Süddeutsche Zeitung

Xabi Alonso:"Der FC Bayern ist eher Jazz"

Lesezeit: 12 min

Ein Gespräch über erstaunliche Seiten von Trainer Pep Guardiola, Real Madrid, Toni Kroos - und über die Kunst, ein Spiel zu lesen.

Interview von Javier Cáceres und Boris Herrmann

Vor dem Gespräch macht er noch einen kleinen Spaziergang. Xabi Alonso, 32, schlendert durch die sogenannte Erlebniswelt des FC Bayern München, eine Art begehbares Geschichtsbuch des Vereins. Der spanische Welt- und Europameister guckt sich ein paar Gerd-Müller-Tore auf Video an, er sieht Sepp Maier nach Enten hechten und hört Beckenbauer Reden schwingen. Alonso lässt sich Zeit. Er, der so viel erlebt und erreicht hat, in Madrid und in Liverpool, scheint aufrichtig gerührt zu sein, dass die Geschichte dieses FC Bayern demnächst auch seine Geschichte werden kann. Vielleicht ist sie das sogar schon. Bald ist Alonso umringt von anderen Museumsbesuchern. Die interessieren sich plötzlich nicht mehr für die Enten der Vergangenheit, sondern für den Taktgeber der Gegenwart. Alonso genießt die Zuneigung, aber das Gespräch möchte er doch lieber in einem ruhigen Nebenzimmer führen. Er sagt, er könne sich da besser konzentrieren. Es gibt einiges zu bereden.

SZ: Herr Alonso, erinnern Sie sich noch an Iñigo Elarre?

Xabi Alonso: Ui, Sie haben aber tief gebuddelt . . . Klar erinnere ich mich!

Elarre war Ihr Trainer bei Antiguoko, der Fußballakademie in San Sebastián, die Sie besucht haben. Er erzählt die Anekdote, dass Sie 15 waren und neben ihm auf der Bank saßen, weil Sie sich die Hand gebrochen hatten - und immer fünf Sekunden schneller waren als er, wenn es darum ging, den Spielern Anweisungen zu geben.

Hombre, meine Wiege stand in einem Fußballerhaushalt. Mein Vater war Profi, später Trainer. Mit meinem Bruder haben wir Fußball gespielt, über Fußball gesprochen oder über Fußball nachgedacht. Wir haben von klein auf Fußball erlebt. Im Wortsinn.

Ihre erste Profikabine sollen Sie in der Tat als Baby betreten haben, als Ihr Vater Periko Alonso beim FC Barcelona spielte.

Das wird so gewesen sein. Mein Vater kam im gleichen Sommer zu Barça wie Diego Maradona, nach der WM 1982. Aber eine aktive Erinnerung habe ich daran natürlich nicht. Die setzt erst ein, als er nach seiner Zeit bei Barça bei Sabedell spielte, und erst recht, als er bei Eibar ( damals Zweit-, heute Erstligist/d. Red.) Trainer wurde.

Haben Sie viel mit Ihrem Vater über Fußball gesprochen?

Sicher. Aber nicht in dem Sinne: Das musst du besser machen, dies musst du feilen . . . Eher: Guck dir diese Mannschaft an! Schau mal, wie die dies machen! Wir sahen unzählige Spiele, und wir haben das genossen. Und als mein Vater dann Trainer war, wurde der Samstag zum Feiertag. Wir hatten keine Schule, und mein Bruder Mikel und ich durften mit unseren Fußballschuhen mit auf den Trainingsplatz - und die Torhüter warmschießen.

Vor ein paar Wochen sagte Real Madrids ehemaliger Generaldirektor Jorge Valdano: Xabi Alonso war wahrscheinlich der wichtigste zentrale Mittelfeldspieler, den Real hatte. Noch vor Redondo und einem früheren Mannschaftskameraden ihres Vaters: Bernd Schuster.

