Nachruf auf den Holländer:Cruyff hat dem Fußball mehr gegeben als eine Horde Weltmeister

Nachruf auf den Holländer: Johan Cruyff (links) läuft im WM-Finale 1974 Paul Breitner (weißes Trikot, am Boden) davon.

Johan Cruyff (links) läuft im WM-Finale 1974 Paul Breitner (weißes Trikot, am Boden) davon.

(Foto: AP)

Der dünne Kerl aus Amsterdam war ein Visionär. Ausgerechnet die Deutschen profitieren wie kein anderes Land von seinem Erbe.

Nachruf von Thomas Hummel

Warum hat Johan Cruyff, der beste Fußballer seiner Zeit, im wichtigsten Spiel seine vielleicht schwächste Leistung gezeigt? Klar, der kleine Vogts verfolgte ihn bis zur Eckfahne.

Alle Deutschen warteten grimmig darauf, es diesem Schnösel Cruyff zu zeigen und warfen sich ihm entgegen. Doch das hatten schon andere versucht bis zu diesem 7. Juli 1974 in München. Und nie hatte es gewirkt. Johan Cruyff war einfach immer der Beste gewesen. Nur diesmal nicht, nicht in seinem WM-Finale.

Später erzählte der niederländische Autor Auke Kok eine andere Geschichte. Eine Woche zuvor hatten die Holländer in der luxuriösen Spielerherberge Krautkrämer in Hiltrup eine Feier organisiert.

Diese artete ein wenig aus, Spieler gingen mit deutschen Mädchen nackt schwimmen. Blöderweise übersahen die Niederländer, dass ein deutscher Journalist auf der Party war. Der die Geschichte prompt der Bild-Zeitung verkaufte, die titelte: "Cruyff, Sekt, nackte Mädchen und ein kühles Bad."

Zwar dementierten die Niederländer die ganze Story rundweg, das ganze Land schäumte wegen der angeblichen deutschen Verleumdung. Nur Cruyffs Ehefrau glaubte sie und drohte ihrem Johan nächtelang am Telefon mit der Scheidung. Keine ideale Vorbereitung auf das wichtigste Spiel des Lebens. Und so durfte Franz Beckenbauer in seiner ureigensten Art später süffisant erklären: "Johan war der bessere Fußballer, aber ich war Weltmeister."

Vom damaligen Fußballzwerg Niederlande ging eine Revolution aus

Weltmeister war Johan Cruyff nie. Weder als Spieler noch als Trainer. Und dennoch darf behauptet werden, dass der dünne Kerl aus Amsterdam dem Fußball mehr gegeben hat als eine Horde Weltmeister zusammen. Cruyff ist an diesem Donnerstag im Alter von 68 Jahren an Lungenkrebs gestorben. Mitten in einer Zeit, in der ausgerechnet diese Deutschen von seinem Erbe profitieren wie kaum ein anderes Land.

Ende der sechziger Jahre ging von dem damaligen Fußballzwerg Niederlande eine Revolution aus. Bis dahin war Manndeckung angesagt, jeder Spieler blieb auf seinem Posten, hatte eine Aufgabe, die er stur erfüllte. Bis die Holländer alles veränderten.

Ernst Happel bei Feyenoord Rotterdam und vor allem Rinus Michels bei Ajax Amsterdam setzten darauf, dass alle Spieler stürmten und alle verteidigten. Sie pochten auf totale Disziplin, Teamgeist und Respekt vor den Mitspielern. Ihre Mannschaften spielten Pressing, mit Abseitsfalle und knöpften den Gegnern schon in deren Hälfte den Ball ab. Die holländische Schule war geboren.

Michels erkannte das Talent des schmächtigen Johan Cruyff. Der war als Jugendlicher so dünn, dass ihn Ajax schon wegschicken wollte. Dabei war dieser Junge immer schon hier gewesen. Als Vater Cruyff gestorben war, hatte die Mutter eine Stellung als Putz- und Kantinenfrau im Klub angenommen.

