Süddeutsche Zeitung

Gladbach-Keeper Yann Sommer:Ein Torwart, der gerne unterschätzt wird

  • Torwart Yann Sommer ist Gladbachs großer Rückhalt in dieser Saison.
  • "Sommer ist einer der meistunterschätzten Torhüter Europas", sagt die dänische Torwartlegende Peter Schmeichel.
  • Hier geht es zur Tabelle der Bundesliga.

Von Ulrich Hartmann, Mönchengladbach

Eine Erhebung unter Branchenexpertinnen könnte zu dem Ergebnis führen, dass Yann Sommer der attraktivste Torhüter der Bundesliga ist. Es gibt aber auch eine zuverlässige Quelle, die dies in aller Unabhängigkeit beglaubigt: Sommers Internetseite. Dort attestiert man ihm ein "unwiderstehliches Charisma". Zu seiner Verteidigung muss gesagt werden: So eitel ist der 30 Jahre alte Schweizer überhaupt nicht. Den Text haben natürlich seine Berater formuliert.

Charismatisch oder nicht, der Torwart des Tabellenführers Borussia Mönchengladbach ist auf jeden Fall der bislang erfolgreichste in dieser Bundesliga-Saison. Kein anderer Keeper, der bislang alle elf Saisonspiele bestritten hat, ließ weniger Bälle durch. Elf Gegentore in elf Spielen sind nun keine überirdische Bilanz, aber im Fall Gladbach sind sie doch bemerkenswert.

Man hatte das aggressive Pressing unter dem neuen Trainer Marco Rose nämlich irgendwie riskanter eingeschätzt, außerdem hatten die Gladbacher im vierten Pflichtspiel unter Rose gegen Leipzig (Bundesliga) drei Gegentore zugelassen und im sechsten gegen Wolfsberg/Österreich (Europa League) sogar vier. Danach hat sich Rose noch ein paar Gedanken gemacht und die defensive Stabilität verbessert. Die Gladbacher ließen in den anschließenden elf Pflichtspielen ein Mal gar kein, acht Mal nur ein und zwei Mal zwei Gegentore zu.

Sommer parierte immerhin 16 von 71 Elfmetern

An dieser Statistik hat Torwart Sommer großen Anteil. Auch daran, dass die Gladbacher seit vier Wochen ganz oben und nun auch Länderspielpausen-Tabellenführer sind. Sommers Quote an parierten Bällen lag in den ersten elf Ligaspielen bei 79 Prozent. Damit steht er in der Rangliste der Stammtorhüter vor Leipzigs Peter Gulacsi (75 Prozent) und Union Berlins Rafael Ginkiewicz (72 Prozent). Am Sonntag, bei Gladbachs 3:1-Sieg gegen Werder Bremen, kam noch etwas hinzu, was man von Sommer in der Bundesliga seit zwei Jahren und sieben Monaten nicht mehr sah: Er parierte einen Elfmeter; Bremens Davy Klaassen (53.) hatte ihn getreten. 71 Elfmeter sind nun in Pflichtspielen gegen Sommer geschossen worden, 16 davon fanden nicht ins Netz.

Ein Torwart, bei dem es richtig gut läuft, wirkt gleich ein paar Zentimeter größer, und wer könnte so ein optisches Upgrade nicht besser gebrauchen als der kleinste Torwart der Bundesliga? Das ist Sommer mit seinen 1,83 m. Damit ist er acht Zentimeter kleiner als der Durchschnitt all jener 26 Torhüter, die in dieser Saison in der Bundesliga zum Einsatz kamen. Aber machen ein paar Zentimeter Körpergröße überhaupt etwas aus angesichts einer zu hütenden Torfläche von 17,86 Quadratmetern (7,32 Meter Breite mal 2,44 Meter Höhe)? Höchstens bei vereinzelten Schüssen.

Gegen Bremen hat Sommer ein paar Bälle so stark gehalten, als wäre er 1,85 m groß, mindestens. Mit solchen Aktionen wurde er zum Schweizer Nationalgoalie Nummer eins. Die dänische Torwartlegende Peter Schmeichel sagte kürzlich vor dem Länderspiel gegen die Schweiz: "Sommer ist einer der meist unterschätzten Torhüter Europas - nicht der größte, aber wie der Fußball spielen kann! Nicht viele Torhüter können das."

Wann Gladbach zuletzt einmal vier Wochen lang Tabellenführer gewesen sei, hat Sommer nach dem Bremen-Spiel die Journalisten gefragt. Normalerweise geben Fußballer in dieser "Mixed Zone" vor den Kabinen in erster Linie Antworten, aber momentan interessieren sich die Gladbacher brennend für die historischen Dimension ihres Erfolgs. Die Antwort auf Sommers Frage lautete: 1977 - aber das war elf Jahre, bevor er im Schweizer Kanton Waadt geboren wurde. Und so verzichtete Sommer am Sonntag darauf, mit großen Gladbacher Namen wie Udo Lattek (Trainer), Jupp Heynckes (Stürmer), Berti Vogts (Abwehrterrier) oder Wolfgang Kneib (Torwart, 1,96 Meter) zu jonglieren.

Die Siebziger waren die Jahre der spektakulären Duelle zwischen Mönchengladbach und dem FC Bayern. Und nicht nur für sentimentale Historiker wird dieser Klassiker unter vergleichbaren tabellarischen Bedingungen demnächst wieder aufgeführt. Würden die Gladbacher von ihren beiden Spielen bei Union Berlin und gegen den SC Freiburg nur eines gewinnen, so stünde fest, dass sie den FC Bayern am 7. Dezember im Borussia-Park als Tabellenführer empfangen können.

In München spielten die Gladbacher am 21. Mai 1977 im Olympiastadion 2:2, als sie zum bis heute letzten Mal deutscher Meister wurden. Es stecken viele Erinnerungen in diesen Duellen, weshalb sie im Borussia-Hotel gleich neben dem Stadion zu jenem Spiel aus dem Mai 1977 sogar eigens ein Zimmer gestaltet haben. Interessenten fragen bei der Reservierung nach der Nummer 426.

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SZ vom 12.11.2019/ebc
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