Süddeutsche Zeitung

Würzburger Kickers:Grundsatzfragen

Nach der Hinrunde standen St. Pauli und Würzburg beide im Tabellenkeller - dann trennten sich die Wege. Das hat mit Personalentscheidungen zu tun, die die beiden Klubs auf sehr unterschiedliche Weise trafen.

Von Thomas Hürner, Hamburg

Es ist ein fast surrealer Fakt, der über dieser Zweitliga-Partie am Samstag schwebte, und der nun einen Abgleich mit der neuen Realität verpasst bekam. Dennoch blieben große Verwunderung und alles überbordende Fragen übrig: Huch? Diese beide Mannschaften waren noch vor ein paar Monaten fast gleichauf in der Tabelle, tief drin im Schlamassel und jeweils einem finsteren Schicksal geweiht?

Also zunächst zur Situation im Januar, nach 15 von 34 Spieltagen: Die Würzburger Kickers und der FC St. Pauli krebsen mit acht respektive zehn Punkten durch die Niederungen des Klassements, haben gleich wenig Tore geschossen und ihr Klubumfeld in den Alarmmodus versetzt. Eine gängige Floskel besagt, in jeder Krise stecke auch eine Chance, und irgendein schlauer Mensch hat der Nachwelt mal diesen mindestens genauso schlauen Satz hinterlassen: Es gibt keine Chance, also wollen wir diese auch nutzen!

Würzburg-Trainer Ralf Santelli entschuldigt sich sogar beim Gegner für die schlechte Leistung

Damit zum Samstag im Millerntorstadion, wo die Würzburger mit 0:4 Toren gegen jenes St. Pauli untergingen, dem vor kurzem noch defätistische Saisonprognosen ausgestellt worden waren. Und das sich von allen Leiden emanzipieren konnte, weil der Kiezklub inzwischen wie ein Tornado durch die Liga fegt. Fußballerischer Überlebenskampf? Ist längst passé. Die Paulianer sind das mit Abstand beste Rückrundenteam der Liga, in der Hansestadt wird sogar darüber gewitzelt, dass die Spielzeit doch bitte ein bisschen verlängert werden solle. Dann würde aus einem Totgesagten noch ein Aufsteiger.

So schnell können sich die Wege scheiden, die Würzburger waren nicht einmal mehr ein ordentlicher Sparringspartner. Sie spielten wie ein Tabellenletzter, der sich und jegliche Hoffnung schon aufgegeben hat. Mit Fußballern ohne Leidenschaft, Energie oder wenigstens der Ambition, sich erhobenen Hauptes in die Drittklassigkeit zu verabschieden. Nicht anders ließen sich auch die Worte von Ralf Santelli nach der Partie deuten. Er neige fast dazu, sich beim Konkurrenten "entschuldigen zu müssen", sagte der Kickers-Trainer: Die einkalkulierte Belastung für die St. Pauli-Spieler sei ausgeblieben, weshalb die gesamte "Trainingssteuerung" jetzt wohl über den Haufen geworfen werden müsse.

St. Pauli war auf dem Wintertransfermarkt deutlich erfolgreicher als Würzburg

Im Grunde griff Santellis Analyse das auf, was auch Kickers-Sportvorstand Sebastian Schuppan neulich kritisiert hatte. Dem ein oder anderen Spieler mangele es an Identifikation mit dem Klub, so Schuppan, und das mache sich eben auch auf dem Platz bemerkbar. In dieser Hinsicht hat St. Pauli natürlich einen eklatanten Standortvorteil, wer hier anheuert, verpflichtet sich gewissermaßen zum fußballerischen Rebellentum. Allerdings müssen Zugänge auch auf dem Kiez erst einmal integriert werden, und das ist bei einigen Spielern zuletzt formidabel gelungen.

Beide Klubs, die Kickers und St. Pauli, hatten im Winter den Transfermarkt sondiert und Spieler verpflichtet, die bei der Mission Klassenverbleib mitwirken sollten. Mit unterschiedlichem Erfolg, wie sich im Nachhinein feststellen lässt: Von den neuen Würzburger Kadermitgliedern stand beispielsweise Linksverteidiger Rolf Feltscher in der Startelf, der sichtlich überfordert war mit dem Tempo von St. Paulis Führungstorschützen Omar Marmoush - ein Winterzugang wiederum, der seither zu den herausragenden Protagonisten der zweiten Liga gehört.

Bei den Hamburgern war zuletzt genauso viel Bewegung im Kader wie bei den Kickers, allerdings nicht auf dem Posten des Trainers. Die St. Pauli-Verantwortlichen stellten sich auch in der Krise immer hinter Chefcoach Timo Schultz, einen Paulianer durch und durch, der nun das aufregendste Kollektiv der zweiten Liga geformt hat. Und Würzburg? Santelli ist Trainer Nummer vier in dieser Saison. Und eine gewisse Rotation an der Seitenlinie scheint nichts zu sein, was der Führungsriege des Klubs zuwider ist.

Felix Magath, der Berater des Würzburger Investors Thorsten Fischer, hatte jedenfalls am Sonntag einen Auftritt in der TV-Sendung Sky 90 und sprach dort unentwegt davon, dass ein Trainer in Kaderfragen im Prinzip nichts mitzureden habe. Natürlich war es da um das Thema des Wochenendes gegangen, die Debatten um Trainer Hansi Flick und seinen Abschied vom FC Bayern. Ein Kontrast zum Würzburger Gegner vom Samstag tat sich trotzdem auf: St. Pauli-Trainer Schultz und Sportdirektor Andreas Bornemann verstehen sich bestens - und sie überlegen gemeinsam, welche Spieler ins Gefüge des Kiezklubs passen könnten.

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