Würzburger Kickers:Alles ganz anders

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Niederlage zum Auftakt: Bei seinem Debüt als Trainer des SV Sandhausen verlor Michael Schiele gegen den FC Erzgebirge Aue. (Foto: Michael Bermel/Eibner/imago)

Am Sonntag kehrt Michael Schiele als Gegner nach Würzburg zurück. Das Duell ist die letzte Pointe einer Entzweiung zwischen Trainer und Klub, die sich über Monate hingezogen hat.

Von Sebastian Leisgang

Ein Trainer ist nie weg, bloß weil er nicht mehr da ist. Ein Trainer, der einen Verein so geprägt hat wie Michael Schiele, der bleibt. Er bleibt in den Köpfen der Menschen, er bleibt mit dem, was er getan und mit dem, was er gesagt hat. In der Erinnerung der Leute ist er noch immer da. Schiele etwa durch eine kurios kurze 148-Sekunden-Pressekonferenz, die er vor dem letzten Spieltag der Vorsaison gegeben hat. Zwei Tage später kehrten die Würzburger Kickers in die zweite Fußball-Bundesliga zurück.

An diesem Sonntag, fünf Monate nach der Pressekonferenz, wird sich Schiele noch einmal auf dem Podium des Medienraums niederlassen. Er wird aber, entgegen der Erinnerung, nicht mehr als Würzburger Trainer dasitzen.

Seit einer Woche arbeitet Schiele, 42, für den SV Sandhausen. Sein erstes Auswärtsspiel, wie könnte es anders sein, führt ihn zurück an den Dallenberg, zu einem Duell, in dem all das kumuliert, was seit Jahresbeginn zwischen Schiele und den Kickers passiert ist. Ein Fußballspiel, wenn man so will, als letzte Pointe einer Entzweiung, die sich über Monate hingezogen und auch nach der Trennung noch eine ganze Weile nachgewirkt hat.

Ein Anruf bei Schiele zur Wochenmitte, es sind noch ein paar Tage bis zum Spiel, genug Abstand also, um in Ruhe über die Dinge zu sprechen. Über sein Verhältnis zur Würzburger Vereinsführung, über das monatelange Misstrauen trotz aller Erfolge, über sein plötzliches Aus nach nur drei Niederlagen, über die hartnäckigen Verhandlungen zur Vertragsauflösung. Als Schiele redet, ist da etwas Nüchternes in seiner Stimme. Man merkt, dass er angefangen hat zu differenzieren. Wenn Schiele über die Kickers spricht, dann sagt er nur noch selten: die Kickers. Er sagt dann eher: "Ich will die Zeit nicht missen. Ich habe einiges durchgemacht mit den Fans zusammen." Oder: "Ich freue mich, am Sonntag die Jungs zu sehen."

Ein Bild aus dem Juli - und doch aus einer anderen Epoche: Die Kickers feiern mit Trainer Michael Schiele den Aufstieg. (Foto: Jan Huebner/imago)

Die Fans. Und die Jungs, die ja seine Jungs sind. Ihnen fühlt er sich nahe, das spürt man im Gespräch. Fragt man Schiele aber nach den Verantwortlichen, nach denen, die sich von ihm getrennt haben, da schaltet er in den professionellen Modus und sagt Pressekonferenzsätze. Er will nichts befeuern, es wird aber deutlich, dass da etwas ist, das in ihm arbeitet.

Die Kickers und Schiele, diese gemeinsame Geschichte hat auch deshalb so viele Leute in der Stadt ergriffen (und ja, sie bewegt auch Schiele noch), weil sie davon erzählt, wie sich ein Klub und ein Trainer emotional nahe gekommen sind, deren Verhältnis zu Beginn noch recht rational und zweckdienlich war. Dass Schiele im Oktober 2017 von der Übergangs- zur Dauerlösung an der Seitenlinie befördert wurde, das war schließlich auch finanziellen Zwängen geschuldet. Dann aber prägte er den Klub in den folgenden drei Jahren, wie es in der jüngeren Historie nur Bernd Hollerbach gelungen war. Schiele war die Kickers, die Kickers waren Schiele.

Und dann, in diesem so sonderbaren Zwanzigzwanzig?

Ab Ende Januar mischte Felix Magath als Klubberater mit, und Schiele musste erkennen, wie schwer es selbst im Erfolgsfall sein kann, an dessen Seite zu arbeiten. An der Seite eines Mannes, der für die Meinung eintritt, dass nur zwei Leute in einem Verein das Sagen haben sollten: er selbst - und Felix Magath.

Am Sonntag, wenn Schiele an den Dallenberg zurückkehrt, wird es nicht wenige Würzburger geben, die für Sandhausen jubeln. Die sich, obwohl ihre Mannschaft nach den ersten neun Spielen mit nur vier Punkten dasteht, aus Solidarität zu Schiele über einen Sandhäuser Sieg freuen würden. Schiele weiß das. Er kennt die entsprechenden Kommentare in den Netzwerken, betont aber, dass es auch darum geht, "sachlich zu bleiben". Auch sein Team hat ja erst acht Punkte, und der Abstiegskampf erfordert Rationalität. Andererseits, auch das weiß Schiele: Es wird emotional, wenn er am Sonntag durch die Tür der Gästeumkleide geht.

Das ist es, was auf Schiele zukommt: Es wird alles vertraut sein - und doch ganz anders. Vor dem Anstoß wird er seine Ansprache in der anderen Kabine halten, während der Partie wird er auf der anderen Bank Platz nehmen, und nach dem Abpfiff wird er im Medienraum des Dallenbergstadions auf der anderen Seite des Pressepodiums sitzen. Es wird, das steht schon jetzt fest, eine sehr emotionale Rückkehr. Eine, der Schiele auch mit dem Antrieb entgegengeht: Denen zeig' ich's. Öffentlich würde er das niemals sagen, aber ist das nicht bloß menschlich nach alledem, was in den vergangenen Monaten passiert ist?

Am Mittwochabend ist Michael Schiele nach Hause gefahren. Knapp 190 Kilometer, aus Sandhausen die A6 entlang, bis auf die Schwäbische Alb, nach Dorfmerkingen, wo er wohnt. "Die Strecke ist nicht gut zu fahren", sagt Schiele. Baustellen, Lastwagen, etliche Abschnitte mit Geschwindigkeitsbegrenzungen. Zeit also, die Gedanken zu sortieren. Am Sonntag, im Stadion, wird Schiele gemischte Gefühle haben. Gefühle, die ihm vertraut sind, weil der Abstiegskampf sie hervorruft, Gefühle aber auch, die er vor einem Jahr noch nicht kannte.

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