Würzburger Kickers:Liebes­geschichte im wilden Zirkus

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Turbulenter Auftakt eines irren Fußballspiels: Hoffenheims Pavel Kaderabek (3.v.l.) erzielt per Kopf das erste Tor in Würzburg. Aus Sicht der Kickers steht es kurz darauf 0:2, dann 2:2 nach regulärer Spielzeit, 2:3, später 3:3 nach Verlängerung und schließlich 4:5 im Elfmeterschießen. (Foto: Daniel Karmann/dpa)

Die Würzburger liefern der TSG Hoffenheim im DFB-Pokal einen epischen Kampf, verlieren aber. Es ist ein dramatisches Spiel, das aus elf Metern entschieden wird.

Von Sebastian Leisgang

Zahlen sind nichts weiter als Zahlen, stets kalt, manchmal gar verblendend. Wer nur einen Blick auf die Zahlen warf, der konnte allenfalls erahnen, was sich da im Stadion am Dallenberg zugetragen hatte. Erst 0:2, dann 2:2 nach regulärer Spielzeit, 2:3, später 3:3 nach Verlängerung und schließlich 4:5 im Elfmeterschießen: Das war, nüchtern betrachtet, die Chronologie dieses Duells zwischen den Würzburger Kickers und der TSG Hoffenheim. Der Drittligist wird also nicht in der zweiten Runde des DFB-Pokals spielen.

Er hatte am Samstagabend ein dramatisches Fußballspiel aus elf Metern verloren. Aber: Hatte er tatsächlich verloren?

"Wir haben Mentalität reingeworfen, der Gegner hat unvorhersehbare Fehler gemacht"

Fabio Kaufmann, 26, stand vor dem Kabinentrakt und versuchte, die vergangenen 120 Minuten zu erklären. Um zu begreifen, was da überhaupt geschehen war, war es ratsam, sich mit ihm zu unterhalten, Kaufmann hatte es aus nächster Nähe mitbekommen. Er hatte selbst dafür gesorgt, dass die Zuschauer auf dem Dallenberg etwas erlebten, was sie hier sonst nie erleben: wie Emotionen zur Ekstase führen.

Fußball ist, bei aller Überhöhung, immer noch ein Spiel, und dieses Spiel kann langatmig und zäh sein, es kann seine Zuschauer auf die Folter spannen. Es kann aber auch wahrhaftig und rein sein, dann nämlich, wenn es auf seinen Kern zurückgeht: das schonungslose Duell zweier Mannschaften, die ihr letztes Leibchen geben würden, nur um als Sieger hervorzugehen. In Würzburg spitzte sich dieses Duell noch zu: Mann gegen Mann, ein Schuss aus elf Metern, der über Sieg oder Niederlage entscheiden kann, über Sein oder Nicht-Sein, zumindest im Pokal.

Und so mutierte das Stadion am Samstag zu einem wilden Zirkus. Die sonst so reservierten Zuschauer ließen sich mitreißen von einem Spiel, dessen Reiz in seiner Dramaturgie begründet lag. Nach den Hoffenheimer Toren durch Pavel Kaderabek (29.) und Ihlas Bebou (54.) schien die Partie zu Gunsten des Bundesligisten entschieden zu sein, doch dann glichen die Kickers durch Fabio Kaufmann (68.) und Albion Vrenezi (75.) aus und hatten selbst auf das 2:3 durch Adam Szalai (99.) in Person von Luca Pfeiffer eine Antwort (114.). Erst im Elfmeterschießen verloren die Kickers - auch, weil Kaufmann verschoss, nachdem er sich zum besten Mann auf dem Platz aufgeschwungen hatte. Später sagte er: "Jeder, der Fußball liebt, hat heute eine Liebesgeschichte über 120 Minuten erzählt bekommen. Das war eine Lovestory, wie sie keiner besser hätte schreiben können."

Wie aber war das zu begreifen? Dass die Hoffenheimer erst derart souverän spielten, 2:0 führten und dem Anschein nach nur noch entscheiden mussten, wann sie das 3:0, vielleicht gar das 4:0 schießen - dass die Kickers dem Spiel dann aber eine Wende verliehen und den turmhohen Favoriten beinahe stürzten?

Das Spiel hatte, nüchtern betrachtet, eine Menge mit Psychologie zu tun. Schon in der ersten Hälfte, als die Würzburger ob der Hoffenheimer Hoheit eingeschüchtert wirkten - vor allem aber nach dem zweiten Tor des Abends, das zweierlei zur Folge hatte: Die TSG wurde im Gefühl der Überlegenheit leichtsinnig, und die Kickers entwickelten eine gewisse Gleichgültigkeit. Was sollte jetzt noch passieren? Das 0:3? Wen würde das schon kümmern? Vor der Partie war die Ausgangslage ja noch diese gewesen: Die Kickers durften nur gegen Hoffenheim, den letztjährigen Champions-League-Teilnehmer, spielen, weil sie den bayerischen Pokal gewonnen hatten, "und jeder weiß, dass es einer der schwierigsten Pokale ist, die man gewinnen kann", sagte Kaufmann. Er fand deshalb: Auch Würzburg, der Drittligist, war nicht frei, als Schiedsrichter Guido Winkmann die Partie anpfiff - auch Würzburg hatte etwas zu verlieren. Dann aber, als Hoffenheim längst enteilt war und 2:0 führte, da hatte Würzburg nichts mehr zu verlieren, und wer nichts mehr zu verlieren hat, der wagt.

"Wir haben Mentalität reingeworfen, und der Gegner hat unvorhersehbare Fehler gemacht", sagte Trainer Michael Schiele. Seine Mannschaft schob nun beiseite, wem sie da eigentlich gegenüberstand. Sie forderte Hoffenheim, sie kämpfte mit Hingabe, sie riss das Publikum mit, sie machte weiter, immer weiter - und sie gewann, obwohl sie verlor.

© SZ vom 12.08.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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