Unfall mit dem Handbike:Zanardi im künstlichen Koma

UCI Para Cycling Road World Championships 2018 - August 1, 2018 MANIAGO, ITALY - AUGUST 01: Alex Zanardi (ITA) at Day 0

"Der Zusammenprall war schrecklich", sagte Mario Valentini, Trainer des italienischen Para-Radsport-Nationalteams einer Zeitung.

(Foto: Oliver Kremer/imago)

Der schwere Crash des früheren Formel-1-Piloten Alessandro Zanardi bei einem paralympischen Staffelrennen erschüttert den Motorsport - es ist nicht sein erstes Unglück.

Von Jonas Beckenkamp

Manchmal kennen Tragik und Unglück keine Grenzen, manchmal ist es kaum zu glauben, was das Leben einem Einzelnen an Fügungen beschert. Die Gefahren des Motorsports hat Alex Zanardi stets gut gekannt, sie haben ihm ein Schicksal aufgezwungen, das im Sport seines Gleichen sucht. Ein Rennfahrer, der fast tot war und doch überlebte ringt erneut mit seinem Leben. Diese Geschichte bewegt seit diesem Wochenende ganz Italien, wo Zanardi bis heute eine Ikone ist. Doch diese Ikone befindet sich in großer Gefahr, diesmal nach einem Unfall mit einem sogenannten Handbike.

Zanardi, 53, bestritt in der Toskana ein Rennen für paralympische Athleten mit jenem Gerät, das seit einiger Zeit sein Rennwagenersatz ist. Er war auf einer abschüssigen Straße auf die Gegenseite geraten und mit einem Lkw zusammengeprallt. Der Schrecken ist riesig, Italien und auch der Rest der Motorsportwelt sind tief getroffen, dass es ihn noch einmal erwischte. Offenbar ähnlich böse wie 2001, als er in Deutschland einen Horror-Crash nur knapp überlebte und beide Beine verlor. Es war einer der schlimmsten Unfälle des Motorsports überhaupt.

"Ich habe so eine Angst um Alex Zanardi, dass ich den Atem anhalte. Ich bin sein Fan. Ich bin sein Freund", schrieb der amerikanische Formel-1-Weltmeister von 1978, Mario Andretti, bei Twitter: "Bitte macht das, was ich tue: Betet, betet für diesen wunderbaren Mann." Die Anteilnahme ist enorm, sie kommt auch aus der aktuellen Formel 1, etwa von Ferrari-Fahrer Charles Leclerc, der an Zanardis Charakterstärke appellierte: "Kämpfe, Du weißt, wie. Du bist großartig."

Schwere Kopfverletzungen bei Zanardi

Ein Rettungshubschrauber transportierte ihn nach der Kollision am Berg ins Universitätskrankenhaus von Siena. Dort offenbarte sich das ganze Drama: Die Ärzte sprachen von einer "heiklen neurochirurgischen Operation", die unmittelbar eingeleitet wurde. Zanardi sei mit schweren Kopfverletzungen eingeliefert und etwa drei Stunden operiert worden, gab das "Azienda Ospedaliera Universitaria Senesedas" am späten Freitagabend bekannt.

Sabino Scolletta, Leiter der Intensivstation des Krankenhauses von Siena, gab sich am Samstag vorsichtig zuversichtlich. Er sagte dem Sender RAI: "Die Lage hat sich nach der dreistündigen Operation am Freitag stabilisiert, was Anlass zu einem leichten Optimismus gibt." Zanardi sei im künstlichen Koma und werde beatmet, doch die Herz- und Kreislauffunktionen seien zufriedenstellend. In der jetzigen Phase sei es noch schwierig, Prognosen über die neurologische Entwicklung abzugeben, sagte Scolletta. Aus neurologischer Sicht sei der Zustand des 53-jährigen Zanardi weiterhin kritisch.

