Süddeutsche Zeitung

Zehnkämpfer Arthur Abele:Weinkrampf auf der Tartanbahn

Lesezeit: 3 min

Von Saskia Aleythe, Berlin

Arthur Abele entlarvte sich selber auf recht humorvolle Weise. Der Kopf war noch immer ganz rot von der Anstrengung, die ihn den Tag über im Berliner Olympiastadion heimgesucht hatte, die Deutschlandfahne hing um seine Schultern, auf dem Kopf thronte noch immer die Pappkrone, die ihm Maskottchen Berlino aufgesetzt hatte für seine Goldmedaille. Es war schon nach 23 Uhr, da erklärte der Zehnkämpfer: "Selbstzweifel sind immer da." Er sprach gerade davon, wie ihn vor drei Jahren ein Abriss der Achillessehne beschäftigt hatte, "das ist eine Riesen-Verletzung", sagte der 32-Jährige. Um dann mit der Pointe zu schließen: "Aber einen Tag später war schon wieder klar: Okay, ich mache weiter." Selbstzweifel halten sich bei ihm dann doch nicht so lang.

Es ist ein Umstand, der eng verknüpft ist mit der Geschichte, die sein Sportlerdasein prägt. Und die einen nun direkt in diesen Hochsommerabend in Berlin führt, an dem Arthur Abele sich endlich für das Durchhalten trotz vieler schwieriger Momente belohnen konnte. Nach der letzten Disziplin, den 1500 Metern, sackte er fast mit Weinkrampf gebeutelt auf die blaue Tartanbahn.

"Es war jetzt mal Zeit, sich zu belohnen", sagte Abele, "vor zehn Jahren wäre es eigentlich auch schon Zeit gewesen". Und man bekam einen Eindruck davon, warum Claus Marek, leitender Mehrkampf-Bundestrainer, vor zwei Monaten beim Mehrkampfmeeting von Ratingen sagte: "Arthur zeigt eine der wichtigsten Tugenden des Mehrkampfs: nämlich niemals aufzugeben." Das machte ihn nun zum ältesten Zehnkämpfer, der je EM-Gold gewonnen hatte.

Es liegt nun schon ein Jahrzehnt zurück, dass Abele auf der Zehnkampfbühne zu den aufstrebenden Athleten gehörte, doch dann bremsten ihn Verletzungen immer wieder aus. Von 2008 bis 2013 bestritt er keinen Wettkampf. Auch der vergangene Winter machte Abele zu schaffen: Eines Morgens im Dezember wachte er auf und war auf der linken Gesichtshälfte gelähmt. "Ich dachte schon, ich habe einen Schlaganfall", berichtete Abele nun, im Krankenhaus wusste niemand, wie lange die Lähmung bleiben würde, "entweder ein halbes Jahr" - oder für immer.

Sein Sohn hatte aus der Kita einen Infekt mit nach Hause gebracht, "da schreie ich immer hier", scherzte Abele, er konnte nun ja drüber lachen. Die Erkrankung habe sich dann von den Mandeln auf den Kiefer bis zum Mittelohr ausgebreitet, "und hinterm Mittelohr sitzt dann der Gesichtsnerv, der die ganze Mimik steuert", erzählte er. Die Behandlung mit Cortison schlug an, ließ ihn aber auch sechs Kilogramm zunehmen, was wiederum die Achillessehne belastete. Und wie er so von sich erzählte, wurde klar: Abele hatte in den vergangenen neun Monaten keine leichte Zeit.

Erst im März konnte er wieder trainieren, kam dann aber umso besser voran. Das Meeting in Ratingen gewann er mit 8481 Punkten, das war zu dem Zeitpunkt Weltjahresbestleistung und sein Ticket für die EM. Und nun in Berlin galt es vor allem, einen irgendwie aufzuhalten: Den Franzosen Kévin Mayer, amtierender Weltmeister und angetreten, um den Weltrekord zu brechen. "Ich habe schon im Vorfeld gesagt: Wenn Kevin strauchelt, bin ich am Start", sagte Abele nun, und der strauchelte tatsächlich: Im Weitsprung brachte er keinen gültigen Versuch zustande und war dann schon am ersten Wettkampftag ausgeschieden. Abele hingegen: Beendete den Dienstag auf Rang zwei liegend.

Und weil er bekannt ist als einer, dessen Stärken in den darauffolgenden Disziplinen liegen, war er dann auch guter Dinge in den Mittwoch gestartet. Mit dem Briten Tim Duckworth und dem unter neutraler Flagge startenden russischen Athleten Ilja Schkurenjow stritt er sich um die vordersten Plätze. Unter der Mittagssonne fiel Abele beim Stabhochsprung dann auf Rang drei zurück, "das war schon heftig, das hat mich echt nochmal geschlaucht", sagte Abele, aber er hatte seine besten Chancen ja noch vor sich: Im Speerwurf und über 1500 Meter.

Da machte er dann alles klar, wurde Sieger mit 8431 Punkten vor Schkurenjow (8321) und dem Weißrussen Vitali Schuk (8290). Insgesamt glückten ihm nun sieben Saisonbestleistungen. Nicht die schlechteste Quote von zehn Disziplinen. "Die Emotionen kommen jetzt durch, weil das Jahr so hart war", erklärte sich Abele noch. Die Olympischen Spiele in Tokio 2020 will er auch noch mitnehmen, wenn der Körper durchhält.

Mit dem 20-jährigen Niklas Kaul stand am Mittwochabend noch ein Anwärter auf seine Nachfolge parat, seine erste EM jenseits der Junioren beendete er auf einem starken vierten Platz. Er war erst ins deutsche Team gerutscht, weil WM-Bronze-Gewinner Kai Kazmirek wegen muskulärer Probleme auf einen Start freiwillig verzichtete. "Das würde nicht jeder für einen machen", bedankte sich Kaul, der dann auch noch eine Erklärung abgab, die so einleuchtend wie zukunftsweisend war.

"Das wird ein Hauen und Stechen in Götzis werden und in Ratingen", sagte Kaul mit Hinblick auf die Qualifikation für die WM im kommenden Jahr, in dem auch der WM-Zweite Rico Freimuth wieder zurückkommen könnte, "das ist ja das, was Spaß macht. Wenn die Konkurrenz im eigenen Land so stark ist, dass sich keiner im Winter ausruhen kann und so kommt man dann auch zu Topleistungen."

Um 8.40 Uhr am Donnerstagmorgen saß Abele schon wieder bei der nächsten Pressekonferenz. Auch eine Nacht später hatten ihn die Gefühle noch im Griff. "Ich könnte direkt wieder anfangen zu heulen", sagte er. Und weinte erstmal.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4086956
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ.de
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.