Süddeutsche Zeitung

Wolfsburg in der Bundesliga:Versagen im Verborgenen

Während der Abstieg des HSV immer konkreter wird, spricht kaum jemand über die Misere des VfL Wolfsburg. Dabei dient der VW-Klub durchaus als Beispiel für Probleme, die derzeit die Liga umtreiben.

Kommentar von Sebastian Fischer

Sandro Wagner provoziert gerne, das ist spätestens bekannt, seit er mal erklärt hat, Fußballer würden eigentlich viel zu wenig verdienen. Er weiß, dass sich seine Aussagen zu Verkürzungen eignen und sich der fußballinteressierte Teil der Bevölkerung gerne an ihnen reibt. Neulich allerdings, als Wagner mal wieder provozierte, ist der Aufschrei ausgeblieben, es gab noch nicht mal ein kleines bisschen Reibung. Wagner sagte: "Es gibt schon viele Klubs, die mir leidtun. Aber Wolfsburg? Wolfsburg nicht." Zumindest öffentlich hat ihm niemand widersprochen.

An diesem 25. Spieltag hat sich womöglich der Hamburger SV aus dem Kampf um den Klassenerhalt verabschiedet, im negativen Sinne. Die Aussagen der Verantwortlichen nach dem 0:0 gegen Mainz klangen schon sehr danach, als würde man sich demnächst mit dem Abstieg in die zweite Liga abfinden müssen. Das wäre einerseits ein Einschnitt in die Historie der Bundesliga, der HSV war ja schließlich bislang der unabsteigbare Dino. Doch sportlich ist es kaum mehr eine Überraschung, der Misserfolg ist seit Wochen erklärt worden, strukturell, planerisch und taktisch, überall sind Mängel. Doch während in der Hinrunde jeder über den 1. FC Köln den Kopf schüttelte und nun alle über den Hamburger Niedergang sprechen, kommt die dritte Negativgeschichte dieser Saison beinahe unbemerkt davon: die des VfL Wolfsburg.

Im vergangenen Jahr hat der VW-Klub aus der Mixtur aus Desinteresse und Häme seine Kraft gezogen, die Fans sammelten sich für einen Marsch durch die Autostadt, Manager Olaf Rebbe gab zunehmend bockige Antworten auf lauernde Fragen, die Mannschaft raufte sich zusammen - und am Ende gelang in der Relegation der Klassenerhalt. Solche Aktionen leben allerdings von ihrer Einmaligkeit, und es sieht in dieser Saison nicht danach aus, als würde sich das Szenario wiederholen. Gegen Leverkusen blieben weite Teile des Stadions leer, Wolfsburg ist scheinbar gerade selbst in Wolfsburg vielen egal, und Wolfsburg war beim 1:2 harmlos.

In Wolfsburg scheinen Karrieren hoffnungsvoller Spieler zu versiegen

Im Sommer hat die hundertprozentige VW-Tochter nach Schätzungen der Branche fast 70 Millionen Euro für Ablösezahlungen für neue Spieler ausgegeben, auch die Bezahlmoral in Wolfsburg ist spendabel. Ähnlich wie in Hamburg übrigens. Und auch ähnlich wie in Hamburg scheinen in Wolfsburg die Karrieren hoffnungsvoller Fußballer zu versiegen. Aktuell ist das in Wolfsburg an den Formkurven von Daniel Didavi und Yunus Malli zu sehen. Bruno Labbadia ist nach dem Rücktritt von Martin Schmidt bereits der dritte Trainer der Saison, den Sportdirektor Olaf Rebbe mit der Leitung eines Kaders betraute, dessen Zusammenstellung offensichtlich fehlgeschlagen ist.

Die (verbliebenen) Fans kritisieren, dass es dem VW-geführten Aufsichtsrat an Fußballkompetenz mangelt und Rebbe kein Korrektiv zur Seite gestellt wird, die Geschäftsführung besteht nur aus einem Finanzexperten und einem Rechtsexperten. Bald soll wohl ein Sport-Geschäftsführer kommen. Ob damit das Wurschteln aufhört? Es sieht danach aus, als genieße der VfL (zur Erinnerung: Pokalsieger 2015) für den mit weitaus dramatischeren Problemen konfrontierten VW-Konzern nicht mehr allzu große Priorität. Im Winter ließ der VfL in Mario Gomez einen Nationalspieler, wichtigen Stürmer und vor allem einen der wenigen Akteure ziehen, der es glaubhaft mit so etwas wie Vereins-Identifikation versucht hatte.

Wenn man es überspitzt formuliert, dann ist der VfL ein anschauliches Beispiel für in der Liga viel diskutierte Probleme: Qualitätsverlust, Zuschauerschwund im Stadion, und in Wolfsburg wird mit einer Ausnahmeregelung die 50+1-Regelung umgangen, es steht viel Geld zur Verfügung - aber das hilft auch nichts, wenn auf der Entscheidungsebene Kompetenz oder Begeisterung oder vielleicht sogar beides fehlt. Für den Klassenverbleib wird es am Ende irgendwie wahrscheinlich trotzdem reichen, dafür ist die Konkurrenz zu schwach besetzt, spätestens wohl in der Relegation. Dann würde es einen der vielen Klubs treffen, die Sandro Wagner leidtun.

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SZ vom 04.03.2018/jbe
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