Zukunft der Nationalelf:Wo ist Hacki Wimmer?

Das DFB-Team besitzt mit Mesut Özil, Mario Götze, Thomas Müller oder Andre Schürrle außergewöhnliche Angriffsspieler, die jeden Gegner auseinander kombinieren können. Doch Bundestrainer Joachim Löw muss sich gut überlegen, ob er mit solch offensiven Aufstellungen für die EM plant.

Thomas Hummel

Am Ende durften sie zusammen ihren Spieldrang ausleben. Bastian Schweinsteiger, Mario Götze, Thomas Müller, Mesut Özil, Andre Schürrle und Miroslav Klose. Die Österreicher drohten endgültig die Kontrolle über ihre Sinne zu verlieren ob der Geschwindigkeit um sie herum, ob der Finten und Tricks, ob der Aussichtslosigkeit ihres Daseins im Schalker Stadion. Würde ein Fußballspiel 100 Minuten lang dauern, das Spiel hätte zweistellig enden können.

Deutschland - Österreich 6:2

Offensives Überangebot: In der DFB-Elf gibt es mittlerweile mehr als genügend Spieler wie Mario Götze (re.), Andre Schürrle oder Mesut Özil - doch wer sichert die Abwehr?

(Foto: dpa)

Durften sich vor nicht allzu langer Zeit Spezial-Begabungen wie Carsten Janker, Paolo Rink oder Thomas Brdaric als Vertreter deutscher Sturmarbeit das weiße Trikot anziehen, so ist beim DFB im Jahr 2011 das Angebot an wunderbaren Offensivspielern unerschöpflich.

Die wichtigste Frage an den Bundestrainer erscheint nun, wann Mario Götze und Mesut Özil endlich zusammen spielen dürfen? Und natürlich wolle man auch Andre Schürrle sehen. Thomas Müller ist sowieso einzigartig, Lukas Podolski beim DFB immer stark. Mit Marco Reus steht der nächste Schallgeschwindigkeits-Kicker parat, beim FC Schalke hat sich der 17-jährige Julian Draxler in die Stammelf getrickst.

Ein bereits 23-Jähriger wie Kevin Großkreutz vom Meister Dortmund spielt schon gar keine Rolle mehr. Joachim Löw ist ein Freund des kreativen Offensivfußballs. Fußball, der sich auf die Abwehrarbeit und das Zerstören des gegnerischen Spiels konzentriert, ist ihm ein Graus. So lernt er den beim FC Bayern offensiv eingesetzten Toni Kroos zum Zwischenspieler um, der beim FC Bayern auf der Acht spielende Bastian Schweinsteiger muss beim DFB-Team den alleinigen Sechser geben.

Wenn das alles funktioniert, gerät das Publikum in Verzückung und die Lobpreisungen finden kein Ende. Die Brasilianer sind selten so vorgeführt worden wie im August in Stuttgart, die Österreicher ergreift nach ihrer epochalen Pleite eine düstere Selbstmitleids-Stimmung. Diese deutsche Mannschaft kann inzwischen jeden Gegner auseinanderspielen. Sogar den bislang übermächtigen Spaniern könnte dies heute widerfahren.

Schön, schön, sagen die etwas älteren Beobachter. Aber die deutsche Elf von 1972 war mindestens genauso bezaubernd. Mit Netzer, Overath, Hoeneß, Müller, Beckenbauer, Breitner. Sie erfand den Pass in den freien Raum beim ersten Auswärtssieg in England und gewann das EM-Finale gegen die UdSSR 3:0. Es spielte ein deutscher Jahrgang mit unerhört viel Talent. Aber auch ein Jahrgang mit Hacki Wimmer.

Herbert, genannt Hacki, Wimmer konnte sehr gut Fußball spielen. Doch seine Hauptaufgabe bestand darin, all die Zauberer, Strategen und Künstler abzusichern. Dafür Sorge zu tragen, dass bei all dem Offensivspektakel hinten nicht die Bude vollgeschossen wird. Dieser Sorge sollte sich unter Löw die gesammelte Künstlerschar als Gemeinschaftsprojekt annehmen. Das derzeitige Spielsystem ist eine nette Idee und man mag es dem Bundestrainer und irgendwie dem gesamten Fußball wünschen, dass dies bei der Europameisterschaft im kommenden Jahr klappt.

Doch schon die harmlosen Brasilianer und die noch harmloseren Österreicher fanden ihre Wege bis zur deutschen Abwehr, die hinten fast alles alleine regeln musste. Zuletzt versuchten die Brasilianer unter dem Trainer Tele Santana in den achtziger Jahren, per Offensivfeuerwerk ein großes Turnier zu gewinnen. Zwei im Übermaß begabte Teams scheiterten bei den Weltmeisterschaften 1982 und 1986 jeweils schon vor dem Halbfinale. Ein Turnier gewinnt zumeist die Mannschaft, die nicht die zauberhafteste, sondern die stabilste ist. Die auch eine schwächere Partie noch knapp gewinnt, weil dann zur Not die Defensive hält.

Bei der WM in Südafrika haben die Deutschen einige Gegner förmlich überrannt, zweimal verloren sie aber auch 0:1. Das zweite 0:1 besiegelte das Aus, während die so hochgelobten Spanier all ihre K.-o.-Spiele mit 1:0 gewannen. Viermal hintereinander. Joachim Löw wird sich gut überlegen, ob er sich bei der EM seinem offensiven Traum hingibt, oder ob er nicht doch eine Sicherung vor der Abwehr einbaut. Einen Hacki Wimmer. Egal ob der dann Sami Khedira oder Sven Bender oder Simon Rolfes heißt. Er wird sich dann den nächsten Fragen stellen müssen: Welchen der hochbegabten Offensivleute lässt er dafür draußen?

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