Magloire Mayaula hat das Video selbst auf seinem Instagram-Kanal geteilt, etwas mehr als zwei Jahre ist es alt. Es zeigt den Profivolleyballer, wie er in seiner Heimat Kinshasa, der Hauptstadt der Demokratischen Republik Kongo, empfangen wird. Beziehungsweise: Es zeigt ihn kaum. Denn der 2,02-Meter-Mann ist umringt von Dutzenden Getreuen und Verehrern, die ihre Handykameras laufen lassen und ihn mit Sprechchören feiern. So etwas gibt es sonst eher nicht im Volleyball.
In Gilching, wo er seit diesem Sommer wohnt, würde ihm das garantiert nicht passieren, auch nicht in Herrsching am Ammersee, wo er seither für die WWK Volleys spielt. Sein Sport hat in Deutschland einen wesentlich geringeren Stellenwert, selbst die besten Profis werden nicht unbedingt auf der Straße erkannt. Mayaula, 30, aber ist glücklich, nun in Oberbayern gelandet zu sein, auch weil der bald zehn Jahre bestehende Kontakt zu Herrschings Geschäftsführer Max Hauser nie abgerissen ist. "Ich fühle mich sehr wohl hier", sagt Mayaula. Er schwärmt auch von einem Treffen ganz zu Beginn mit Fans im Rahmen eines Beachvolleyballcamps, das im Sommer direkt am See stattgefunden hatte. Damals, als man dort baden konnte und noch kein halber Meter Schnee auf dem Sand lag.
Volleyballer Tille im Gespräch:"Ich war nie derjenige, der der Norm entsprach"
Ferdinand Tille, einst bester WM-Libero und eine der prägenden Figuren auf seiner Position, hört auf. Ein Abschiedsgespräch über die Hassliebe zu seiner Rolle, Bruderstolz, Savoir-vivre, die rumänische Trainerschule - und den gelben Schnürsenkel.
Am vergangenen Sonntag brauchte es ein wenig, bis Mayaula nach der 1:3-Heimniederlage gegen Friedrichshafen aus der Dusche im Münchener BMW Park kam, er entschuldigte sich, er ist ein höflicher Mann. Das Spiel lief nicht optimal für den Mittelblocker, er wurde eingewechselt, kam nicht so zur Geltung wie sonst. Egal, sein Blick richtete sich ohnehin wie der aller Herrschinger auf das Pokalhalbfinale an diesem Mittwoch bei den Helios Grizzlys. Und dort gelang mit einem 3:0 (25:20, 25:14, 25:14) ein großer Erfolg: Die Oberbayern erreichten nach fünf verlorenen Semifinals seit ihrem Erstliga-Aufstieg vor neun Jahren erstmals das Pokalfinale. Mit seinem früheren Klub TV Bühl war Mayaula schon zweimal dort, verlor gegen Berlin und Friedrichshafen, aber genoss die Atmosphäre in der SAP Arena vor 12 000 Zuschauern.
Dass er einmal vor so vielen Menschen Profivolleyball spielen würde, grenzt fast an Magie. Er wuchs in Kinshasa im Bezirk Kalamu auf, direkt hinter jenem Fußballstadion, in dem am 30. Oktober 1974 der "Rumble in the Jungle" nicht nur die Boxwelt faszinierte - und Muhammad Ali seinen Gegner George Foreman auf die Bretter schickte. Mayaula wollte eigentlich Basketballer werden, wie so viele Kinder in seiner Heimat eiferte auch er dem einstigen NBA-Center Dikembe Mutombo nach. Serge Ibaka, der spätere NBA-Spieler, der nun bei den Bayern-Basketballern spielt, war zusammen mit Mayaulas Cousin in einer Mannschaft. Doch Mayaula entschied sich für einen anderen Weg. Er begann, auf der Straße Volleyball zu spielen - in der Schule gab es das nicht. Im Stadion, in dem einst der schillerndste Boxkampf des Planeten über die Bühne ging, fand er eine Hobbygruppe, in der auch Erwachsene spielten. "Jeden Sonntag trafen sie sich, um Spaß zu haben, ich habe ihnen etwas zu trinken gebracht, geholfen, das Netz aufzubauen. Und sie gaben mir dafür etwas zu Essen, Schuhe oder Klamotten."
