Süddeutsche Zeitung

Trainerin in der Oberliga:Applaus nach altem Rollenbild

Weil eine Frau die Männer des BV Cloppenburg trainiert, wird jeder kleine Erfolg überhöht dargestellt. Dabei hat Imke Wübbenhorst das gar nicht nötig.

Kommentar von Thomas Hahn

Und nun zur Rekordvorhersage fürs Wochenende: Eine stabile Veranstaltungslage bestimmt die Ereignisse in den verschiedenen Sportarten. In den höheren Ligen kann es zu Starkleistungen und tosendem Jubel kommen. Die Hochausläufer einzelner Athleten erhöhen im Wintersport die Aussicht auf fortgesetzte Siegesserien. Insgesamt herrscht ruhiges Wettbewerbsklima. Zum Sonntag hin steigt im Norden die Rekordwahrscheinlichkeit. Genauer gesagt im Oldenburger Münsterland. Genauer gesagt bei der Fußballoberliga-Partie BV Cloppenburg - Arminia Hannover.

Es ist nämlich so, dass Imke Wübbenhorst bei besagter Partie ihr Punktspiel-Heimdebüt als Trainerin des Cloppenburger Männerteams gibt. Im Winter hat sie den Job von Olaf Blancke übernommen. Seither arbeitet sie am Versuch, den Tabellenletzten in die Nichtabstiegszone zu führen. Und da kann es eben passieren, dass die Jungs am Sonntag genau das tun, was Coach Wübbenhorst von ihnen will: gewinnen. Das wiederum wäre der erste Dreier, den eine Frau in einer derart hohen Männer-Fußball-Liga verantwortet. Rekord. Ein Wunder?

Ihr erster Punkt in der Männer-Liga. Historisch!

Im Gegenteil. Imke Wübbenhorst, 30, hat als U19-Nationalspielerin zwei Mal die EM gewonnen. Sie ist Lehrerin für Biologie und Sport und Inhaberin der Trainer-A-Lizenz. Für ihre Aufgabe ist sie besser ausgebildet als viele Kollegen. Trotzdem hat man das Gefühl, als blickten manche auf sie wie auf den Analphabeten in der Bücherhalle. Schon der erste Punktgewinn ihrer Mannschaft am Sonntag gegen den HSC Hannover hat eine überregionale Aufmerksamkeit hervorgerufen, die im Grunde den Fußballverstand der Wübbenhorst beleidigt. Ihr erster Punkt in der Männer-Liga. Historisch!

Das 2:2 des BV Cloppenburg beim HSC ist tatsächlich eine Überraschung gewesen. Allerdings nicht, weil beim BV eine Frau das Training leitet, sondern weil ein Abstiegskandidat beim Aufstiegsaspiranten nicht alle Tage unentschieden spielt. Der Applaus für Imke Wübbenhorst ist verdient und gut gemeint. Aber er klingt auch nach der Verwunderung einer Männergesellschaft, die in alten Rollenbildern feststeckt. Wie soll denn das weitergehen mit Imke und den Oberliga-Männern? Werden sie nun zu Dauer-Rekordlern? Historischer erster Sieg. Historischer erster Auswärtssieg. Historischer erster Sieg mit drei Toren Unterschied.

Alles nicht so spannend wie die Mission, die Coach Wübbenhorst jetzt verfolgt: Ein junges Team aus dem Tabellenkeller zu holen. Wenn sie das schafft, verdient sie nicht nur eine lobende Erwähnung im Geschichtsbuch des Fußballs. Dann ist sie eine Meisterin des Sporthandwerks.

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Quelle:
SZ vom 26.02.2019/schm
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