Wer in den Neunzigern die Formel 1 verfolgte, der kannte Zanardi, gebürtig aus Bologna, als eifrigen Wettkämpfer mit ansteckendem Lächeln. Er fuhr von 1991 bis 1994 und dann noch mal 1999 in insgesamt 44 Grand Prix mit, unter anderem für die Teams Jordan, Lotus und Minardi, später auch bei Williams neben Ralf Schumacher. Jetzt herrscht in der F1 große Sorge, diesen schnellen, vielfach sportbegeisterten Mann zu verlieren. Zanardi war nicht nur Rennfahrer, sondern auch Botschafter des Behindertensports.

Die guten Wünsche kommen aus allen Richtungen. "Du warst immer ein Kämpfer und wirst immer einer sein", twitterte der Präsident des Automobil-Weltverbandes (FIA), Jean Todt, kurz vor Mitternacht: "Alex, die ganze FIA-Gemeinde unterstützt dich in diesem grausamen Moment." Auch die italienischen Gazetten reagierten voller Anteilnahme. "Der Mann der Wunder ist wieder in einen dunklen Albtraum gestürzt. Zanardi ist in den vergangenen Jahren zu einer Ikone und zum Emblem eines Mannes geworden, der keine Grenzen kennt", schrieb die Gazzetta dello Sport. "Zanardis Kraft, seine Selbstironie und seine menschliche Tiefe sind Eigenschaften, die einen Sportler zu einer Ikone gemacht haben", kommentierte Corriere dello Sport.

Mario Valentini, Trainer der italienischen Handbike-Equipe, der nach kurzer Zeit zum Unfallort geeilt war, berichtete, dass Zanardi noch bei Bewusstsein gewesen sei und sogar sprechen konnte. Ausgerechnet Zanardi, der ohnehin bereits gezeichnet war von den Herausforderungen des Rennsports. Ausgerechnet dieser Kerl, der als Frohnatur bekannt war. Ein Mensch, der andere mit seinem Lachen, mit seiner Lebensfreude, mit seinem Kampfgeist anstecken kann - so erzählen es sich die Italiener.

Plötzlich sind Erinnerungen geweckt an das, was Zanardi vor knapp 20 Jahren auf dem Lausitzring passiert war. Ein Unglück in der Champcar-Serie, bei dem er sich mit seinem Wagen gedreht hatte und ein Konkurrent mit dessen Wagen in ihn gekracht war. Dass er überlebte, grenzte an ein Wunder. Im Helikopter auf dem Weg zum Notfallkrankenhaus in Berlin hatte Zanardi siebenmal wiederbelebt werden müssen. Er hatte viel Blut verloren. Aber Zanardi überlebte und kehrte nach einer langen Reha zurück in den Rennsport. Bewundert von Kollegen, von Fans, von Menschen in aller Welt.

Der Lebenseifer des späteren Tourenwagen-Fahrers schien einfach unzerstörbar. Oder wie es sein langjähriger Arbeitgeber BMW einmal beschrieb: "Alessandro Zanardi ist ein Phänomen - und der lebende Beweis dafür, dass es keine Grenzen gibt, wenn man sich einer Herausforderung mit Leidenschaft und Begeisterung widmet." Nur zwei Jahre nach dem Unfall saß Zanardi wieder im Cockpit eines Boliden - umgebaut für seine Bedürfnisse. Im Deutschen Tourenwagen-Masters kam er immerhin auf vier Starts - bemerkenswert für jemanden mit seiner Versehrtheit. Dann schlug Zanardi eine zweite Karriere ein, er gewann bei den Paralympics 2012 und 2016 jeweils zweimal die Goldmedaille mit dem Handbike.

Und weil ein Furchtloser wie er, Olympiasieger und Stehaufmann, immer neue Herausforderungen sucht, stürzte er sich auch noch in den Triathlon. Selbst vor dem Ironman machte Zanardi nicht halt und überwand alle Schwierigkeiten dieser Königsdisziplin der Athleten. Nun aber kämpft er seinen allerschwersten Kampf, schon wieder.

(Mit Material der Nachrichtenagenturen dpa und sid)

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