Für einen Augenblick könnte man beinahe meinen, Steffen Liebler wäre froh, wenn die Würzburg Baskets dieses Mal scheitern würden. Wenn sie am Ende der Bundesliga-Saison auf Platz 13 oder 14 ins Ziel kommen sollten. Wenn sie jedenfalls nicht, wie in den vergangenen beiden Jahren, bis ins Playoff-Halbfinale stürmen und auf ihrem Weg manch großen Klub weit hinter sich lassen würden.
Liebler, Würzburgs Geschäftsführer, sagt nämlich: „Mir ist ein Jahr der Konsolidierung wichtiger als rasantes Wachstum und dann vielleicht ein größerer Abfall. Wir wollen unseren Weg natürlich schon weitergehen, aber wir wollen uns auch nicht selber überholen.“ Bei einem solchen Manöver – das ist es, was Liebler meint – kann es schließlich auch mal zu Unfällen kommen. Und dann, wenn man vom Weg abgekommen ist, sind die Folgen deutlich schwerwiegender, als wenn man gar nicht erst den Blinker setzt und auf die linke Spur fährt, dafür aber in Kauf nimmt, ein bisschen später anzukommen.
Das ist also das Bild, das Würzburgs Geschichte veranschaulicht: Überholspur, volle Fahrt voraus – fast so, als gäbe es nur ein Gaspedal, keine Bremse. Aber jetzt, nachdem die Mannschaft von Trainer Sasa Filipovski erst bis ins Halbfinale 2024 und dann auch noch ins Halbfinale 2025 gerast ist, stellt sich die Frage: Kann es für die Baskets auch ein Halbfinale 2026 geben? Bleiben sie auf der Überholspur? Oder gilt ab sofort wieder das Rechtsfahrgebot? Beim Saisonauftakt am vergangenen Samstag in Bonn hat Würzburg 72:61 gewonnen, ohne auch nur ein einziges Mal zurückzuliegen. Es war ein höchst souveräner und dominanter Sieg, dem schon an diesem Donnerstag gegen Braunschweig der nächste folgen könnte.

Deutsche Basketball-Europameister:Verdammt nah dran am gruppendynamischen Ideal
„Das sind alles Brüder“: Den EM-Titel erringen die deutschen Basketballer mit einer Haltung, die in Sportmannschaften selten geworden ist. Sie haben ihre eigene Erzählung geschaffen – mit fast schon kitschigen Momenten beim Triumph von Riga.
Wenn Liebler, 41, nun vor dem ersten Heimspiel auf die Gefahren im Straßenverkehr hinweist, unkt er auch, dass alles inzwischen so schnell geht, dass der Klub schon bald bei seinem eigenen Tempo nicht mehr mitkommen dürfte. Die Mannschaft muss ihre Körbe immer noch in einer Halle werfen, die vielleicht für Achtklass-Geräteturnen oder Oberstufen-Volleyball taugt – kaum aber für Bundesligaspiele gegen Bayern München und Champions-League-Duelle mit Galatasaray Istanbul. Und unter Filipovski, das ist das zweite und ebenso große Problem, sind die Spieler in den vergangenen Jahren so gut geworden, dass ihnen andere Vereine Angebote gemacht haben, mit denen Würzburg nicht einmal ansatzweise Schritt halten konnte.
Würzburg hat in der vergangenen Saison als Team überzeugt, das war das Werk von Trainer Sasa Filipovski
„Teilweise waren wir nicht mal nah dran“, verrät Liebler. So ist in Davion Mintz nur ein einziger Leistungsträger aus dem Kader der Vorsaison bei den Baskets geblieben. Zentrale Spieler wie Zac Seljaas und Jhivvan Jackson haben den Verein verlassen, Eigengewächs Hannes Steinbach zog es mit der Aussicht auf die NBA nach Washington. Colleges dürfen seit einem Gerichtsurteil neben einer Ausbildung mit fürstlichen Gehältern locken, man spricht von siebenstelligen Dollarsummen. Und den Baskets blieb mal wieder nur, den x-ten Wiederaufbau auszurufen.
„Wir haben von null angefangen. Es war ein kompletter Neustart“, sagt Liebler. Seine Worte haben nichts von Resignation. Es schwingt kein Frust mit, keine Verbitterung, nicht einmal Enttäuschung. Sie kennen es ja nicht anders in Würzburg – und bislang haben sie stets das Beste daraus gemacht. Dieses Mal sei der Aderlass zwar „am extremsten“, gesteht Liebler, „aber bei den Neuen sind auch ein paar Namen dabei, bei denen man sagt: Wow, das kann was werden.“ Etwa Marcus Carr und David Muenkat, zwei Nationalspieler Kanadas. Oder Brae Ivey und Jonathan Stove, die aus Hamburg gekommen sind. „Es muss bei den Spielern untereinander einfach Klick machen“, sagt Liebler. Dann, glaubt er, wird es auch in diesem Jahr wieder in die richtige Richtung gehen. Dass der Plan aufgehen kann, hat der formidable Auftritt in Bonn schon gezeigt, Würzburgs Geschäftsführer gibt aber zu bedenken: „Es dauert, bis die Mannschaft die Teamchemie aufbaut, für die wir die letzten Jahre bekannt waren.“
Dass die Baskets gute Individualisten in ihren Reihen hatten, aber trotzdem als Einheit bestachen, war in erster Linie Filipovskis Werk. Würzburgs Coach gelang es Saison für Saison, alle Spieler auf eine Linie zu bringen und sie Woche für Woche besser zu machen. Damit er nun aber nicht jedes Jahr Sisyphos spielen muss, gilt es, abseits des Parketts die nächste Sprosse der Leiter zu erklimmen. „Wir müssen unser Netzwerk weiter ausbauen und längerfristige Partnerschaften schließen, um mehr Planungssicherheit zu haben“, weiß Liebler.
Nur wenn die Mannschaft mal beisammenbleibt, kann sie wachsen und den Klub, wenn er es denn nicht schon ist, zu einem natürlichen Anwärter auf die Playoffs werden lassen. Damit der Klub die Mannschaft aber auch zusammenhalten kann, wäre es hilfreich, wenn sie – Stichwort Konsolidierung – nicht schon wieder bis ins Halbfinale der Playoffs stürmen würde. Das heißt allerdings nicht, dass Steffen Liebler zurücktreten würde, wenn es doch so weit kommen sollte. Wahrscheinlich, man weiß es ja nicht, würde er sich sogar darüber freuen. Zumindest ein bisschen.

