Würzburger Kickers:Der Rätsellöser

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„Anscheinend kriegen es die jungen Leute nicht hin, den alten Mann in Zaum zu halten.“ – Sebastian Schuppan (links), 32, staunt. (Foto: Heiko Becker/imago)

Sebastian Schuppan ist weit herumgekommen - jetzt ist er der torgefährlichste Verteidger der dritten Liga.

Von Sebastian Leisgang

Auch am Sonntag wird sich Sebastian Schuppan am Rasen vergehen, bevor er das Spielfeld betritt. Er wird einen Fuß auf das Gras setzen, sich hinunterbeugen, ein kleines Stück herausreißen und es küssen, dann wird er seinen Kopf in den Nacken legen, hoch zum Himmel schauen und für ein paar Sekunden an seinen Großvater denken. So macht er es immer, Spiel für Spiel, und so wird er es auch am Wochenende im Grünwalder Stadion machen, wenn die Würzburger Kickers ihren Jahresabschluss bei der zweiten Mannschaft des FC Bayern München begehen.

Sein Großvater habe ihn früher stets unterstützt, erzählt Schuppan, "er hat immer an mich geglaubt und war mein großer Förderer. Sein Tod hat mich sehr getroffen, deshalb erweise ich ihm vor jedem Spiel noch mal die Ehre."

Schuppan, 33, hat schon eine Menge mitgemacht, der Fußball hat ihn im ganzen Land herumkommen lassen, nach Cottbus und nach Paderborn, nach Dresden und nach Bielefeld. Seit zweieinhalb Jahren spielt er nun in Würzburg. Wobei, das trifft es nicht: Schuppan spielt nicht bloß, er spaziert nicht einfach auf den Platz, um ein bisschen Fußball zu spielen, wie das einige seiner Kollegen machen, das zeigt die Episode mit seinem Großvater. Fußball ist zwar nur ein Spiel, doch für Schuppan geht es um mehr. Es geht um Werte, um Dankbarkeit, um Verbundenheit.

Schuppan ist ein sehr reflektierter Mann, er hat einen gewissen Weitblick, man muss das erwähnen, schließlich hebt er sich damit von vielen seiner Kollegen ab. Wer ihn fragt, was es in ihm auslöse, wenn er auf die Tabelle schaut, die Kickers stehen ja im sogenannten Niemandsland, sechs Punkte vor der Abstiegs-, sechs Punkte hinter der Aufstiegszone, wer Schuppan also fragt, wie er das Tabellenbild wahrnehme, der erfährt erst, dass er "schon seit zwei, drei Wochen nicht mehr auf die Tabelle geschaut" hat. Wer die Augen schließt und bloß zuhört, der könnte zunächst meinen, er unterhalte sich mit einem x-beliebigen Spieler aus Cottbus, Dresden oder Bielefeld. Dann aber sagt Schuppan mit einer gewissen Selbstironie: "Ob das des Rätsels Lösung war, weiß ich nicht." Klar ist nur: Das Rätsel ist gelöst. Die Kickers haben zuletzt zweimal gewonnen, 3:1 gegen Viktoria Köln, 5:2 in Halle.

In beiden Spielen hat Schuppan, der Innenverteidiger, ein Tor erzielt, sein viertes und sein fünftes in dieser Saison. Damit ist er der torgefährlichste Abwehrspieler der dritten Liga. Zufall sei das nicht, sagt Schuppan, er wisse schon, wie das gehe: zur rechten Zeit am rechten Fleck zu sein und dann eben nicht zu verhindern, dass ein Tor fällt, wie es seine Kernkompetenz ist - sondern dafür zu sorgen, dass es fällt. "Anscheinend", sagt er, "kriegen es die jungen Leute nicht hin, den alten Mann in Zaum zu halten."

Es ist ein klassischer Schuppan-Spruch, einer, der zeigt, dass er sich nicht so wichtig nimmt, obwohl er so wichtig ist für diese junge Würzburger Mannschaft. Manchmal, das hat diese Saison gezeigt, fehlt es dem Team an Halt, doch schon bald könnten die Kickers in Person des früheren Aaleners Matthias Morys, 32, noch einen Routinier für sich gewinnen. Der Angreifer hat seinen Vertrag beim österreichischen Zweitligisten Lustenau aufgelöst, weilte schon in Würzburg und könnte in der Winterpause zur Mannschaft stoßen.

Er wäre einer, der das Team führen könnte, an der Seite von Schuppan, dem alten Haudegen, der in die Jahre gekommen ist. Mittlerweile knarzt seine Rüstung manchmal, man sieht das, wenn auf der linken Außenbahn Bedarf ist, und Schuppan draußen in die Bresche springen muss. Dennoch ist sein Wert für die Einheit kaum zu bemessen.

Als er zuletzt beim FCB II spielte, stand noch Hans-Jörg Butt im Tor

Schuppan erinnert sich jetzt an sein letztes Spiel, das er im Grünwalder Stadion gegen die Bayern bestritten hat. März 2009, Schuppan spielte für Paderborn, bei den Bayern stand Hans-Jörg Butt im Tor, ein Name aus einer anderen Zeit. Paderborn verlor 1:2, Schuppan weiß noch: "Die Umkleiden waren so klein, dass die Auswechselspieler draußen warten mussten, während sich die ersten Elf umgezogen haben."

Wenn Schuppan solche Geschichten erzählt, die zwar nur ein Jahrzehnt zurückliegen, aber klingen, als stammten sie aus einer anderen Epoche, dann kommt es authentisch daher. Schuppan spielt ja tatsächlich schon sein halbes Leben lang professionell Fußball. Aber: Er spielt nicht einfach so. Er spielt mit seinem Großvater im Hinterkopf.

© SZ vom 20.12.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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