Zorniger-Entlassung beim VfB:Abschied von der großen Kehrwoche

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Sein letztes Training, mit passender Miene: Alexander Zorniger am Dienstag in Stuttgart. (Foto: Baumann/Imago)
  • Unter dem Eindruck des 0:4 gegen Augsburg entlässt der VfB Coach Alexander Zorniger.
  • Gesucht wird nun ein Nachfolger, der ebenfalls vorwärts verteidigen lässt - aber bitte nicht so radikal.
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Von Christof Kneer

Der ominöse Computer, der für die Deutsche Fußball Liga (DFL) immer die Bundesliga-Spielpläne entwirft, steht im nächsten Sommer sehr unter Druck. Er wird sich sehr genau überlegen, ob er das noch mal bringen kann: dem VfB Stuttgart im November ein Heimspiel gegen den FC Augsburg geben. Vor exakt einem Jahr, am 24. 11. 2014, trat Stuttgarts Trainer Armin Veh zurück, nachdem sein VfB nach einem unberechtigten Handelfmeter 0:1 gegen Augsburg verloren hatte.

Ein Jahr später, am 24. 11. 2015, hat der VfB schon wieder einen Trainer eingebüßt. Diesmal setzte es gegen Augsburg ein 0:4, an dem nicht mehr viel unberechtigt war, außer vielleicht, dass das Spiel nicht 0:5 oder 0:6 endete. Allerdings ist Alexander Zorniger danach nicht zurückgetreten, das würde nicht passen zu einem Trainer, der seine Idee von Fußball und möglicherweise auch sich selbst für "alternativlos" hält.

Vor der Saison hat Alexander Zorniger, 48, erklärt, er wünsche sich, dass viele Spieler am Ende ihrer Karriere sagen: Der Zorniger war mein bester Trainer. Einer, der so etwas sagt, hört wahrscheinlich nicht von selber auf. Sie haben ihn schon rauswerfen müssen beim VfB.

Es ist nach diesem ehrabschneidenden 0:4 doch sehr schnell gegangen in Stuttgart, schneller, als es die Verantwortlichen vor dem 0:4 selbst für möglich gehalten haben. Aber natürlich haben sie vom ersten Tag an gemerkt, was für einen Spezialcharismatiker sie sich da ins Haus geholt hatten. Den geplanten Neuanfang hatten sie einem Trainer anvertraut, bei dem man nie genau wusste, was gerade überwiegt: seine unverbogene, durchaus originelle Art - oder die direkte, manchmal ins Rumpelige rüberspielende Haltung, mit der dieser Trainer durchs Leben geht. Ähnlich gespaltene Gemüter hinterließ die Version des Fußballs, die er lehrte: Mit glaubwürdiger Leidenschaft bediente Zorniger die Sehnsüchte des Publikums nach ungeniertem Offensivspiel; allerdings litt die Leidenschaft zunehmend darunter, dass die wilden Sturmläufe nur um den Preis vogelwilder Abwehrleistungen zu haben waren.

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"Es gibt Kritikpunkte, die berechtigt sind", sagt der Sportvorstand des Vereins.

Robin Dutt, der Sportchef beim VfB, hat lange versucht, die Plusspalte dieses Trainers höher zu bewerten als die Minusspalte, er wollte sich vom Gesamtkunstwerk Zorniger lieber faszinieren als irritieren lassen; natürlich auch, weil er, Dutt, im Sommer mächtig in Vorleistung gegangen war. Vollmundig haben sie sich nach dem Klassenerhalt dem "Stuttgarter Weg" mit mutigem Fußball und Trainern aus regionalem Anbau verschrieben, und die Wuchtbrumme aus dem Ostalbkreis sollte nicht nur Chefcoach sein, sondern auch Symbolfigur und role model. So sollten sich alle VfB-Jugendtrainer an Zornigers ungestümem Vorwärtsverteidigungsfußball orientieren, weshalb die aktuelle Entscheidung doch etwas mehr ist als eine handelsübliche Trennung.

Unter dem Eindruck des alarmierenden 0:4 hat der Klub auch ein bisschen den Stuttgarter Weg entlassen - und muss nun hoffen, dass er einen Nachfolger findet, den man mit ein wenig kreativer Rhetorik noch ins stolze neue Leitbild hineininterpretieren kann.

So gesehen wäre der in Hoffenheim entlassene Markus Gisdol der ideale Kandidat, Schwabe und Vorwärtsverteidiger. Als aussichtsreicher gilt aktuell aber Tayfun Korkut, auch Schwabe, allerdings kein Vorwärtsverteidiger; im sogenannten Vereinsumfeld fallen auch Namen wie Mirko Slomka (kein Schwabe, Vorwärtsverteidiger) und Jos Luhukay (weder noch). Bis zum Wochenende soll die Elf erst mal vom hauseigenen U23-Trainer Jürgen Kramny begleitet werden, der am Sonntag in Dortmund aber wohl sein erstes und letztes Erstligaspiel für den VfB coachen wird; er soll sich danach wieder um die U23 in der dritten Liga kümmern.

Dutt reklamiert nun erst mal ein wenig Zeit für sich, er sucht eine umfassende neue Lösung, denn wo sie gerade dabei waren, haben sie sich gleich für eine große Kehrwoche entschieden: Neben Zorniger hat der Verein auch die Assistenten Trulsen und Reutershahn sowie den Torwarttrainer Menger mit vom Hof gefegt.

"Es war eine Mischung aus der sportlichen Situation und den Lösungen, die der Trainer angeboten hat" - mit diesem hübsch gedrechselten Satz hat Dutt das zweistündige Gespräch umschrieben, das er mit Zorniger am Montagfrüh vor dessen Entlassung führte. Der zweite Teil des Satzes lässt eine emotionale Fachdebatte vermuten, denn in Stuttgart sagen sie, es sei im Allgemeinen keine so gute Idee, Zorniger auf andere Lösungen als seine eigenen anzusprechen. Es heißt, der Trainer leide an einer chronischen Beratungsunverträglichkeit - sein radikaler Spielstil sei "alternativlos" hat er immer wieder gesagt und dabei nie die naheliegende Gegenfrage beantwortet: Warum eigentlich?

Huub Stevens ist vom Markt

Nach dem Gespräch unter Männern habe über die Trennung "hundertprozentige Einigkeit" bestanden, sagt Dutt, denn auch das gehört zu Zornigers Charakter: Er ist so geradlinig, dass er lieber Laptop und Dienstwagenschlüssel zurückgibt, bevor er sich und seine Spielidee verbiegt. Letzteres hätte er aber tun müssen, um die Elf nach dem 0:4 wieder zu stabilisieren, wie auch Dutt später verriet. Der Trainer hätte "stark eingreifen müssen, auch entgegen der Dinge, auf die er bisher gesetzt hat"; deshalb habe Zorniger "ehrlicherweise gesagt, dass ihm die Überzeugung fehlt".

Die Mannschaft hat zuletzt überfordert gewirkt von dem hemmungslosen Spielstil und den wuchtigen Ansprachen dieses Trainers, und es wird interessant sein zu sehen, wie diese in der Offensive durchaus hochwertig besetzte Elf auf neue Reize reagieren wird. Es wird allerdings kein Trainer mehr kommen, der die Spieler im Training als "Affen" beschimpft, Huub Stevens ist diesmal schon vom Markt. In Stuttgart hoffen sie aber, dass Stevens sie vielleicht trotzdem ein drittes Mal rettet - indem er mit der TSG Hoffenheim absteigt.

© SZ vom 25.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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