X-Games der Funsportler:XXL gegen die Verräter

"Wer im Rennanzug kommt, wird ausgelacht": Snowboarder und Ski-Crosser kämpfen bei den X-Games für ihre Kleiderordnung und um das Image ihres Sports.

Fabian Heckenberger

Das Maßband hat Nate Holland an der Ziellinie noch nicht ausgepackt, doch der US-Amerikaner hat ein waches Auge auf die Kleidergröße seiner Gegner. Sitzt die Hose locker genug? Ist die Jacke auch nicht zu eng? Wenn man so will, dann ist der Snowboarder so etwas wie die Modepolizei der Funsportszene. Nate Holland hat sich diesen Job nicht ausgesucht, doch er findet, dass ihn einer machen muss. Und viele seiner Kollegen sehen das genauso.

X-Games der Funsportler

"Wer im Rennanzug kommt, wird ausgelacht": Phil Casabon bei den X-Games in Aspen.

(Foto: Foto: AFP)

Am Donnerstag haben im amerikanischen Aspen auf dem Berg mit dem malerischen Namen Buttermilk Mountain die Winter X-Games begonnen. Die vier Tage bis Sonntag sind so etwas wie inoffizielle Olympische Spiele für Snowboarder, Freestyle-Skifahrer und Snowmobil-Piloten. Fernab von Verbandsstrukturen stehen nicht nur Podestplätze und Platzierungen im Fokus. Es geht auch um die Show, um Coolness, um ein lässiges Image, das den Sportlern eine gute Zeit und ganz nebenbei dem TV-Sender ESPN beste Quoten in der Zielgruppe der Jugendlichen verspricht.

Als Ausdruck dieses Lebensstils tragen die Fahrer Nietengürtel, weite Jacken, tief sitzende Hosen, verspiegelte Brillen. Wenn das Olympische Motto lautet "Dabeisein ist alles", dann gilt bei den X-Games "Freisein ist alles" - besonders in modischen Dingen. "Sie sind eine lockere Gruppe mit lockeren Klamotten", schreibt die New York Times. Doch genau diese Lockerheit soll nun mit Paragraphen und Maßbändern geschützt werden. "Wir brauchen Regeln", sagt Nate Holland.

Im Mittelpunkt der Aufregung stehen die Disziplinen Ski-Cross und Snowboard-Cross, die sowohl bei den X-Games, wie auch bei den Olympischen Spielen in Vancouver zum Programm gehören. Dort kam es zuletzt zu heftigen Disputen zwischen den Sportlern um die richtige Garderobe. Einigen Fahrern aus Frankreich und Österreich waren bei den Weltcups schnelle Zeiten und geglückte Qualifikationen plötzlich wichtiger als die traditionelle Mode. Sie hielten sich nicht an den lockeren Kleidungsstil und kamen in engen Hosen und windschnittigen Jacken ins Starthäuschen.

Die Abtrünigen waren meist schneller als die Konkurrenten, galten in der überschaubaren Szene aber ebenso flott als Verräter an der Ästhetik des Sports. Der deutsche Snowboard-Crosser Konstantin Schad macht deutlich, was er von solchen Optimierungsversuchen hält: "Da sind ein paar Jungs völlig durchgedreht, nur weil Olympische Spiele anstehen."

Tatsächlich trug die Kontroverse immer seltsamere Blüten. Im Ski-Cross schreibt der Weltverband Fis bereits Hosen und Oberteile mit einem Mindestdurchmesser an Knien oder Ellenbogen vor. Manche Sportler nähten sich daraufhin Kleider, die an den festgelegten Messpunkten auf die geforderten Maße ausgebeult waren, ansonsten aber hauteng saßen. Die Fis war machtlos, aber es kam eine immer stärkere Selbstreinigung der Szene in Gang.

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Rennen in Röhrenjeans

"Wenn einer im Anzug auftaucht, dann wird er sofort ausgelacht", sagt Daron Rahlves der Times. Der US-Amerikaner fuhr früher selbst in hautengen Anzügen die Pisten des alpinen Skirennzirkus hinunter und wurde 2001 Weltmeister im Super G. Seit 2006 zieht Rahlves das lockerere Umfeld vor und geht im Ski-Cross an den Start. Er, der beide Seiten kennt, erklärt: "Im alpinen Skisport geht es um den Sieg mit allen Mitteln. Den Einzug dieser Einstellung in ihren Sport wollen die Snowboarder und Ski-Crosser verhindern."

X-Games der Funsportler

Ordentlich gekleidet: Snowboarder Luke Mitrani.

(Foto: Foto: AFP)

Angesichts des ungeliebten Modetrends sahen sich auch die Veranstalter der X-Games genötigt, an die Teilnehmer vorab einen Dresscode zu verschicken. Die X-Games sind ein Einladungswettbewerb, im Gegensatz zu den Fis-Rennen oder den Olympischen Spielen können es sich die Organisatoren also aussuchen, wer in welchen Hosen antritt. "Wer in engen Klamotten ankommt, der wird nicht an den Start gelassen", sagt Nate Holland, der in der Nominierungskommission sitzt. Die Verantwortlichen sehen die Individualität in konformen Rennanzügen verschwinden und fürchten um das Alleinstellungsmerkmal und damit die Existenz auch anderer Freestyle-Disziplinen wie etwa dem Halfpipe-Snowboarden.

Knappe Höschen, verdeckte Tattoos

Einzigartig sind solche Eingriffe in den Kleiderschrank der Sportler nicht. Im Beachvolleyball ist seit Jahren vorgeschrieben, dass die Bikinihöschen an den Seiten höchstens sieben Zentimeter breit sein dürfen. Die anfangs heftigen Proteste wurden bald von der Marketingmaschine übertönt. Die US-Basketballiga NBA verordnete ihren Spielern 2005 eine Kleiderordnung und verbot Auftritte in Unterhemd, Jeans, T-Shirt, mit Kappe, Goldschmuck und offen gezeigten Tätowierungen. Ligachef David Stern ging damit gegen die vermeintliche "Ghetto-Mode" und somit gleichzeitig gegen die ursprüngliche Kultur des Sports vor.

Bei den Snowboardern und Ski-Crossern sollen die Regeln dazu dienen, genau diese Ursprungskultur zu erhalten, weswegen die Initiative von der Mehrheit der Sportler mitgetragen wird. Spätestens nächsten Sommer wollen sich die Athleten mit dem Ski-Weltverband zusammensetzen, um für Weltcups und Olympische Spiele verbindliche Kleiderregeln zu erarbeiten.

Das wird die lässige Mode schützen, die Individualität aber dennoch beschränken. Auftritte, wie die von Jonathan Cheever werden dann der Vergangenheit angehören. Der Snowboarder aus den USA war letzte Saison ganz individuell und von der Szene als verdammt cool bejubelt in Lederjacke und hautengen Röhrenjeans durch die Steilkurven der Snowboard-Cross-Strecken gefahren.

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