Zlatan Ibrahimovic:Größer als der Eiffelturm

175563170

Großes Ego, große Klasse: Der Schwede Zlatan Ibrahimovic will sich in Paris ein Denkmal setzen.

(Foto: AFP)

Sein Ego ist grenzenlos, doch das Gleiche gilt für seine Fähigkeiten: Zlatan Ibrahimovic soll Schweden zur WM schießen, zunächst gegen Österreich, dann gegen Deutschland. Die größte Verehrung wird ihm allerdings in Paris zuteil - dort fehlt ihm nur noch ein Triumph, um sich ein Denkmal zu setzen.

Von Oliver Meiler, Paris

Die Franzosen sind nicht dafür bekannt, sich leicht beeindrucken zu lassen. Schon gar nicht von Nichtfranzosen. Das hat mit ihrem historisch reichlich genährten Selbstverständnis zu tun. Was haben sie die Welt doch beschenkt über die Jahrhunderte: mit Kunst und revolutionärer Aufklärung, mit Genie, Poesie, Philosophie.

In der jüngeren Neuzeit gelang der Zauber selbst mit Fußballern. Man denke nur an Michel Platini und Zinédine Zidane, feine Meister des Spiels, Avantgardisten zu ihrer Zeit. Groß wurden sie im Ausland. Die nationale Szene, die Ligue 1, war hingegen immer Provinz, höchstens fünftbeste Meisterschaft Europas nach der englischen, spanischen, italienischen und deutschen. Man litt darunter, still und fatalistisch. Bis zum 18. Juli 2012, einem Mittwoch.

Wahrscheinlich schien die Sonne auf Paris, als Zlatan Ibrahimovic über die Republik und ihren Vereinsfußball kam. Und wenn sie nicht schien, so blieb der Tag doch in sonniger Erinnerung. Seither verschlägt es den Franzosen regelmäßig den Atem, wenn sie "Ibra" zuschauen, oft auch wenn sie sich seine Unartigkeiten anhören: Oh-là-là! Sie beglückwünschen sich sogar dann, wenn der Schwede mit seiner Nationalmannschaft glänzt, wenn er vier Tore in einem Spiel erzielt, wenn er dabei auch noch in herrlich luftiger Höhe zum unwahrscheinlichsten aller Fallrückzieher ansetzt. Oh-là-là!

Dann ist es fast, als wäre er Franzose, als gedeihe Frankreich wenigstens ein Mitverdienst an. Bei den Spielen an diesem Freitag gegen Österreich und am Dienstag gegen Deutschland werden auch französische Reporter zugegen sein, mit einem monothematischen Fokus.

Damals, im Sommer vor einem Jahr, unterschrieb Zlatan Ibrahimovic seinen Vertrag bei Paris Saint-Germain, dem bis dahin bescheidenen, oft belächelten Verein der französischen Hauptstadt. Er kam natürlich nicht einfach so in die fußballerische Provinz, nicht wegen des dekadenten Charmes der geruhsamen Zweitklassigkeit. Er war erst 30, als er unterschrieb, und im vollen Besitz seiner eindrücklichen körperlichen Fähigkeiten, Meister mit allen seinen früheren Vereinen, noch immer sehr gefragt im Geschäft. Nein, es lockte das Geld vom Emir aus Katar, dem neuen Besitzer des Vereins.

Wie viel es genau ist, weiß niemand. Doch was wurde schon spekuliert. Die Sportzeitung L'Équipe schrieb einmal von 14 Millionen Euro, netto, steuerfrei. Für die Präsentation fuhr man Ibrahimovic nicht ins Stadion, in den Prinzenpark, sondern gleich unter den Eiffelturm, gab ihm einen Ball, mit dem er jonglierte, und es sah schon bei diesen ersten Gesten ein bisschen so aus, als stünde da das neue Wahrzeichen von Paris: 1,95 Meter lang, 95 Kilogramm schwer, Schuhgröße 47.

Alles ist groß an ihm: Klasse und Klappe. Alles ist übertrieben: das mediale Interesse, die gesellschaftliche Dimension der "Zlatanmania", selbst die Klischees über seine Persönlichkeit, angeblich eine Kreuzung zwischen Engel und Dämon.

Eigentlich ist Zlatan Ibrahimovic ja viel zu groß für den französischen Fußball. In der Wirtschaft würde man sagen: überqualifiziert für den Job. Manchmal kommt es vor, dass er einen gegnerischen Verteidiger, der sich an seine Fersen heftet, ihn am Trikot und an der Hose zerrt, über 50 Meter hinter sich herschleppt, ohne dabei an Tempo einzubüßen. Manchmal dribbelt er an der Strafraumgrenze vier, fünf Spieler aus, als wären sie Statisten in seinem Stück. Gegner erzählen, "Ibra" erahne eben immer drei Sekunden vor allen anderen, wo der Ball hinkomme.

