Süddeutsche Zeitung

Xabi Alonso beim FC Bayern:Der Quarterback, der das Chaos ordnete

  • Xabi Alonso beendet am Samstag seine große Karriere.
  • Nicht nur beim FC Bayern werden sie den Spanier vermissen.

Von Martin Schneider

Wer über Xabi Alonso redet, der muss über die Langsamkeit sprechen. Am Samstag wird der 35-Jährige seine Karriere in München beenden und in dieser Saison haben viele Menschen, die sich Fußballspiele des FC Bayern angeschaut haben, bemerkt, dass Xabi Alonso irgendwie zu spät kam. Bei einer Grätsche, bei einem Kopfball, bei einem Sprint sowieso. Carlo Ancelotti, sein Trainer bei Bayern und Jahre zuvor auch schon bei Real Madrid, sagte im Oktober: "Dass Alonso langsam ist, ist die Wahrheit."

Langsamkeit im Fußball, das ist in Zeiten von Vollgasphilosophie, Umschaltmomenten und Gegenpressing fast schon ein Schimpfwort. Aber Langsamkeit kann vieles bedeuten. Trägheit - aber auch Geduld. Xabi Alonso ist Baske, er liebt das Hochseefischen und wie jeder Angler kennt er die Kraft des Wartens. Sein Körper ist mit den Jahren träger geworden, aber er war sowieso nie der größte Sprinter des Platzes. Alonso, der Trainer-Sohn, war immer ein Spieler, der Fußball mit dem Kopf gespielt hat. Denn die Wahrheit, wie Carlo Ancelotti dann auch gesagt hat, ist nicht nur, dass Xabi Alonso langsam ist.

Die Wahrheit ist: Er ist immer noch der Regisseur des FC Bayern, obwohl er so langsam ist. Am Wochenende wird ein Spieler aufhören, der das Fußball-Spiel in seinem Innersten verstanden hat.

Alonso und der Diagonalpass

Es gibt einen Spielzug, den sie beim FC Bayern seit Alonso da ist, immer mal wieder spielen. Es ist einer dieser Spielzüge, um eine tiefstehende Abwehrreihe zu knacken. Er geht so: Xabi Alonso bekommt den Ball. Er spielt ihn flach auf die rechte Seite zu Philipp Lahm. Lahm läuft nach vorne, Thomas Müller kommt meist dazu, Arjen Robben steht bereit. Der Gegner muss viele Abwehrspieler auf die Seite ziehen, um diese Dreierkombination zu verteidigen. Wenn die Abwehr des Gegners auf die eine Seite des Spielfeldes gerückt ist, bekommt Alonso wieder den Ball. Er schlägt ihn mit seinem starken rechten Fuß lang und präzise nach links, wo meist Franck Ribéry und David Alaba warten. Auf ihrer Seite sind keine Abwehrspieler mehr und sie können aufs Tor zulaufen.

Der Diagonalpass, er war so einprägsam für Xabi Alonsos Spiel, dass ihn viele Quarterback nannten. Wer ihn beobachtete bei seinen Spielen, der sah, wie er immer wieder den Kopf drehte und wendete. Er scannte den Platz wie eine Eule mit Laseraugen. Er schaute sich um: Wo stehen Mitspieler? Wo stehen Gegenspieler? Wo ist der halbe Meter freier Raum, in den ich meinen Pass schlagen kann? Alonso versuchte in jeder Sekunde, das Chaos auf dem Fußballplatz zu begreifen und in seinem Kopf zu ordnen. In seinen besten Momenten lenkte er das Spiel wie eine Marionette - mit seinen Pässen als Fäden.

Spielverständnis ist eine der wichtigsten Fähigkeiten im Fußball und es gibt keine statistische Größe, um es zu messen. Beim FC Bayern gibt es mit Philipp Lahm und Thomas Müller höchstens noch zwei andere Spieler mit einem ähnlichen Gefühl für Raum, Zeit und Ball. Wobei Thomas Müller, weil er im Körper von Thomas Müller steckt, natürlich niemals spielsortierende Bälle spielen kann. Laut den Statistikern hat Alonso in drei Jahren Bundesliga übrigens 6127 Pässe gespielt - natürlich sind das viel mehr als jeder andere Spieler in diesem Zeitraum.

Es existieren wenige spektakuläre Szenen aus der Karriere des Xabi Alonso. Als er im Champions-League-Finale 2005 den Elfmeter zum 3:3 (nach 0:3-Rückstand) für den FC Liverpool gegen den AC Mailand im Nachschuss versenkte. Oder als ihn der Niederländer Nigel de Jong im WM-Finale 2010 mit einem Kung-Fu-Tritt in die Brust trat. Aber eine Szene, die ist spektakulär und steht gleichzeitig sinnbildlich für sein fußballerisches Schaffen. Es war im September 2006 in einem Spiel für Liverpool gegen Newcastle United. Alonso gewinnt den Ball mit einem präzisen Ausfallschritt in der eigenen Hälfte. Er legt ihn sich auf den rechten Fuß, will einen Pass zum Konter spielen und bricht ab. Dann schaut er nach links, sieht auch dort keinen, der seinen Pass annehmen könnte. Und entscheidet sich dann: Schieß ich halt drauf. Der Ball segelt 60 Meter lang über das Spielfeld und fällt ins Netz. Ein Traumtor mit dem dritten Gedanken.

Man kann sich durch das Archiv wühlen und findet keinen Trainer, der sich nicht begeistert, obwohl Alonso unter so verschiedenen Typen wie José Mourinho, Pep Guardiola und Carlo Ancelotti trainiert hat. Selbst Jürgen Klopp, der Geschwindigkeitstrainer, sprach damals noch als Dortmund-Trainer nach dem ersten Spiel von Xabi Alonso für den FC Bayern von einer "Offenbarung". Damals, 2014, stieg Alonso quasi aus dem Flieger, hatte noch nicht mit der Mannschaft trainiert, und dirigierte das Spiel gegen Schalke, als hätte er nie etwas anderes getan. Klopp war es auch, der dem deutschen Publikum 2013 im Fernsehen erklärte, dass man bei Real Madrid nicht Ronaldo, sondern Xabi Alonso aus dem Spiel nehmen müsse. Alonso einen Sonderbewacher auf die Füße zu stellen, gehörte über die Jahre auch zum guten Ton von Gegnern in der Münchner Arena.

Nur Weigl schaffte mehr Ballberührungen

Mit Alonso geht ein Spielertypus, den es im Weltfußball nicht mehr so oft gibt. In England spielt keiner mehr wie Alonso, weil sich die Premier League der Geschwindigkeit ergeben hat und von ihr verschlungen wurde. Italien sucht noch nach einem neuen Andrea Pirlo und auch in Deutschland würde man Dortmunds Julian Weigl einen zu großen Rucksack aufsetzen, wenn man ihn jetzt schon mit dieser Kategorie Spieler vergleicht. Auch, wenn es sicherlich seinen Grund hat, warum Weigl den Rekord für die meisten Ballberührungen (214) in einem Bundesligaspiel von Alonso übernommen hat (206).

In Spanien gibt es aber einen Spieler, der von der Bewegung, vom Spielverständnis, von den Diagonalpässen und auch von der Langsamkeit her mit Xabi Alonso vergleichbar ist. Und es ist natürlich eine schöne Fußnote der Fußballgeschichte, dass Alonso in München zwei Jahre lang Mieter im Haus von Toni Kroos war.

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