Süddeutsche Zeitung

Xabi Alonso in Leverkusen:Ein Trainer, für den Abstiegskampf ein unbekanntes Wort ist

Bei seiner Vorstellung als Coach des Tabellenvorletzten Bayer Leverkusen präsentiert sich Xabi Alonso mit klaren Ideen - und einem Versprechen: "Wir wollen dominant sein."

Von Javier Cáceres

Xabi Alonsos Deutschkenntnisse sind ein wenig eingerostet. Doch was sich seit Donnerstagmittag sagen lässt: Sie sind noch in einer Qualität vorhanden, dass es nur eine Frage der Zeit sein dürfte, bis er die Sicherheit zurückerlangt. Die besaß er am Ende seiner dreijährigen Zeit als Mittelfeldspieler des FC Bayern durchaus, wenn er sich in der Sprache Goethes ausdrückte.

Nur bei einem Wort musste er stutzen, als Alonso nun als neuer Trainer von Bayer 04 Leverkusen vorgestellt wurde. "Abstiegs...was?", fragte er verunsichert, als er eine Frage nicht genau verstanden hatte. Der gute alte Abstiegskampf war gemeint!

Man darf es ihm nachsehen: Er hatte dieses Wort niemals in seinen aktiven Wortschatz aufnehmen müssen, weder bei Real Sociedad San Sebastián, seinem Stammverein, noch beim FC Liverpool und schon gar nicht bei Real Madrid oder dem FC Bayern, bis 2017 die letzte Station seiner mit den ruhmreichsten Titeln gesäumten Karriere.

Nun aber lernt er auch das kennen: Wenn Alonso, 40, am Samstag gegen den FC Schalke 04 als Nachfolger des am Mittwoch beurlaubten Gerardo Seoane sein Debüt als Bundesligatrainer feiert, wird er eine Mannschaft betreuen, die auf dem vorletzten Tabellenplatz steht. Ein Team, das sich mit fünf Punkten aus acht Spielen erst einmal aus dem Morast der Abstiegszone herausbewegen muss. Aus Gefilden, in denen man Alonso eher nicht vermutet hätte.

Denn in der Branche ist wohlbekannt, dass er bei einer Reihe von großen Klubs als Trainer der Zukunft auf dem Zettel stand; Vertreter von Real Madrid oder Liverpool sollen in der Vergangenheit beständig mit dem Auge gezwinkert haben, nach dem Motto: Wir haben dich nicht vergessen. Er hätte schon nach dem Ende seiner Karriere problemlos als Coach in einer großen Liga einsteigen können. Nur so als Beispiel: Schon vor langer Zeit sagte der frühere Bayern-Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge, er könne sich vorstellen, Alonso als Trainer in München zu sehen. Der aber ging einen anderen, wohldurchdachten Weg.

"An erster Stelle kommt die Menschenführung - erst danach kommen Fußballwissen und Taktik", sagt Alonso

Erst nachdem er ein Jahr lang Jugendtrainer bei Real Madrid gewesen war, habe er sicher gewusst, dass er Trainer werden wollte, sagte Alonso am Donnerstag; erst danach habe er die Ausbildung intensiviert, den Job bei "SanSe" angenommen, der zweiten Mannschaft von Real Sociedad. "Ich wollte mich erst selbst als Trainer kennenlernen", erklärte er. Nun wagt er den Sprung in die erste Reihe. "Ich habe das Gefühl: Jetzt ist es der richtige Moment."

An Vorbildung mangelt es ihm nicht, seine Karriere wurde von berühmten Lehrmeistern des Fußballs gemeißelt. Er spielte unter Trainern vom Schlage eines Rafa Benítez, José Mourinho, Pep Guardiola, Manuel Pellegrini oder Carlo Ancelotti, unter Vicente Del Bosque und Luis Aragonés wurde er mit Spanien Welt- und Europameister. Was er von ihnen gelernt habe?

"Dass die Hauptaufgabe darin besteht, dass die Spieler dir folgen müssen", sagte Alonso: "Sie müssen an das glauben, was du ihnen sagst. Du musst sie füttern: Sie müssen das Gefühl bekommen, dass sie mit deinem Coaching besser werden. Sie müssen wissen, dass du da bist, um ihnen zu helfen - mit deiner Kenntnis, deiner Führung, deiner Motivation. An erster Stelle kommt die Menschenführung - erst danach kommen Fußballwissen und Taktik."

Was ja nicht heißt, dass er nicht klare Vorstellungen davon habe, wie seine Mannschaft spielen soll. Im Gegenteil. Er wolle modernen Fußball spielen. Und das bedeute, "dass wir dominant sind, Aktivität und Intensität mit und ohne Ball zeigen, gute Ballkontrolle haben, dynamisch, drängend, torhungrig sind". Das alles müsse sich in 95 Minuten Konzentration äußern: "Wenn du nach 80 Minuten abschaltest, bist du tot."

Sportdirektor Simon Rolfes, der schon lange vor der Beurlaubung von Alonso-Vorgänger Seoane Kontakt zu dem Basken aufgenommen hatte, lauschte diesen Ausführungen wie einer Symphonie; sie passten bestens zur "Philosophie" Leverkusens. Aus dem Mannschaftskreis habe er nur positive Reaktionen vernommen, berichtete Rolfes. Gerade für die jungen Spieler sei "es eine große Chance, von jemandem zu lernen, der auf dem höchsten Niveau gespielt hat".

Alonso erwarb sich damit einen vornehmen Ruf. Manche Frage, die ihn am Donnerstag ereilte, klang, als würde er seine Reputation durch das Engagement womöglich aufs Spiel setzen, es scheint ihm einerlei zu sein. "Wenn du Risiken schüchtern begegnest, erreichst du nichts", sagte Alonso, denn "nichts ist sicher, im Leben nicht, im Fußball noch weniger. Und wenn du es nicht versuchst, kommst du nie an." Wo dieser imaginäre Ankunftsort liegt, werde sich noch weisen; seinen Spielern werde er "meine Motivation, meinen Hunger, meine Nähe geben". Er komme "mit frischer Energie."

Erst nach dem ersten Spiel am Samstag, dem am Mittwoch ein Champions-League-Auftritt gegen den FC Porto folgt, werde er genauer wissen, was sein neues Team brauche. Obschon er natürlich die Bundesliga verfolgt habe in den vergangenen Jahren, ist es immer etwas anderes, den Spielern in die Augen zu schauen.

Dass er nach Deutschland zurückgekehrt ist, sei kein Zufall. Er liebe die Professionalität der Bundesliga, die Ruhe und die Ernsthaftigkeit Deutschlands. "Die Bundesliga wird jedes Jahr besser. Es gibt großartige Trainer - auch junge Trainer, denn in der Bundesliga haben die Klubs keine Scheu, jungen Trainern eine Chance zu geben", sagte er und meinte: Trainern wie ihm.

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