( Pustet durch) Das sind große Namen, die eine enorme Wirkung auf den modernen Fußball gehabt haben. Diese Position hat eine große Tradition bei Real Madrid: Vicente del Bosque, Martín Vázquez . . . Je mehr Tage ins Land gehen, desto zufriedener bin ich mit der Entscheidung, die ich getroffen habe: Real Madrid nach diesem großen Triumph, der Décima ( der zehnten Champions-League-Trophäe/d. Red.), zu verlassen, die ja in all diesen Jahren die Obsession dieses Klubs war. Wenn du ein solches Ziel erreichst, ist es schwierig, dich wieder anfixen zu lassen. Ich glaube, so etwas ist zutiefst menschlich. Als dann diese Möglichkeit in München auftauchte, wusste ich: Diesen Zug musst du nehmen.

Haben Sie die Entscheidung in Lissabon getroffen, in der Nacht des Champions-League-Finalsieges gegen Atlético?

Nein, nein, nein. Sie überkam mich im Sommer. Wahrscheinlich war Bayern auch der einzige Klub, zu dem ich wirklich hätte gehen wollen. Nach meiner Zeit in Liverpool wäre es nicht möglich gewesen, zu einem anderen Klub nach England zu gehen. Und der FC Bayern bot so viele Reizpunkte. Ich sehe mich schon noch zwei, drei Jahre auf höchstem Level. Trotzdem war es eine komplizierte Entscheidung.

Inwiefern?

Ich war bei einem der besten Klubs der Welt. Ich fühlte, dass der Klub und die Fans Wertschätzung für mich empfanden. Ich hatte ein großartiges Verhältnis zu Trainer Carlo Ancelotti, er hatte großes Vertrauen zu mir. All diese Dinge, die da geschrieben wurden, von wegen jetzt ist Toni Kroos da, jetzt wird Xabi Alonso weniger Spielzeit haben, entsprachen überhaupt nicht dem Gefühl, das ich hatte. Es ging mir wirklich darum, eine neue Herausforderung zu finden.

Sie hatten erst im Februar ihren Vertrag in Madrid verlängert.

Damals hatten wir noch den Traum, von dem ich sprach: die Décima. Ich wollte immer Teil der Geschichte Real Madrids sein. Und nachdem wir diesen Titel geholt hatten, der dem Klub so viel bedeutet, hatte ich das Gefühl, meine Obliegenheit bei Real Madrid erfüllt zu haben.

Ketzerisch gesprochen muss einer der beiden Vereine einen großen Irrtum begangen haben: Real, weil es Sie ziehen ließ. Oder der FC Bayern, weil er Sie holte.

Real Madrid hat mich ja nicht gezwungen, das Weite zu suchen. Ich glaube, ich war fünf Jahre lang ein guter Profi. Das hat man letztlich zu würdigen gewusst. Und als ich dann darum bat, gehen zu dürfen, haben sie mich schlichtweg verstanden.

Hat der Transfer von Toni Kroos wirklich keine Rolle gespielt? Das war doch ein klares Signal, dass da jetzt jemand kommt - um Sie zu ersetzen.

Überhaupt nicht. Ich habe seine Verpflichtung immer für eine großartige Nachricht für den Klub gehalten. Dass ein Spieler von der Kategorie, der Klasse, der Qualität von Kroos kommt, hat mich gefreut. Ich glaube, wir hätten zusammen perfekt funktionieren können, wenn ich geblieben wäre. Er ist einer der Spieler, die so gut sind, dass man für sie einfach eine Schwäche haben muss. Es gibt wenige Spieler wie ihn auf der Welt.

Jetzt wohnen Sie in seiner ehemaligen Villa in München. Hat er Ihnen wenigstens eine Satellitenschüssel da gelassen?

Ja, um die spanische Liga zu gucken . . .

Wir haben uns gewundert, dass Sie ausgerechnet bei Pep Guardiola gelandet sind. In Madrid galten sie als überzeugter Mourinhista, als einer der treuesten Spieler von José Mourinho, der jahrelang Guardiolas Lieblingsfeind war. Es gab unzählige Provokationen.

