Zum Tod des Ex-Fußballers:Michael Tönnies - der Albtraum des Oliver Kahn

Michael Tönnies

Michael Tönnies spielte zu einer Zeit, in der Schnauzbärte noch kein ironisches Statement waren.

(Foto: dpa)

Fünf Tore schoss Michael Tönnies in einem Spiel gegen den späteren Welttorhüter. Jetzt ist der außergewöhnliche Ex-Stürmer überraschend gestorben.

Nachruf von Carsten Scheele

Das große Glück des Michael Tönnies war, dass Oliver Kahn am 27. August 1991 noch ein junger Hüpfer war. Später, in seinen furchteinflössenderen Zeiten beim FC Bayern, wäre ihm der ausgewachsene Kahn vermutlich mit dem Fuß voran in die Parade gesprungen, oder hätte zur Strafe an Tönnies' Ohr geknabbert, wie einst bei Heiko Herrlich.

Als Tönnies, damals Stürmer des MSV Duisburg, auf Kahn traf, war dieser erst 22 Jahre alt und spielte noch beim Karlsruher SC. Es war ein denkwürdiges Spiel für Kahn, in der zehnten Minute bekam er von Tönnies das erste Tor eingeschenkt, kurz darauf das zweite (12.), sogar per Fallrückzieher, und das dritte (15). Drei Tore in sechs Minuten, damals ein Rekord in der Bundesliga (bis 2015 Robert Lewandowski kam und Wolfsburg zerfledderte). Kahn schnaubte. Doch Tönnies hatte nicht genug. Schoss zwei weitere Tore, zum 5:1 und 6:2, ehe er sich in der 80. Minute auswechseln ließ. Der "Tornado", wie die Fans ihn riefen, hatte fünfmal gegen den späteren National- und Welttorhüter getroffen. Fünf! Mal!

Tönnies spielte in einer Zeit, in der die Sportschau noch heilig war und die Profis von Medientraining nicht einmal gehört hatten. Er war ein waschechter Ruhrpottstürmer mit Schnauzbart, herzlich, ehrlich, ein "Typ", wie es so schön heißt. Der manchmal nicht so viel trainierte, wie er sollte; der seine Popularität aber nutzte, um Frauen aufzureißen. "Beim Saufen und Laufen war ich immer der Letzte", sagte er einmal. Ein anderer Spruch: "Pommes und Pils, so konnte ich prima leben. Aber man wird reifer, also lassen wir die Pommes weg."

Tönnies spielte für Schalke, Essen, Bocholt, Wuppertal. Seine beste Zeit hatte er beim MSV Duisburg, mit dem er in die erste Liga aufstieg. 40 Bundesligaspiele bestritt er, erzielte 13 Tore - fünf davon gegen Kahn. Ein Angebot der Bayern lehnte er ab, weil er es sich "nicht zutraute". Für die Nationalmannschaft kam er nie ernsthaft in Frage, doch im Juniorenbereich des DFB hatte er einen großen Auftritt: 1977, bei einem Turnier in Israel, erzielte der 18-jährige Tönnies beim 8:0 gegen Dänemark - na klar - fünf Tore.

Nach seiner Karriere wurde Tönnies Trainer und Sportlicher Leiter im Amateurbereich. Er rauchte viel, zum Teil 80 Zigaretten am Tag, trank Alkohol, zockte. Als er 2005 die Diagnose "Lungenemphysem" bekam, dachte er an Selbstmord. Der Zeitschrift Reviersport sagte er einmal: "Ich hatte keine Freude mehr am Leben und habe mich nur als eine Belastung empfunden. Alle haben mich mitleidig angeschaut. Wenn man mal von tausenden Fans gefeiert wurde und dann wie ein Häufchen Elend im Bett liegt, bricht eine Welt zusammen." Treue Fans des MSV Duisburg gestalteten ein Buch, in dem sie schrieben, wie Tönnies sie als Spieler inspiriert habe. Er entschied sich zu kämpfen.

2013 wurde Tönnies eine Lunge transplantiert, es ging ihm gut. Bis zuletzt war er zweiter Stadionsprecher seines MSV Duisburg und sagte die Mannschaftsaufstellungen an. Im Sommer wollte er ein Benefizturnier für Nachwuchsmannschaften veranstalten. Tönnies ist am Donnerstag überraschend im Alter von 57 Jahren gestorben.

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