Schulsport„Vielen ist immer noch nicht klar, wie wichtig Sport ist“

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„Ich könnte noch mehr Menschen bewegen, warum soll ich es dann nicht auch versuchen?“ –  Sébastien Schmitt.
„Ich könnte noch mehr Menschen bewegen, warum soll ich es dann nicht auch versuchen?“ –  Sébastien Schmitt. (Foto: oh)

Sébastien Schmitt, ein Würzburger Sportlehrer, sagt einem Generationenproblem den Kampf an: Bewegungsmangel bei Kindern und Jugendlichen. Würde er mit seinem Projekt aufhören, wäre das für ihn unterlassene Hilfeleistung.

Von Sebastian Leisgang

Am Ende des Gesprächs ballt Sébastien Schmitt die Faust. Auf dem einen Arm hält er seinen Sohn, der noch nicht einmal fünf Monate alt ist; die Hand des anderen Arms formt er wie ein Boxer und sagt: „Wenn es funktioniert, wäre das mega.“ Seine Augen funkeln, doch man merkt, dass das bloß das Oberflächliche ist – das, was man sieht, wenn man Schmitt gegenübersteht. Was nicht zu sehen, aber sehr wohl zu spüren ist: In ihm, da lodert ein Feuer.

Ein sonniger Tag in dieser Woche, Schmitt hat zu sich nach Gerbrunn eingeladen, einem Vorort von Würzburg, der bei Studenten besonders beliebt ist, weil ihn nur ein paar Busstationen von der Universität trennen. Schmitt schlägt vor, einen Feldweg entlangzulaufen, von dem man beste Sicht auf die Weinberge hat. Das hier, die Idylle abseits des Würzburger Trubels, verweigert sich jedweder Hektik. Gerbrunn ist ein Pol der Ruhe, doch von hier aus bläst Schmitt zum Angriff: Er, der Lehrer, der in gewisser Weise auch Bekehrer ist, sagt einem Generationenproblem den Kampf an – dem Bewegungsmangel von Kindern und Jugendlichen.

Deshalb die Faust. Schmitt, 39, ist wild entschlossen. Er gibt alles, damit sein Plan aufgeht, damit es funktioniert.

An diesem Nachmittag schiebt er einen Kinderwagen über den Feldweg, als er von seiner „Challenge“ erzählt, die gerade zum fünften Mal an der Würzburger FOS/BOS läuft, an der er unterrichtet. 2021, als Corona wütete, führte Schmitt sein Projekt ein, einen Wettstreit, bei dem Schüler und Lehrer einmal im Schuljahr sechs Wochen lang Punkte für Läufe, Kraftübungen, Spaziergänge, Yoga-Einheiten und andere sportliche Aktivitäten erhalten. Das Ziel: Bewegung, Bewegung, Bewegung.

„Wenn meine Schüler während des Lockdowns mal aus dem Bett aufgestanden sind, um sich eine Tiefkühlpizza in den Backofen zu schieben, ist ihnen schwarz vor Augen geworden.“

„Ich hätte diese Challenge nicht gemacht“, sagt Schmitt, „wenn Corona nicht gewesen wäre.“ Es war erst die Pandemie, die die Probleme in aller Deutlichkeit offenbarte. Heute sagt Schmitt, wenn er an diese Zeit denkt: „Wenn meine Schüler während des Lockdowns mal aus dem Bett aufgestanden sind, um sich eine Tiefkühlpizza in den Backofen zu schieben, ist ihnen schwarz vor Augen geworden, weil sie 23 Stunden am Tag gelegen haben.“

Es ist ein Satz, der in den Ohren schrillt wie eine Pausenglocke. Die Weltgesundheitsorganisation empfiehlt 60 Minuten Bewegung am Tag, doch schon vor der Corona-Zeit blieben Kinder und Jugendliche dahinter zurück. Aus einer Studie, die 2024 veröffentlicht wurde, geht hervor, dass sich das Problem inzwischen verschärft hat. „Die Gefahr besteht, dass die Verhaltensweisen aus der Pandemie zum Teil dauerhaft beibehalten werden“, sagt Martin Bujard, Mitautor der Studie des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung.