Ich bin immer ein Spieler meines jeweiligen Trainers gewesen. Das hat auch mit dem zu tun, worüber wir am Anfang sprachen, was ich seit meinen Wiegentagen aufgesogen habe: Mein Vater war Trainer. Und ich respektiere die Figur des Trainers sehr. Es ist ein sehr schwieriger Job. Du musst all die Variablen kontrollieren, die sich aus der Gegenwart von 25 Spielern ergeben. Personalmanagement, das ist alles andere als einfach. Ich habe mit Mourinho, Pellegrini, Ancelotti ein gutes Verhältnis gehabt, in Liverpool mit Benítez. Dass ich in Madrid mit Mourinho gearbeitet habe, während Pep eine großartige Zeit bei Barça hinlegte, und dass jetzt plötzlich vermeintliche Gegensätze zusammenwachsen - das sind Dinge, die wir Profis in diesem Job mit großer Selbstverständlichkeit erleben. So läuft das Geschäft.

Haben Sie mit Guardiola die Vergangenheit aufgearbeitet?

Nein. Nie. Wir haben damals ja beide genossen, jeder auf seiner Seite. Und jetzt genießen wir hier etwas gemeinsam. Für mich ist es recht einfach, weil ich in eine Mannschaft geraten bin, die schon gar ist. Sie funktioniert, so wie sie ist.

Was verlangt Guardiola von Ihnen?

Vor allem, dass ich das Spiel lese.

Das kann man doch eigentlich auch von der Fernsehcouch aus machen.

Um Himmels Willen. Ich spreche davon, das auf dem Platz zu tun. In Echtzeit. Die Lektüre eines Spiels muss man in Aktion umwandeln.

Was heißt das denn, das Spiel lesen?

Das Spiel zu verstehen. Sich in jedem Moment an das anzupassen, was die Mannschaft braucht. Pep war selbst auch zentraler Mittelfeldspieler, und die Art, wie er den Fußball sieht, versucht er mir zu vermitteln, damit ich sie auf dem Feld in die Praxis umsetze. Wie ich mich auf dem Feld positioniere, welche Bewegungen ich ausführe, wie ich Abwehr und Angriff miteinander in Kontakt bringe, wann ich Pausen setze, Schwächen des Gegners erforsche . . . Möglicherweise sind mir mit den Jahren einige Dinge abhandengekommen. Aber ich würde schon behaupten, dass ich an Reife gewonnen habe. Und das erlaubt mir, den Fußball besser zu interpretieren.

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Seine Profi-Karriere begann Alonso 1999 bei Real Sociedad San Sebastián - dort spielte er, durch eine Leihe nach Eibar unterbrochen, bis 2004.

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Beim FC Liverpool nahm seine Laufbahn dann Fahrt auf: Mit den Reds gewann er 2005 ein legendäres Champions-League-Finale gegen den AC Mailand.

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Auch sonst war seine Zeit in Liverpool erfolgreich: Er wurde englischer Pokal- und Supercup-Sieger sowie Uefa-Supercup-Gewinner.

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Mit der Nationalmannschaft gewann er zudem drei große Titel: die Europameisterschaft 2008 in Österreich und der Schweiz,...

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...den Weltmeistertitel in Südafrika 2010...

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...und seinen zweiten Europameistertitel 2012 in Polen und der Ukraine. Dabei war er eine der zentralen Figuren des spanischen Erfolgs.

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Auf Vereinsebene wechselte er 2009 zu Real Madrid - sein größter Erfolg bei den Königlichen war der Champions-League-Gewinn 2014.

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Nach dem WM-Vorrunden-Aus reiste das Nationalteam um Alonso frühzeitig ab - der Mittelfeldspieler gab einige Zeit später seinen Rücktritt bekannt.

Ein Mann, drei Länder, fünf Vereine: Seit August 2014 spielt Alonso nun beim FC Bayern München.

Der argentinische Fußball-Gelehrte Dante Panzeri pflegte zu sagen, dieses Spiel sei die Kunst des Unvorhergesehenen. Können Sie das mal aus Künstler-Sicht erläutern?