"Meine Mutter starb, als ich 13 Jahre alt war, sie wurde in unserer Gegend überfallen und erschossen, als sie zur Arbeit wollte."
So kam er auch über seine schlimmsten Jahre hinweg. Das Leben in seiner Heimat sei nicht leicht, in Kinshasa herrsche viel Kriminalität. Sie betraf auch direkt seine Familie. "Meine Mutter starb, als ich 13 Jahre alt war, sie wurde in unserer Gegend überfallen und erschossen, als sie zur Arbeit wollte", erzählt Mayaula: "Zwei Jahre später starb mein Vater bei uns im Haus, er war krank." Mayaula hat eine ältere Schwester, zusammen blieben sie im Elternhaus - und schlugen sich irgendwie alleine durch.
Volleyball rettete ihn dann aus seinem tristen Leben. Mayaula, der inzwischen für den Klub Mwangaza spielte, fiel einem Trainer der Nationalmannschaft Kongos auf. Er kam in den dortigen Kader, wechselte mit 17 zum ES Serif in Algerien, seinem ersten Profiklub. "Plötzlich wohnte ich in tollen Hotels, bekam tolles Essen. Alles hat sich geändert, seitdem ich wegen Volleyball angefangen habe zu reisen." Dubai und Katar waren weitere Stationen, bis er als 21-Jähriger 2014 nach Bühl kam - in die Volleyball-Bundesliga. Er entwickelte sich in seinen vier Jahren in Mittelbaden und später im niedersächsischen Giesen, wo er fünf Jahre blieb, zu einem der stärksten Mittelblocker der Liga.
Herrschings Geschäftsführer Hauser lobt Mayaula als "herausragenden Angreifer, sehr dynamisch, sehr beweglich, er schlägt extreme Winkel". Dass er ihn nun endlich nach vielen Jahren an den Ammersee lotsen konnte, hat Hauser auch einem für Mayaula eher unglücklichen Umstand zu verdanken. Denn der Blocker und Giesen trennten sich mehr oder weniger im Streit, nachdem er vergangene Saison kein einziges Spiel für die Grizzlys absolviert hatte. Es ging um Bandscheibenprobleme, eine Krankschreibung vom Arzt, ein Vorbereitungsturnier, das Mayaula trotzdem spielen sollte. Und eine Kündigung, die folgte, als er auf der Krankschreibung beharrte. So jedenfalls stellt er es dar. Giesen teilt auf SZ-Anfrage nur mit: "Im Rahmen der außergerichtlichen Einigung haben wir uns darauf verständigt, dass wir uns öffentlich nicht mehr zu der Thematik äußern."
Die Herrschinger waren jedenfalls die Nutznießer, und Hauser berichtet nun von einem "vorbildlichen und vom ersten Training an super-integrierten" Profi, der an der Volkshochschule in Herrsching gerade einen Deutschkurs besucht. Seine Frau und sein Kind, die noch in Hildesheim wohnen, wollen bald zu ihm ziehen. Zwei weitere Kinder aus einer früheren Beziehung leben in Kinshasa. Mayaula sagt, er habe dafür gesorgt, dass es ihnen gut geht.
Und er möchte nicht nur ihnen etwas zurückgeben. Denn Mayaula, der sich "Black Warrior" nennt, befindet sich auf einer Mission. Für ihn ist der Profisport auch ein Mittel, um seiner kriegsgebeutelten Heimat zu helfen. Zu Beginn seiner Zeit in Deutschland hat er die Mayaula Foundation ins Leben gerufen, organisiert seither Trainingscamps mit Kindern, unterstützt sie finanziell mit seinem Gehalt. "Ich möchte den Kindern, die wie ich ihre Eltern verloren haben, helfen. Wir müssen auf sie aufpassen, sie beschützen. Und so unterstütze ich sie bei den Schulkosten, kaufe Schuhe für sie, esse und spiele mit ihnen zusammen."
Nun kehrte Mayaula nach Giesen zurück, ohne Groll, dafür mit einem Sieg. "Volleyball", sagt er, "das ist meine Arbeit." Und je besser er sie erledigt, desto mehr kann er für seine Heimat sorgen. Sie wird seinen Kämpfer nach dieser Saison bestimmt wieder mit Sprechchören empfangen.