Süddeutsche Zeitung

Wrestling:"The Machine": Tim Wiese zeigt, was er gelernt hat

Bei seinem ersten Auftritt als Profi-Wrestler ist Tim Wiese gleich Publikumsliebling. Den Fußball scheint er wirklich nicht zu vermissen.

Von Dominik Fürst

Als der Wrestler Tim Wiese den Vorhang zur Seite streift und endlich die große Bühne betritt, ist alles erst einmal weniger peinlich als befürchtet.

Das Publikum in der Münchner Olympiahalle hat er schon auf seiner Seite: Es schreit seit mehreren Minuten seinen Namen und macht noch einmal mehr Lärm, als der Held ins Rampenlicht tritt.

Wiese kommt mit Sneakers, Jeans und weißem Unterhemd zum Ring, das obligatorisch knappe Ringerhöschen hat er vermeiden können, seine schwarzen Haare sind streng nach hinten geplättet. Er steigt mit etwas wackeligen Beinen auf die Seile in der Ringecke und reißt seine muskulösen Arme kurz in die Höhe. Tausend Menschen toben.

Oberarmtätowiert, ohrengepierct, sonnenstudiogebräunt

Wiese, der oberarmtätowierte, ohrengepiercte und sonnenstudiogebräunte Ex-Fußballer (Kaiserslautern, Bremen, Hoffenheim) und Nationaltorwart, hat seinen ersten Auftritt als aktiver Kämpfer der US-amerikanischen Unterhaltungsmaschine World Wrestling Entertainment, die sich ein paar zusätzliche deutsche Fans durch ihren prominenten neuen Spieler erhofft.

Sie haben ihm den Namenszusatz The Machine gegeben, wodurch Wiese in den illustren Kreis jener Kämpfer aufsteigt, die ihren echten Namen im Ring lediglich ein bisschen ausschmückten, etwa Bret Hitman Hart oder Rowdy Roddy Piper.

Dass Wrestling unecht und dabei mitzufiebern Quatsch ist, weil natürlich alles abgesprochen und choreografiert daherkommt, ist längst bekannt. Aber es folgt demselben Prinzip wie Hollywood: Es stehen sich immer Gut und Böse gegenüber.

So sieht das Rezept für simple, gute Unterhaltung aus, vor allem für Kinder. Der kleine Junge mit Brille und Armbandage, der mit Vater und großem Bruder in die Olympiahalle gekommen ist, stößt jedenfalls jedes Mal echte Freudenschreie aus, wenn die Publikumslieblinge ihre Gegner besiegen.

Und als Publikumsliebling tritt auch Tim Wiese auf. Er legte schon immer Wert auf die richtige Pose. Sie hat ihm sogar schon einmal einen großen Auftritt vermasselt, als Wiese mit 24 Jahren im Champions-League-Spiel zwischen Werder Bremen und Juventus Turin kurz vor Spielende der Ball aus den Händen rutschte, nur weil er sich unnötigerweise zur Seite hin abrollte. Jetzt, mit 34 Jahren, muss Wiese die Posen eines Wrestlers imitieren. Er macht dabei zumindest keine schlechte Figur.

Wiese tritt im Tag Team an, drei-gegen-drei, seine Verbündeten heißen Sheamus und Cesaro, seine Feinde The Shining Stars und Bo Dallas. Im Ring stehen immer nur zwei Kämpfer, sie lassen Wiese so lange am Mattenrand zappeln, bis die Halle wieder seinen Namen ruft. "Wiese! Wiese! Wiese!" Als ihn einer der Gegner auf den Hallenboden schmeißt, weil Wiese gerade nicht aufpasst, pfeift das Publikum empört.

Schläge, Würfe, Sprünge

Aber am Ende geht alles gut: Wiese darf zeigen, was er gelernt hat, Schläge, Würfe, Sprünge, und als sich im allgemeinen Getümmel nur er und Gegner Primo im Ring befinden, knockt er ihn aus und begräbt ihn mit einem gesprungenen Bauchklatscher unter sich. One, two, three, schreien der Ringrichter und das Publikum, dann ist das Match zu Ende und Tim Wiese darf sich feiern lassen. Er hat den Kampf entschieden und genießt jetzt den Jubel der Menge. Der Abend scheint ihm Spaß zu machen.

Dabei wurde so sehr gerätselt über die Motivation des Sportlers, den sie in Hoffenheim vor drei Jahren aussortierten, und der dann seinen Vertrag ausgesessen hat, anstatt noch einmal eine neue fußballerische Herausforderung zu suchen. "Ich sehe Wrestling nicht als Fluchtversuch", hat Wiese vor ein paar Wochen in einem Interview gesagt, "es ist eine Alternative zum Fettwerden und Auf-der-Couch-sitzen." Hat Wiese den Fußball aufgegeben, weil er keine Chance mehr sah? Oder wollte er sich einfach noch einmal neu erfinden?

"Ich fackel nicht lang, ich hau drauf"

Tim Wiese, der Wrestler, gibt jetzt bei den meisten Gelegenheiten keine tiefgründigen Antworten mehr. Als WWE-Kämpfer muss er davon reden, die Gegner zu "zerstören" und Furcht zu verbreiten. "Ich fackel nicht lang, ich hau drauf", verkündete er zum Beispiel vor seinem Debüt in München. Aber ein paar echte Sätze gibt es von Wiese auch noch ab und zu. Vor Kurzem hat er gesagt, dass er seine freie Zeit nach dem Fußball im Grunde sehr genieße: "Ich vermisse und bereue nichts."

Und wenn man ihm an seinem ersten Abend als sportlicher Unterhalter ein bisschen genauer zugesehen hat, konnte man wirklich den Eindruck gewinnen, dass das die Wahrheit ist.

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