Jedes Spiel ist wie eine kleine Schlacht. Du musst einen Plan erdenken, um einen kleinen Vorteil zu erzielen. Die Kunst des Unvorhersehbaren gibt dir solche kleinen Vorteile. Je größer die Summe kleiner Vorteile ist, desto größer die Chance, zu gewinnen.

Die Rolle, die Sie nun beim FC Bayern ausfüllen, unterscheidet sich aber ein wenig von der Rolle, die Sie früher bei Real Madrid hatten, oder?

Ja, die Konstruktion des Spiels unterscheidet sich sogar sehr stark. Bei Real Madrid war alles schneller, direkter. Was mit den Fertigkeiten der Spieler zu tun hat, die dort zur Verfügung stehen. Hier in München ist der Spielaufbau sehr viel geduldiger, sehr viel feiner, elaborierter. Hier suchen und suchen und suchen wir, bis wir da sind, wo wir dem Gegner Schaden zufügen können. Real Madrids Stil ist mehr Rock'n'Roll.

Und der FC Bayern?

Der ist eher Jazz.

Was gefällt ihnen besser?

Schwer zu sagen. Was ich sagen kann: Ich glaube, dass ich in beiden Stilformen gut zurechtkomme. Ich habe das fünf Jahre lang gut bei Real Madrid beherrscht. Und jetzt habe ich hier gut hineingefunden.

Gut ist leicht untertrieben. Dortmunds Trainer Jürgen Klopp sprach nach Ihrem ersten Bundesligaspiel (1:1 bei Schalke 04 am 30. August) von einer "Offenbarung".

Ich hatte vor meinem ersten Einsatz kaum Zeit, um mich umzuziehen und den neuen Kollegen Hallo zu sagen. Für mich war es auch eine Überraschung, gleich von der ersten Minute an so ins Spiel einbezogen zu werden - und nicht etwa als verdächtiges Päckchen behandelt zu werden. Ich hätte nicht gedacht, dass es so schnell gehen würde, ehrlich nicht.

Sie hatten Zweifel?

Zweifel nicht. Ich war eher gespannt, wie ich mich zurechtfinden würde. Andererseits wusste ich, dass das Münchner Spiel dem nahekommt, was ich aus Spaniens Nationalelf kannte. Es war also kein völliges Neuland.

Sie sagten, die Mannschaft des FC Bayern sei komplett funktionsfähig gewesen, als Sie kamen. Einen Xabi Alonso scheint die Elf aber doch noch vertragen zu können. Oder wie sonst erklären Sie sich ihren Bundesligarekord von 206 Ballkontakten in einem Spiel?

So etwas hängt von den Mitspielern ab. Und wenn es überhaupt etwas aussagt, dann doch dies: dass die Mitspieler sagen, wir vertrauen Xabi. Dass sie mich suchen. Und dass sie da sind, wenn ich sie suche. Aber die Idee, wie Spiele angegangen werden müssen, nennen Sie es meinetwegen die Philosophie oder den Stil, ist schon ziemlich vorgefertigt. Dafür sind zwei Dinge entscheidend: die Qualität der Spieler und die Vorstellungen des Trainers.

Sie bringen bei Guardiola ein Stilelement ein, das im vergangen Jahr noch verpönt zu sein schien: den langen Ball. Verändern Sie den Stil der Mannschaft?

Im modernen Fußball muss man eine sehr klare Vorstellung von dem haben, was man will. Gleichzeitig muss man die Fähigkeit haben, sich komplett auf den Gegner und das Spiel einzulassen. Ich habe festgestellt, dass Pep sehr pragmatisch ist. Er hat überhaupt kein Problem, Dinge zu ändern, egal ob gegen einen großen oder einen weniger renommierten Gegner, um das zu optimieren, was er selbst zur Verfügung hat. Wenn wir unterschiedliche Stile vermengen können, werden wir unvorhersehbarer sein.

Sie klingen, als habe Sie dieser Pragmatismus überrascht.

Nichts hat mich mehr überrascht hier in München. Wenn Pep etwas vorträgt, dann hat er sehr klare Vorstellungen. Aber wenn er bestimmte Schattierungen einbringen muss, macht er das.