Der zwölfjährige Johan wuchs praktisch auf dem Klubgelände auf. Er saugte alles auf und entwickelte sich zu einem Visionär des Spiels. Doch erst Michels machte aus ihm einen Erwachsenen, mit Kraftübungen und Waldläufen trimmte er ihn so lange, bis er sich auf dem Spielfeld körperlich wehren konnte.

Schon als Jugendlicher begann er stark zu rauchen

Immer noch schlaksig schlängelte er sich wendig und schnell wie ein Tänzer um die Gegenspieler. Er beherrschte den Ball mit beiden Beinen und hatte ein einzigartiges strategisches Geschick. Er war Spielmacher, Vorlagengeber und Torschütze in einem. Alles lief über ihn, König Johan. Ajax führte er zu drei Erfolgen im Europapokal der Landesmeister (1971-73), dreimal wurde er Europas Fußballer des Jahres (1971, 1973 und 1974).

Cruyffs Holländer symbolisierten den Aufbruch in eine neue Zeit: Mit Leichtigkeit, langen Haaren und Gemeinsinn eroberten sie die Welt. Scheinbar locker, lässig und auch ein bisschen launisch - schon als Jugendlicher begann er stark zu rauchen und wurde selbst kurz nach Spielen gerne mit Zigarette im Mund angetroffen.

Er sagte einmal: "Wir haben der Welt gezeigt, dass man Spaß daran haben konnte, Fußballer zu sein. Wir konnten lachen und hatten eine großartige Zeit. Ich stehe für eine Ära, in der bewiesen wurde, dass Fußball gleichzeitig attraktiv und erfolgreich sein kann, und außerdem sehr viel Spaß macht."

Doch immer schwang auch diese Arroganz mit. Diese maßlose Überzeugung, der Größte zu sein. Fachlich sowieso und dazu noch moralisch auf der richtigen Seite. Das stimmte zwar meistens. Dennoch war die Attitüde für viele Wegbegleiter schwer zu ertragen.

Er quasselte sowohl auf wie auch neben dem Spielfeld und geigte jedem ungefragt die Meinung. Praktisch alle Karrierestationen endeten im Streit oder Eklat. Seine Männerfeindschaft mit dem ebenfalls sehr selbstbewussten Louis van Gaal ist legendär.

"Cruyff baute die Kathedrale - wir halten sie nur instand"

Bei Ajax haben ihn 1973 die Mitspieler als Kapitän abgewählt. Der stolze Johan wechselte daraufhin nach Spanien, aber natürlich nicht zu dem vom rechten Diktator Franco unterstützten Real Madrid. Sondern zu den Rebellen des FC Barcelona, wo Mentor Michels schon war.

Im ersten Jahr als Spieler führte er den Klub vom vorletzten Platz zur ersten Meisterschaft nach 14 Jahren. Und weil auf dem Weg dorthin Real Madrid 5:0 geschlagen wurde, erhoben ihn die Katalanen von Beginn an zum Nationalhelden.

Als Spieler kam in fünf Jahren nur ein Pokalsieg hinzu, als er 1988 wieder von Ajax als Trainer nach Barcelona kam, stülpte er dem gesamten Klub seine Ideen über. Er erschuf das moderne Barça.

"Cruyff baute die Kathedrale. Wir halten sie nur instand", sagte Pep Guardiola einmal. Er wirkte maßgeblich am Jugendzentrum La Masia mit und ließ seine Mannschaft einen völlig neuen Fußball spielen. Er überführte Michels totaalvoetball in die neue Zeit, gewann zwei Europapokale und vier Meisterschaften.

Dass Holland und Spanien bis heute die Avantgarde des Fußballs sind, geht weitgehend auf die Ideen des dünnen Jungen aus Amsterdam zurück. Bundestrainer Joachim Löw schaute sich da so einiges ab und führte die DFB-Elf zum vierten WM-Titel. Der FC Bayern profitiert von Cruyffs Trainerzögling Pep Guardiola. Selbst den Deutschen, die ihm seine bitterste Niederlage beibrachten, hat er am Ende geholfen, besser Fußball zu spielen.

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