Würzburger Kickers:Premiere auf großer Bühne

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Faust geballt: Vincent Müller freute sich gegen die Löwen über eine Leistung, die Hand und Fuß hatte. (Foto: Heiko Becker/imago)

TSV 1860 München statt Mosbach und Kasendorf: Beim 2:1 im Drittliga-Derby gibt Vincent Müller, 19, ein erstaunliches Debüt zwischen den Pfosten. Seine Vorzüge reichen über die Kernkompetenz eines Torwarts hinaus.

Von Sebastian Leisgang

Michael Schiele ist ein moderner Fußballlehrer, und ein moderner Fußballlehrer besitzt leider keinen dieser türkisblauen oder wahlweise neongelben Trainingsanzüge, die vor mehr als zwei Jahrzehnten in den Stadien dieses Landes in Mode waren. Ein moderner Fußballlehrer sieht auch davon ab, einen Libero aufzustellen, der ebenfalls mal in Mode war. Stattdessen spricht er von Gegenpressing, von Umschaltsituationen und von falschen Neunern - und, das ist nicht zu vernachlässigen: Ein moderner Fußballlehrer wählt seinen Torwart nicht nur danach aus, wie aufmerksam er sein Tor bewacht.

Am Montagabend beorderte Schiele also Vincent Müller, 19, in den Kasten der Würzburger Kickers und verhalf ihm damit zu seinen ersten 90 Minuten im professionellen Fußball. Zuvor hatte Müller ausschließlich im Landespokal gespielt, gegen den Kreisligisten SV Mosbach (5:3), den Bezirksligisten SSV Kasendorf (4:1) sowie die Regionalligisten TSV Aubstadt (3:1) und SV Heimstetten (4:1). Jetzt aber: dritte Liga, eine vergleichsweise große Bühne, Flutlicht, 8346 Zuschauer und ein sehr namhafter Gegner: 1860 München.

Ein Fußballer, der Müller heißt, ist kraft seines Namens dazu berufen, Tore zu schießen. Würzburgs Müller ist allerdings einer, der Tore verhindern soll, und weil das seinem Konkurrenten Eric Verstappen in den ersten Spielen dieser Saison zu selten gelungen war, stieg Müller am Montagabend zur Nummer eins der Kickers auf. Verstappen hatte sich in den bisherigen Partien zwar nichts zuschulden kommen lassen, dennoch beschlich Schiele vor dem fränkisch-bayerischen Duell das Gefühl, es sei "an der Zeit, etwas zu ändern", wie er nach dem 2:1 (1:0) verriet. Also wechselte er den Torwart und sprach Müller das Vertrauen aus. Später begründete er diese Entscheidung nicht nur damit, dass seine Mannschaft in den ersten Saisonwochen "viele Gegentore bekommen" habe - 27 an der Zahl. Er führte auch an, dass der junge Müller "Fußball spielen kann".

Tatsächlich hatte Müller an diesem Montagabend gezeigt, dass er einer dieser Torhüter ist, die auch deshalb auf dem Rasen stehen, weil sie mit ihren Füßen etwas anzufangen wissen. Das war es allerdings nicht alleine. Gerade in der Schlussphase des Spiels begriff man auch, dass es kein allzu schlechter Einfall war, ihm in der Kabine ein andersfarbiges Hemd zu geben und ihn damit zu legitimieren, die Hände zu benutzen. Müller parierte zweimal herausragend gegen Sechzigs Angreifer Sascha Mölders und sorgte damit in einem doch eher grauen Fußballspiel für die wenigen bunten Bilder. So war es nicht allzu treffend, dass Schiele nach dem Spiel meinte, seine Mannschaft habe dieses Mal "zum Schluss auch das nötige Glück" auf ihrer Seite gehabt - seine Mannschaft hatte vielmehr den nötigen Torwart.

Mit welcher Ruhe Müller zu Werke gegangen war, mit welchem Selbstverständnis, mit welcher Courage, das war nicht zuletzt aufgrund seiner Jugend durchaus imponierend. "Ich glaube, man hat heute gesehen, wie abgeklärt er war", lobte auch Mittelfeldspieler Dave Gnaase und bescheinigte Müller "ein überragendes Spiel", während Schiele seinem Schlussmann das Prädikat "top" verlieh.

Vor dieser Saison war Müller als Herausforderer aus dem Nachwuchs des 1. FC Köln nach Würzburg gekommen. Weil sich Patrick Drewes nach zwei Jahren als Stammtorwart in Richtung VfL Bochum verabschiedet hatte, mussten sich die Kickers zwischen den Pfosten neu aufstellen: Drewes' vormaliger Stellvertreter Verstappen stieg zur Nummer eins auf, Müller sollte in der Würzburger Idylle reifen. Nun aber war Müllers Zeit gekommen. Er hatte "im Pokal immer gut gespielt" und sich seine Premiere auf der großen Bühne "über die Wochen im Training verdient", wie Schiele betonte.

Dennoch, auch das sagte Würzburgs Trainer, habe er schon vor der Partie gewusst, dass seine Mannschaft "sowieso ein Tor" bekomme und daher "zwei oder drei schießen" müsse, um das Spiel zu gewinnen. Es war eine recht süffisante Äußerung, hatten die Kickers doch in jedem der ersten 15 Pflichtspiele mindestens einen Gegentreffer hinnehmen müssen. So also auch gegen den TSV 1860.

Müller aber war beim zwischenzeitlichen 1:1 durch Mölders machtlos. Als Sechzigs echter Neuner den Ball auf sein Tor gelenkt hatte, konnte er nichts mehr ausrichten - weder mit den Händen noch mit den Füßen.

© SZ vom 09.10.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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