X-Games in München:Show der Schmerzensleute

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X-Games Munich Day 2

Javier Villegas (links) und Mat Rebeaud beim Motocross-Wettbewerb der X-Games.

(Foto: Bongarts/Getty Images)

Wo die Freiheit keine Grenzen kennt, gerät leicht auch das Risiko aus dem Blick: Die Münchner Premiere der X-Games zeigt Segen und Fluch des Freestyle-Sports. Hinter den Kulissen ist viel Nachdenklichkeit zu entdecken. Sogar die Mutigsten kennen so etwas wie Angst.

Aus dem Olympiapark von Thomas Hahn

Es gibt keinen Tag ohne Sturz im Leben eines Skateboarders, auch Chris Cole hat sich deshalb ein paar Mal auf den Boden seiner schwarzen Jeans gesetzt im Street-League-Finale der Skateboarder bei den Münchner X-Games. Das kleine Rollenbrett ist so unendlich schwer zu beherrschen, dass es selbst den Besten immer wieder entwischt. Aber auch wenn das Brett gehorcht: Es geht so eine brüchige Eleganz von der Skateboard-Elite aus, die in jedem Augenblick erahnen lässt, welche hohe Bewegungskunst ihren Tricks zugrunde liegt.

"München! Absolute Street-League-Madness!" schreit der Stadionsprecher durch die vollbesetzte Eishalle des Olympiaparks, als wollte er das Klischee vom grellen Funsport herbeibrüllen. Aber die Profis bleiben gelassen, springen, schreddern, stürzen, stehen wieder auf, bis der Amerikaner Chris Cole, 31, aus Statesville den Wettkampf mit dem letzten Versuch auf seine Seite zwingt. Cole springt die Stufen hinunter, löst sich vom Brett, das sich wie von Geisterhand geführt so um die eigene Achse dreht, dass Cole mit beiden Füßen auf ihm zu stehen kommt und darauf das Geländer hinunterrollen kann. 360 Kickflip 50-50 Grind. Gestanden. Die Menge jubelt, als wäre beim Fußball ein Tor gefallen. 9,0 Punkte. Gold.

Die X-Games-Premiere in München ist ein Fest gewesen, bei dem die Show so gegenwärtig war wie das Risiko des Scheiterns. Sie schwebte irgendwo zwischen Sport und Kunst, Oberfläche und Tiefe. Sie war faszinierend und abschreckend zugleich. Sie zeigte sinnfreies Akrobaten-Theater, dann wieder Zaubereien von innerer Kraft. Und daneben, an einzelnen Ständen des dröhnenden Sponsoren-Parcours, auch die ganz andere Seite des Freestyle-Wesens, die kleine, ruppige Schönheit der Untergrund-Sportart Skateboarden, die vor allem die beseelten Kommerzkritiker des Milieus tragen. Die Spiele wirkten auf den ersten Blick tatsächlich wie die rücksichtslose Spektakel-Phantasie ihrer Erfinder vom US-Privatkanal ESPN - und dann waren sie doch nur eine ganz normale Sportveranstaltung, der das Regenwetter Ausfälle und Verschiebungen aufzwang.

Die X-Games sind ein Produkt des freien US-Unterhaltungsmarktes, und so kann man dabei auch viel erfahren über Segen und Fluch des amerikanischen Verständnisses von Freiheit. Die Kultur des Freestyle haben die Amerikaner so bedingungslos vorangetrieben wie keiner sonst und damit der Sportwelt eine neue kreative Dimension verliehen. Traditionen sind nicht wichtig. Es geht um Fortschritt, Zukunft, Abenteuer. "Innovation ist ein großer Teil des Freestyle", sagt der US-Motocrosser Nate Adams, in München Bronze-Gewinner im Speed- and Style-Contest. "Was Neues finden, etwas, das noch niemand gesehen hat. Gefährlicher, technischer. Dadurch bleibt es nie gleich, irgendjemand macht immer was Neues, um Fernsehzeit zu bekommen und einen Sponsor."

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