Benjamin Hirsch erinnert sich noch an diesen Auftritt, als er, Mitglied des Vorstands, im Fuchskostüm über den Würzburger Marktplatz gelaufen ist. Im Grunde ist es ein alter Hut, acht Jahre her, kaum noch der Rede wert, doch die Geschichte geht immer, weil sie ja für etwas Größeres steht.
Es ist ein sonniger Vormittag Ende Mai, Hirsch empfängt in einem Büro in der Würzburger Innenstadt. Von hier, auf Augenhöhe mit den Kirchtürmen, hat man einen herrlichen Blick auf die Fußgängerzone, den Marktplatz, die Menschen. Man könnte auch sagen: auf das Leben. Und weil es im Fußball nie nur um Fußball geht, ist gerade das jetzt das Thema: Wie will Hirsch, der designierte Vorstandsvorsitzende der Kickers, die Leute wieder abholen, die da unten über das Kopfsteinpflaster laufen? Wofür steht dieser Klub eigentlich nach zwei Abstiegen? Oder, um es gleich mal etwas weiter oben einzuhängen: Wer sind die Kickers in Wahrheit?
Hirsch muss lachen, als er die Geschichte erzählt. Hirsch, der damalige Sportvorstand, verkleidet als Fuchs, der Quarkbällchen verteilt, Dauerkarten verkauft und den Würzburgern erklärt, was das für ein Projekt ist, mit dem die Kickers an die Öffentlichkeit gegangen sind. Der Vorstand im Fuchskostüm, mag sein, dass das irgendwie albern ist, doch darum ging es nicht, damals, 2014, als die Kickers als Regionalligist hoch hinaus wollten. "Wir haben versucht, die Leute mitzunehmen", sagt Hirsch, "und wenn ich dafür als Fuchs auftreten muss, mache ich das eben. Mir ging's einfach um die Kickers." So war es damals, so ist es heute. Deshalb wird er nun Vorstandsvorsitzender, deshalb hilft er gerade jetzt, nach den beiden Abstiegen aus der zweiten Liga bis hinunter in die Viertklassigkeit.
Es ist eine große Aufgabe, der sich Hirsch da angenommen hat. Es geht ja gerade um so viel mehr als nur darum, das Amt des Vorstandsvorsitzenden auszuüben. Hirsch will dem Klub seine Identität zurückgeben. Dafür ist er da, er, dessen Identität nie in Frage stand: Benjamin Hirsch, 43 Jahre alt, seit 43 Jahren Kickers-Mitglied.
"Wir haben damit gebrochen, was die Kickers ausmacht", sagt Hirsch im Büro und spricht dann über das Miteinander, über Offenheit, über ehrliche Arbeit. Das ist es, was Würzburg zuletzt abhanden gekommen ist. Und das ist es auch, was Hirsch wieder in den Mittelpunkt rücken will.
Er ist zwar im Würzburger Stadtteil Oberdürrbach aufgewachsen, sein Elternhaus steht nur 300 Meter vom Sportplatz entfernt, das Fußballspielen hat er aber bei den Kickers gelernt. Später stand er im Dallenbergstadion in der Fankurve, spielte für die zweite Mannschaft, war Sicherheitsbeauftragter. Heute führt Hirsch den gesamten Klub.
"Ich weiß, wie Fans denken. Und ich hoffe, dass ich das auch in Zukunft in mir habe."
Er habe sich nie für einen anderen Verein begeistern können, sagt Hirsch und klingt eher wie ein Fan als ein Vorstandsvorsitzender. Sein Vater sei früher bei den Kickers Schatzmeister gewesen, "und während er nach den Heimspielen die Abrechnung gemacht hat, habe ich im Stadion mit anderen Kindern gebolzt". So ging es los, so fing es an. Hirsch sagt deshalb: "Ich weiß, wie Fans denken. Und ich hoffe, dass ich das auch in Zukunft in mir habe." Er weiß, dass der Klub seinen Anhängern in den vergangenen zwei Jahren eine Menge zugemutet hat. Jetzt will Hirsch all das zurechtrücken, was schief gelaufen ist.
"Das Wort Kickers-Familie ist überstrapaziert worden", sagt Hirsch, "das hat mich wirklich geärgert, weil wir in vielen Bereichen das Gegenteil gelebt haben." Nur ein Beispiel für das, was er meint: Im Herbst sicherte Felix Magath dem damaligen Trainer Marco Antwerpen zu, in Ruhe weiterarbeiten zu können. Zwei Tage später entließ er ihn doch und rief ihm dann auch noch hinterher, dass er ja in Ruhe weiterarbeiten könne - nur halt woanders.
Für Hirsch steht diese Episode exemplarisch für eine generelle Fehlentwicklung in den vergangenen zwei Jahren. Jetzt kämpft er dafür, was diesen Klub wirklich ausmacht. Dafür, was die Kickers-Familie wirklich ist.
Er will nichts Falsches sagen, er weiß ja, dass das in Vergangenheit viel zu oft der Fall war
Wenn Hirsch über die beiden Abstiege und seinen eigenen Einstieg spricht, über seine Pläne und über all das, was zuletzt kaputt gegangen ist, dann wählt er seine Worte sorgfältig. Er will nichts Falsches sagen, er weiß ja, dass das in Vergangenheit viel zu oft der Fall war. "Wir haben schlecht kommuniziert", sagt Hirsch und kommt dann zum Thema Saisonziel für die nächste Spielzeit in der Regionalliga. "Wir haben es in den letzten Jahren nicht geschafft, so viel Vertrauen aufzubauen, dass für die Leute klar ist, dass wir wieder aufsteigen wollen." Kurze Pause, dann sagt er noch: "Ich möchte uns nicht mit dem HSV vergleichen, aber da würde keiner fragen, ob sie wieder aufsteigen wollen. Das ist dort selbstverständlich. Bei uns ist die Frage: Gehen die Lichter aus?"
Im Hauptberuf arbeitet Hirsch als Jurist im Straf- und Veranstaltungsrecht. Er entwirft Sicherheitskonzepte, berät und vertritt Veranstalter, übernimmt Mandate für Straffällige. Auch da gehe es vor allem darum, Vertrauen aufzubauen, erklärt Hirsch: "Als Anwalt musst du verlässlich sein, weil du für die Mandaten in der Justizvollzugsanstalt das einzige Sprachrohr nach draußen bist."
Vertrauen, Verlässlichkeit, Glaubwürdigkeit: Das sind die Themen, um die es im Frühsommer 2021 auch bei den Kickers geht. In den vergangenen beiden Jahren ist eine Menge verloren gegangen - jetzt ist es auch und vor allem an Hirsch, den Klub wieder zu dem zu machen, was er eigentlich ist. Es ist eine anspruchsvolle Aufgabe, doch in Würzburg sind viele der Meinung: Wenn es einer jetzt noch hinbiegt, dann ist es einer wie Benjamin Hirsch.