Und oft weist er seine Mitspieler zurecht, als wären sie dumme Schulbuben. Es braucht nicht viel, um seinen Zorn zu entzünden. Am meisten ärgert ihn, wenn man ihm den Ball nicht sofort abspielt. Immer. Ihm, Zlatan. Nach einigen unspektakulären Spielen wurde er einmal vom eigenen Publikum ausgepfiffen. Im Interview nach dem Spiel sagte er dann: "Was haben die Leute gegen mich? Vor mir war hier nichts."

"Was haben die Leute gegen mich?"

Im ersten Jahr nach seiner Ankunft wurde PSG schon Meister, erstmals seit 1994. Und Ibrahimovic wurde natürlich Torschützenkönig. Mit Hebern, wuchtigen Freistößen, süffisant getretenen Elfmetern, akrobatischen Volleys. Oh-là-là! Das war aber nur eine Rolle, die ihm die Katarer zudachten, nur die sportliche. Die andere, die mediale, hätte kein anderer so gut ausgefüllt wie er: weder Cristiano Ronaldo noch Lionel Messi. Die Geschichte des Jungen aus der Vorstadt von Malmö, Fahrraddieb und Großmaul, kontrastierte so stark mit dem elitären Gestus von Paris, dass "Ibra" garantiert Schlagzeilen machen würde, rund um die Welt.

Marketing ist dem Emir aus Katar mindestens so wichtig wie sportlicher Erfolg. Debatten gab es schon über die Tätowierungen von Ibrahimovic und über seine zum Knoten gebundenen langen Haare, wie ihn in Frankreich sonst ältere Damen gerne tragen - im "chignon". Er mag Pizza mit schwarzen Trüffeln, und er mag die Jagd. Dafür reist er schon mal für einen Tag nach Schweden. Alles interessiert die Franzosen. Einzig während der kurzen Zeit, als auch David Beckham einige letzte Laufübungen mit PSG machen durfte, fiel etwas Schatten auf Ibrahimovic. Es war ein Intermezzo, mehr nicht, eine kleine Zirkusnummer.

Die Macher der politsatirischen Puppenshow "Les Guignols" (Die Kasper) im Fernsehsender Canal Plus fertigten schnell eine Figur von Ibrahimovic an - so klar war allen, dass er den Sport überstrahlen würde. "Zlataner" wurde zum Verb, wie es das auch im Schwedischen ist. Es steht für "dominieren", "erdrücken", "einschüchtern". Eine französische Zeitung schrieb: "Superman, Batman, Spiderman? Auf dem Pausenplatz unserer Schulen ist Zlatan der neue Superheld - der Rächer."

Die Wohnungssuche der Familie Ibrahimovic beschäftigte die Medien über mehrere Monate. "Ibra" und seine Frau Helena Seger, ein ehemaliges schwedisches Model, elf Jahre älter als er, waren offenkundig dermaßen schockiert über die hohen Mietpreise in Paris, dass sie sich Dutzende Objekte anschauten, bevor sie sich dann für eine Wohnung im VIII. Arrondissement entschieden, bei der Place de la Madeleine, für - nun ja - 27 000 Euro im Monat. Man will noch eine Weile bleiben, die beiden Söhne gehen in eine Pariser Privatschule, ohne dass man sie behelligen würde. Ibrahimovic hat seinen Vertrag gerade bis 2016 verlängert, er lernt jetzt Französisch. Und doch fragt man sich in Frankreich mit Sorge, ob seine Motivation nicht bald einmal nachlassen könnte.

Als Ansporn bleibt ihm die Champions League, die hat er noch nie gewonnen. Weder mit Ajax, Juventus, Inter, Barça, noch mit Milan. Sollte er sie mit PSG gewinnen, würde er sich ein Denkmal setzen. In seiner neuen Version ist der Klub für Europa gebaut worden, fürs große Schaufenster, nicht für die Äcker der Ligue 1. Dafür haben die Katarer insgesamt fast 400 Millionen Euro in neues Personal investiert. Man will zu den Allerbesten gehören. Ibrahimovic spricht von einem "Projekt", vom "Traum", und es ist nicht klar, ob er nur von sich selber redet oder auch von PSG.

Unter dem neuen Trainer Laurent Blanc, Frankreichs früherem Nationalcoach, spielt er neuerdings etwas selbstloser, lässt sich auch mal hinter die Spitze fallen, gibt den Ball öfter ab. "Es ist gut", sagt er, "dass nicht mehr ich alle Tore schieße. So schließt sich die Kluft zwischen mir und dem Rest der Mannschaft ein bisschen."

Oh-là-là! In diesem Satz ist viel drin von Zlatan Ibrahimovic, von diesem schier maßlosen Glauben an sich selbst. Sein Ego war schon immer unglaublich groß. Die Franzosen füttern es weiter, etwa so, wie sie Gänse mästen.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: