Süddeutsche Zeitung

Würzburgs Aufstieg:"Ganz, ganz großes Kino"

Auf denkbar dramatische Art und Weise kehrt Würzburg in die zweite Bundesliga zurück. Der Aufstieg dokumentiert, wie wertvoll ein Trainer ist, der es versteht, Mittelwege zu gehen.

Von Sebastian Leisgang, Würzburg

Sebastian Schuppan stank. Das war zu riechen, das gestand er selbst, als er zu seiner Tochter an den Zaun lief, um sie in den Arm zu nehmen. Ein paar Minuten zuvor hatte er die Würzburger Kickers mit einem Elfmeter in der dritten Minute der Nachspielzeit in die zweite Fußball-Bundesliga geschossen, jetzt wandte er sich seiner Tochter zu, das Hemd getränkt in Champagner und Bier. "Papa stinkt bisschen!", sagte Schuppan - es war die Stunde seines fünften Aufstiegs.

Als Schuppan, 33, am Zaun stand, hatte er Tränen in den Augen. Es sei, meinte er, ein besonders emotionaler Erfolg, "weil es so spät in der Karriere ist". Der Abwehrspieler hat eine Menge erlebt, er hat für Energie Cottbus gespielt, für den SC Paderborn, Dynamo Dresden und Arminia Bielefeld. Nun ist er auf den letzten Metern seiner langen Laufbahn - und er schwang sich noch einmal auf zum Protagonisten dieses Dramas, das sich am Samstagnachmittag am Würzburger Dallenberg abspielte.

Die Kickers benötigten nur noch einen einzigen Punkt, um am letzten Spieltag in die zweite Liga aufzusteigen, doch nach Wochen furiosen Fußballs war die Mannschaft kaum wiederzuerkennen. Schon nach zehn Sekunden hatte der Hallesche FC das Führungstor auf dem Fuß, und als Julian Guttau in der zweiten Hälfte das 2:1 für den HFC gelang, da hatte sich die Lage dramatisch zugespitzt. Die Kickers standen auf einmal nur noch auf Rang vier, weil der FC Ingolstadt beim TSV 1860 München in Führung gegangen war.

Als schließlich die Nachspielzeit anbrach, hielt es kaum noch jemanden in der Sitzschale. Dann trat Robert Herrmann einen Freistoß, der Ball sprang Guttau an den Oberarm, Schiedsrichter Martin Petersen deutete auf den Elfmeterpunkt, und Schuppan setzte die Schlusspointe.

Die Geschichte des Würzburger Aufstiegs ist nicht nur deshalb erzählenswert, weil sie Schuppans Karriere krönt, sondern auch, weil sie veranschaulicht, wie wertvoll ein Trainer ist, der es versteht, Mittelwege zu gehen. Unter Michael Schiele spielen die Kickers einen Auf-sie-mit-Gebrüll-Fußball, einerseits. Schiele weiß, andererseits, aber auch, wann er seine Mannschaft dazu anhalten muss, den Fuß vom Gaspedal zu nehmen. Im Training fordert er eine Menge ein, an der Seitenlinie nimmt er seine Spieler dann in den Arm, nachdem er sie ausgewechselt hat.

Inzwischen hat sich Schiele längst einen Namen gemacht

Bei Schieles Einstand, im Herbst 2017, flog Würzburg beim Regionalligisten TSV 1860 Rosenheim aus dem Landespokal, es folgten ein 0:2 beim Karlsruher SC und ein 0:5 gegen den SV Wehen Wiesbaden. Dann wurde Schiele befördert, und man musste den Leuten erstmal erklären, wer dieser Schwabe überhaupt ist, der bei Pressekonferenzen ständig "dann au" sagt.

In diesen Tagen half es, darauf hinzuweisen, dass Schiele eine Vergangenheit als Assistenzcoach bei der SpVgg Greuther Fürth und beim VfR Aalen an der Seite von Ralph Hasenhüttl gearbeitet hat, dem Trainer, der es mittlerweile in der Premier League mit Gegnern wie dem FC Liverpool und Manchester City aufnimmt.

Inzwischen hat sich Schiele längst einen Namen gemacht. Als Trainer, der junge Spieler entwickelt und Mannschaften formt, als Fußballlehrer im Wortsinn, als Trümmermann, der Jahr für Jahr mit einem nahezu runderneuerten Kader einen Neuaufbau meistern muss.

Dass Schiele die Kickers in seiner ersten Saison vom Tabellenende auf Rang fünf führte, war ebenso beachtlich wie das Resultat des zweiten Jahres nach dem Abschied einiger Leistungsträger: erneut Rang fünf - und jetzt also der Aufstieg, Schieles größter Erfolg und "ganz, ganz großes Kino", wie er in Richtung seiner Spieler sagte. Auch sein T-Shirt war alkoholgetränkt, auch für ihn war der Aufstieg besonders emotional. Für Schiele, 42, ist es schließlich noch ziemlich früh in seiner Trainerkarriere.

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SZ vom 05.07.2020/chge
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