1984 die deutsche Meisterschaft. Ein weiterer Titel und ein Pokalsieg kamen in seiner Amtszeit hinzu, die 2000 endete. Mayer-Vorfelder hinterließ dem Klub nicht nur eine schmucke Geschäftsstelle und eine gut funktionierende Nachwuchsarbeit, sondern auch einen Schuldenberg von rund 30 Millionen D-Mark. Dennoch bezeichnete er sein Wirken im Nachhinein in seiner wenig bescheidenen Art selbst als "Glücksfall für den VfB".

Seinen autokratischen Führungsstil lernten sie auch schnell beim DFB kennen, nachdem die Delegierten ihn am 28. April 2001 zum DFB-Präsident gewählt hatten. Nicht alle erinnern sich gerne an diese Zeit. "Der Diktator", nannten sie ihn. MV sei unfähig zum Mannschaftsspiel, ein Überflieger, der keine Akten lese, aber alles besser wisse, ein Störenfried, der beim Tagesordnungspunkt elf plötzlich wieder über den dritten sprechen wolle. Doch los bekamen sie ihn nicht, es gelang nicht einmal Lichtgestalt Franz Beckenbauer, Mayer-Vorfelder zu verhindern, nachdem der von ihm protegierte designierte neue Bundestrainer Christoph Daum des Kokainmissbrauchs überführt worden war. Später, in seinen letzten beiden Jahren bis 2006 musste er aber eine Doppelspitze mit Theo Zwanziger ertragen.

Erst nach einer Herzoperation wird er demütiger

Als langjähriger Politiker war Mayer-Vorfelder Skepsis, Häme und Missgunst gewohnt, er sammelte Affären und Skandale (Toto-Lotto, Südmilch, Steuersache Graf) wie andere Briefmarken. Er überstand sie alle - unbeschadet. Sie schienen ihm sogar ein gewisses Vergnügen zu bereiten. "Ich bin fast täglich im Schützengraben gestanden, um mich herum sind die Giftpfeile geschwirrt", hat er einmal erzählt. Es schwang Stolz mit in dieser Aussage.

Doch erst Jahre später, als er nach der rauschenden Heim-WM 2006 eine schwere Herzoperation überlebte, ließ er durchblicken, dass ihm die kritische Sichtweise, die Beschimpfungen an seiner Person doch etwas ausmachten. Nachdem er als DFB-Präsident aufgehört hatte, war er leiser geworden, bescheidener und sogar ein wenig demütig. "Die Endlichkeit des Daseins" sei ihm bewusst geworden, hat er gesagt. Er sei sogar froh, ein alter Mann geworden zu sein - bei seinem unsteten Lebenswandel, zu dem neben der Liebe zum Wein und den Zigaretten auch gehörte, dass er immer als Letzter das Licht ausknipste, im Büro wie auf Festen. Er wolle kein Seckel sein, "nur respektiert werden", bekannte er in einem seiner letzten Interviews.

Gerhard Mayer-Vorfelder ist am Montag in einem Stuttgarter Krankenhaus im Alter von 82 Jahren gestorben. Er hinterlässt seine Frau und vier Kinder.

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