Süddeutsche Zeitung

Würzburger Kickers:Der stille Lenker

Mit seinem Auftritt beim 3:2 gegen den Hamburger SV steht Würzburgs ehemaliger Kapitän Daniel Hägele exemplarisch für den Aufschwung der Kickers. Über die Bürde der Binde und einen Anführer, der gar kein Anführer sein will.

Von Sebastian Leisgang, Würzburg

Zum Einstieg eine Erinnerung an ein Spiel, das noch gar nicht so lange zurückliegt und doch einer anderen Zeit zuzuordnen ist. Ein Septemberabend im vergangenen Jahr, die erste Runde im DFB-Pokal, die Würzburger Kickers hatten es mit Hannover 96 zu tun, und im Stadion am Dallenberg brannte das Flutlicht. Es waren die ersten 90 Minuten des Fußballjahres, das erste Pflichtspiel nach dem Würzburger Aufstieg in die zweite Bundesliga, der Beginn von etwas Neuem. So war es für die Kickers, so war es auch für Daniel Hägele, der die Würzburger Mannschaft zum ersten Mal als Kapitän anführte und, wie das Spiel dann zeigte, mit der Last des Amtes nicht zurechtkam.

Eigentlich, so könnte man meinen, ist die Kapitänsbinde nur ein Stück Stoff, ein Accessoire, nicht mehr als ein Symbol. Die Binde kann aber, wenn Verantwortung zu Verängstigung führt, zur Bürde werden.

All das geht einem nun durch den Kopf, wenn man dieser Tage über die Würzburger Kickers nachdenkt. Gerade eben hat der Tabellenletzte ja gegen den großen Hamburger SV gewonnen, und Hägele, der zentrale Mann vor der Abwehr, hat das beste Spiel seiner gesamten Zeit am Dallenberg gemacht.

Am Anfang ist Hägele überfordert gewesen, weil er zu sehr mit der Führung der Mannschaft beschäftigt war

Hägeles Auftritt bei Würzburgs 3:2, er war die Krönung eines erstaunlichen Weges, den der Mittelfeldmann im Gleichschritt mit der ganzen Mannschaft in den vergangenen Monaten zurückgelegt hat. Man hat die Bilder von diesem Septemberabend ja nach wie vor im Gedächtnis. Hägele, wie er es Hannovers Angreifer Hendrik Weydandt denkbar leicht macht, das erste Tor des Abends zu erzielen. Und Hägele, wie er beim zweiten Hannoveraner Treffer unter einem langen Ball hindurchtaucht. Oder, das vielleicht eindrücklichste Bild ein paar Tage später: Hägele, wie er beim 0:3 gegen Aue vorgeführt wird, als Florian Krüger den Ball vor dem zweiten Tor von der Mittellinie an den Würzburger Strafraum spielt, hinterherrennt und Hägele beim Laufduell ziemlich alt aussehen lässt.

Im Grunde ist Hägele, 32, ein feiner Fußballer, einer, der mit dem Ball umzugehen weiß. In den ersten Saisonwochen war er aber derart verunsichert, dass ihm in den Spielen Fehler unterliefen, die ihm sonst nicht mal auf dem Trainingsplatz passieren. Hägele war schlichtweg überfordert. Nicht, weil er den Ansprüchen nicht genügt. Auch nicht, weil er außer Form war. Hägele war überfordert, weil er zu sehr damit beschäftigt war, die Mannschaft zu führen.

Ein paar Tage nach dem Spiel gegen Aue trat Hägele als Kapitän zurück. Wer ihm etwas Böses wollte, konnte das damals als Zeichen der Schwäche verstehen, als Eingeständnis, dem Amt nicht gewachsen zu sein. Man konnte es aber auch so sehen: Hägele, der Mannschaftsspieler, war reflektiert genug, um zu erkennen, dass er zunächst einmal sich selbst keinen Gefallen tut, wenn er die Binde behält - und dass er dann, im zweiten Schritt, auch der Mannschaft nicht mehr hilft.

Seit zweieinhalb Jahren spielt Hägele in Würzburg - als Stratege ist er seither nicht aufgefallen

Inzwischen bekleidet Hägele wieder jenes Amt, das er schon vor der Saison bekleidet hat: das Amt des stellvertretenden Kapitäns. Zweite Reihe, weniger Aufmerksamkeit, so fühlt sich Hägele wohl. Er ist keiner, der darin aufgeht, wenn alle Augen auf ihn gerichtet ist, eher ein stiller Mann, einer, der auch auf dem Platz nicht auffällt. Hägele ist einfach da und erledigt seine Aufgaben, während die anderen von sich reden machen. Christian Strohdiek mit seiner überlegten Spieleröffnung, Rolf Feltscher mit seinem unermüdlichen Einsatz, Martin Hasek mit seiner feinen Technik.

Wird da manchmal unterschätzt, was er, Hägele, leistet?

"Von mir wird er nicht unterschätzt", sagt Bernhard Trares. Er habe zwar "schon gehört, dass er hier nicht immer so gut ankommt", doch für ihn, Würzburgs Trainer, sei Hägele "ein sehr intelligenter Spieler". Einer, von dem zwar keine bahnbrechenden Ideen ausgehen, einer aber, der, wenn er denn so spielt wie am Sonntag gegen den HSV, das Spiel diktiert. Der vorgibt, ob die Kickers ihren nächsten Angriff über die rechte oder über die linke Seite vortragen. Der entscheidet, ob es die Dynamik des Spiels gerade verlangt, den Ball in den eigenen Reihen zu halten - oder ob es vielmehr erforderlich ist, ins Risiko zu gehen und den Ball über wenige Stationen vor das gegnerische Tor zu spielen.

Hägele spielt nun seit zweieinhalb Jahren in Würzburg. In dieser Zeit war er zwar stets ein Fixpunkt bei den Kickers, als großer Stratege ist er aber nicht gerade aufgefallen. Wenn er aber so spielt wie zuletzt, wenn er das Würzburger Spiel lenkt und den Rhythmus bestimmt, wenn er Bälle fordert und verteilt, dann ist Daniel Hägele nicht mehr nur Ruhepol und zuverlässiger Arbeiter - sondern auch ohne Kapitänsbinde das, was er eigentlich gar nicht sein will: ein Anführer.

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