Als der FC Bayern in der vergangenen Saison im Champions-League-Halbfinale gegen Real Madrid ausschied, hat er das womöglich nicht getan...

Ich war da auf der anderen Seite. Und das verlangt mir einen Respekt ab, der mir nicht erlaubt, darüber zu sprechen.

Beim FC Bayern sind Sie von mehr Mittelfeldspielern als in Madrid umgeben. Man könnte sagen: Sie sind geschützter.

Ja. Bei Real waren die Distanzen länger, die ich zurückzulegen hatte. Weil Spieler wie Cristiano Ronaldo oder Gareth Bale so schnell sind, werden auch die Räume größer, die man zu bearbeiten hatte. Hier in München sind die Distanzen kürzer.

Sie haben drei Fußballkulturen kennengelernt. Die spanische, die englische, die deutsche...

...Sie müssen mir Zeit geben, bis ich wirklich über die deutsche Fußball-Kultur und den FC Bayern so sprechen kann, wie ich es wollte.

Einverstanden. Sprechen wir also über Spanien und England.

Das waren ganz unterschiedliche Etappen. Ich habe bei Real Sociedad San Sebastián angefangen und dort festgestellt, dass ich genug Niveau habe, um Fortschritte zu erzielen. Der Schritt nach Liverpool war dann fundamental.

Inwiefern?

Professionell, aber vor allem persönlich, denn ich verließ die familiäre Umgebung, und das prägt dich als Person. Du hörst auf, ein Kind zu sein und wirst ein Mann. Auch fußballerisch wuchsen die Anforderungen. Es war ein Klub, der in Europa um Titel kämpfte.

Und welche gewann. Sie haben dort 2005 gegen den AC Milan, für den unter anderem Schewtschenko, Kaká, Maldini, Gattuso und Crespo spielten, den ersten Ihrer beiden Champions-League-Titel geholt.

Dieses Spiel! Ich glaube, zusammen mit dem Finale der Bayern 1999 gegen Manchester ist es das dramatischste Endspiel der Geschichte. Ein Wunder, ein echtes Wunder.

Sie lagen in Istanbul 0:3 zurück und dann haben Sie noch innerhalb von sechs Minuten ausgeglichen. Das 3:3 erzielten Sie: Dida hielt Ihren Elfmeter und Sie verwandelten den Nachschuss.

Sie müssen wissen, dass Dida gigantische Arme hat. Und als der Ball dann im Nachschuss endlich drin war - ich glaube, das war der schnellste Sprint meines Lebens.

Das hat Sie geprägt?

Die ganze Zeit in England hat mich geprägt. Als ich auf die Insel kam, war ich ein Spieler, der zu viel lief, ohne viel nachzudenken. In Liverpool hatte ich das Glück, Rafael Benitez zu treffen. Er brachte mir bei, was ich als mediocentro, als zentraler Mittelfeldspieler, zu tun hatte. Wie ich mich positionieren musste. Das hat mich reifen lassen. Als ich zu Real Madrid ging, war ich ein anderer Spieler.

Hat Ihnen das geholfen?

Und wie. Real Madrid, das ist ein wilder Stier. Das ist ein Verein, zu dem du gehen musst, wenn du ein bisschen Lebenserfahrung hast. Da muss man mit Respekt und Kredit hin. Ich weiß nicht, was passiert wäre, wenn ich fünf Jahre früher hingegangen wäre. Und hier in München bin ich nochmal fünf Jahre älter und reifer. Ich pflege ein anderes Tempo, was mein Leben anbelangt wie auch mein Spiel.

Worum kämpfen Sie hier?

Um besser zu werden. Um zu lernen. Vom Trainer, von der Mannschaft, vom Klub, der Liga, dem Land. Meinen Heimatklub, Real Sociedad, verlassen zu haben, um einer der Anführer bei Real Madrid und bei Bayern zu werden, das ist eine Laufbahn, die mir gefällt. Und um sie zum komplettieren, wäre es schön, auch hier Erfolg zu haben und Titel zu gewinnen.

