Zäher DFB-Sieg gegen Gibraltar:Mahnung zur rechten Zeit

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Unzufrieden mit seinen Spielern: Bundestrainer Joachim Löw

(Foto: AFP)

Das Urteil nach dem 4:0 der Nationalmannschaft gegen Gibraltar fällt vernichtend aus, die Leistungen sind zuletzt selten weltmeisterlich gewesen. Doch Bundestrainer Löw gewinnt bei allem Ärger: wichtige Erkenntnisse, um die ganze Situation langsam zu entkrampfen.

Kommentar von Johannes Knuth

Es ist wirklich ein Jammer, dass Per Mertesacker nicht mehr an Länderspielen der deutschen Nationalmannschaft mitwirkt. Mertesacker hatte sich nach dem zähen 2:1-Erfolg im WM-Achtelfinale in Algerien dank eines furiosen Impulsreferats über kritische Journalistennachfragen im nationalen Fußballgedächtnis verewigt ("Wat wollnse?!").

Das nicht minder zähe 4:0 der DFB-Elf am Freitag gegen die Teilzeit-Profis aus Gibraltar hätte Mertesacker vermutlich ähnlich pointiert eingeordnet, in etwa so: "Wat wollnse jetzt von mir? Wir sind unter den ersten Drei unserer Gruppe, das zählt." Mertesacker hätte vermutlich noch angeführt, dass die Gegner in der EM-Quali keine Karnevalstruppen seien, dass er die ganze Fragerei nicht verstehe ("Wat wollnse?"), dass er sich jetzt erst einmal drei Tage lang in die Eistonne legen werde.

Leider hat Per Mertesacker vor Kurzem seinen Dienst in der Nationalmannschaft eingestellt. Die deutschen Spieler traten den Reportern am Freitagabend in Nürnberg etwas wohlgesonnener entgegen. Neben den üblichen Floskeln ("Bus vor dem Tor geparkt", "Gibt keine leichten Spiele") war hier und da sogar so etwas wie Selbstkritik auszumachen ("Schlechte zweite Halbzeit"). Das mediale Urteil am nächsten Tag fiel trotzdem vernichtend aus. Von einer "4:0-Niederlage" war die Rede, wahlweise von einem "4:0-Debakel", garniert mit den Vokabeln "grausam" und "peinlich".

Der Umbau erfordert mehr Aufwand als gedacht

Nein, der Weltmeister hat am Freitagabend keinen brillanten Auftritt angeboten, überhaupt tritt der Weltmeister seit dem Finalgewinn in Rio nur noch selten weltmeisterlich auf. Dazu musste man ja nur die verhältnismäßig scharfen Urteile, die der Bundestrainer am Freitag in diversen Kanälen verbreitete, nebeneinanderlegen. Löw dürfte mittlerweile festgestellt haben, dass der Umbau seiner Mannschaft nach diversen Rücktritten und Verletzungssorgen mehr Aufwand erfordert, als er antizipiert hatte.

Hinzu kommen Dauerbaustellen (Podolski, Außenverteidiger) und ein Marathon an Ehrungen, die den Umbau weiter verzögern. Dass Löw nun ausgerechnet nach dem mauen Spiel gegen Gibraltar öffentlich lospoltert, darf man vor allem als wiederholte, eindringlichere Mahnung an das Personal aus der zweiten Reihe interpretieren. Wie farblos sich jene Vertreter am Freitag phasenweise präsentierten, war tatsächlich erschreckend. Insofern kam die Mahnung zur rechten Zeit, es ist ja nichts passiert.

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Dieser Kick, in dem sich der Gast aus Gibraltar mehr verschanzte als jeder Siebtligist in der ersten Runde des DFB-Pokals, war dann allerdings viel zu kurios, als dass man weitreichendere moralische Befunde treffen könnte. Letztlich verwaltet Löw derzeit ein Projekt, das ihm mehr Arbeit aufdrängt, als ihm lieb ist. Und bei allem Ärger gewinnt er doch auch: Erkenntnisse.

Der Bundestrainer leitet so auch genau jene Maßnahmen ein, um die Situation langsam wieder zu entkrampfen. Löw installiert neues Personal, führt seine Mannschaft vorsichtig an taktische Varianten wie jenes 3-5-2 vom Freitag heran, um den Gegnern nach dem WM-Triumph in Zukunft ein paar andere Formationen entgegenzusetzen.

Optisch wandelte sich die Aufstellung gegen Gibraltar zwar bald in ein kaum alltagstaugliches 3-1-6, aber diese Formation dürfte Taktikkennern durchaus vertraut sein, zum Beispiel vom jüngsten Auftritt des FC Bayern im Champions-League-Rückspiel gegen den ängstlichen AS Rom. Die Bayern gewannen die Partie damals übrigens: 2:0.

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