Für Schmitt heißt das: Er muss Grundlagenarbeit leisten. „Vielen ist immer noch nicht klar, wie wichtig Sport ist“, sagt er, „genau dieses Bewusstsein möchte ich schaffen, weil Sport ein Werkzeug ist, um sein ganzes Leben besser zu meistern. Diesen Zusammenhang sehen viele aber nicht.“

Wenn Schmitt von seinem Projekt spricht, das er einst „Sporona“ taufte, nennt er es meistens „Challenge“ – einmal im Gespräch sagt er aber auch: „meine Lebensidee“. Und ja, das trifft es. Am Anfang war es bloß ein Einfall, der ihm beim Wandern kam, doch mittlerweile ist daraus so etwas wie seine Lebensaufgabe geworden. Um zu ermessen, was ihm das Projekt inzwischen bedeutet, genügen im Grunde schon diese Sätze: „Ich könnte noch mehr Menschen bewegen, warum soll ich es dann nicht auch versuchen? Es wäre fahrlässig, wenn ich das absichtlich nicht mehr machen würde.“ Würde er Sporona begraben, wäre das unterlassene Hilfeleistung – so sieht er das. Oder andersherum formuliert: Das, was er tut, ist seine Pflicht. Er muss es einfach tun.

2022 würdigte das Kultusministerium seine Challenge als „erfolgreiches Vorzeigeprojekt“, überreichte ihm eine Urkunde und ernannte ihn zum Fachberater Sport für Nordbayern

„Früher am Gymnasium“, sagt Schmitt auf dem Feldweg und ist in seinen Gedanken selbst noch einmal Schüler, „gab es auch mal ein Volleyball- oder ein Fußballturnier, aber da haben hauptsächlich Vereinsspieler mitgemacht, also immer nur ein Bruchteil der Schülerschaft. Bei Sporona kann jeder mitmachen.“ Und das ist es auch, was Schmitt antreibt. Seine Idee hat es schon bis nach Rosenheim geschafft, auch dort ist Sporona mittlerweile angekommen, aber Schmitt will das Projekt noch weiter hinaustragen, an immer mehr Schulen in Bayern, am besten an alle.

Bereits 2022 würdigte das Kultusministerium seine Challenge als „erfolgreiches Vorzeigeprojekt“, überreichte ihm eine Urkunde und ernannte ihn zum Fachberater Sport für Nordbayern. Die Ehrung und der Posten bedeute ihm immer noch viel, sagt Schmitt, doch es geht ihm um die Sache: Er will Menschen bewegen – wissend, dass seine Challenge nur Hilfe zur Selbsthilfe sein kann. Mit seinem Projekt möchte er bei seinen Schülern etwas lostreten. Es soll Anstoß sein, ein Auslöser.

Als Schmitt gerade in die Bedarfsanalyse gehen und über die, wie er es formuliert, „Gesellschaftskrankheiten“ sprechen will, schreit auf einmal sein Sohn im Kinderwagen. Schmitt reicht ihm eine Flasche, dann setzt er noch mal an. Mittlerweile kennt er das: dass er Anlauf um Anlauf nehmen und wieder und wieder erklären muss, wie groß der Bedarf und wie unentbehrlich Sport ist.

„Man bekommt schon Gegenwind“, sagt Schmitt und spricht dann über Politiker, für die Sport „nur ein Spiel“ sei. Und über Kollegen, die sich fragten, ob es wirklich sein müsse, Durchsagen mit Werbung für Sporona zu machen und dafür eine Minute Unterricht zu opfern. Sébastien Schmitt aber gibt nicht nach. Er macht weiter. Etwas anderes bleibt ihm ohnehin nicht übrig, ohne sich der unterlassenen Hilfeleistung schuldig zu machen.

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