Mit 32 Jahren sind Sie ein Spieler, den man alt zu nennen beginnt . . .

Ich bin reif. Erfahren. Nicht alt.

Ist es für Sie heute einfacher, den Jazz der Bayern als Reals Rock'n'Roll zu spielen?

Wichtig ist der Kopf. Wenn du frisch bist, motiviert bist, kannst du dich an Rock genauso wie an Jazz gewöhnen.

Sie sagen selbst, dass Sie hier ein kleineres Feld zu beackern haben. Hat Bayerns Spielstil bei Ihrer Entscheidung eine Rolle gespielt?

Nein. Und wenn Sie sich die Laufleistung anschauen, werden Sie sehen, dass ich unter den Spielern bin, die die längsten Strecken zurücklegen. Es ging nicht um den Körper, sondern um den Kopf.

Sie traten im Sommer aus der Nationalelf zurück, auch das schont die Knochen.

Es war der richtige Moment, meine Kräfte zu dosieren. Man muss wissen, wann man einen Schritt zur Seite machen muss, um einen guten Abgang zu haben. Die letzte Erfahrung in Brasilien, als wir in der Vorrunde ausschieden, war alles andere als gut. Aber insgesamt hätte ich nie erwartet, Teil einer so langen, so guten Geschichte gewesen zu sein. Ich bin stolz und froh, das alles erlebt zu haben.

Sie waren Weltmeister und zweimal Europameister mit Spanien, das weltweit als Leitbild diente. Jetzt ist Deutschland Weltmeister und der FC Bayern beschäftigt fünf spanische Spieler sowie vier Spanier im Trainer- und Betreuerstab. Verschiebt sich da gerade der Fokus?

Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie sich viele Blicke in Spanien auf die Premier League richteten. Wir waren ja einige Spanier, die nach England gegangen sind. Jetzt habe ich das gleiche Gefühl, dass die Blicke nach Deutschland gehen und natürlich zum FC Bayern. In Spanien achten sie neuerdings mehr auf das, was hier in der Bundesliga passiert. Die Leute wissen, wer bei Hannover, Wolfsburg und Hoffenheim spielt, beim FC Bayern sowieso. Dass Deutschland Weltmeister geworden ist, spiegelt die gute Gesundheit der Bundes- liga wieder. Das Wachstum der vergangenen Jahre. Man sieht das an den Stadien und dem Ambiente, das dort herrscht. Ich finde es fantastisch, das miterleben zu können.

Haben Sie die Debatte um "Spanish- Bayern", um die vielen spanischen Akteuren hier, mitbekommen?

Solche Debatten lösen sich früher oder später von selbst auf, wenn die Spieler gut sind. Dann werden die Leute uns umarmen wie jeden anderen Spieler. Wenn sie schlecht sind, wird die Debatte weitergehen. Aber ich glaube auch, dass es beim FC Bayern einen Kern von deutschen Spielern geben muss.

Was ist daran so wichtig? Leben wir nicht in transnationalen, globalen Zeiten?

Ohne Frage. Es geht ja nicht darum, die Freizügigkeit infrage zu stellen, dass jemand nach London oder nach München zum Arbeiten gehen kann. Aber die Multikulturalität muss ja nicht das überdecken, was vorherrscht. Es ist gut, dass man in der Kabine spürt, dass da mit Philipp Lahm, Manuel Neuer, Jérôme Boateng und Thomas Müller ein Kern existiert. Sie sind es, die den Klub und die Fans repräsentieren, sie sind diejenigen, die wissen, wo es langgeht.

Wenn es stimmt, was Ihr Jugendtrainer sagte, dann wussten Sie schon mit 15 Jahren, wo es langgeht. Wollen Sie irgendwann nach der Karriere als Aktiver Trainer werden?

Ich weiß es noch nicht, manchmal denke ich dran. Der Moment rückt näher, in dem ich sagen muss, was ich danach machen will. Aber der Gedanke an das Leben nach dem Fußball verursacht mir noch Vertigo, leichte Schwindelanfälle.

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Quelle:
SZ vom 24.05.2016
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