Das gute Frühstück am Freitagmorgen in der urigen Mühlenbäckerei in Zuzenhausen war nicht der alleinige Grund für die gute Laune von Julian Nagelsmann. Am Abend zuvor feierten der Trainer der TSG Hoffenheim und seine Mannschaft gegen den türkischen Klub Medipol Basaksehir FK ihren ersten Sieg in der Europa-League. Durch ein ungefährdetes 3:1 gewann die TSG die ersten drei Punkte zum Abschluss der Vorrunde und darf nun doch noch vom Überwintern in Europa träumen. Während Köln und Hertha durch erneute Pleiten im Europapokal nun wieder Hohn und Spott erdulden müssen, wirkte der Erfolg in Hoffenheim als Stimmungsaufheller vor dem Spiel in der Liga an diesem Sonntag in Wolfsburg.
Nagelsmann, noch immer erst 30 Jahre jung, findet laut eigener Auskunft selten schnell in den Schlaf. Von Donnerstag auf Freitag ruhte er nur ein paar Stunden, weil er sich noch bis in die frühen Morgenstunden mit einem Mann austauschte, der den hinreißenden Namen Benjamin Glück trägt. Nagelsmann aber wirkte auch nach dem langen Gespräch mit seinem Videoanalysten im Pressegespräch am Freitag ausgeschlafen. Und sogar ein bisschen angriffslustig. Er freue sich "sehr" für seine Mannschaft, dass sie nun auch im Europacup bewiesen habe, Spiele gewinnen zu können, und dass sie es allen "Krisenschreibern" gezeigt habe. Zuvor war die TSG ja drei Pflichtspiele in Serie ohne Sieg geblieben, schon fünf Mal hatte sie in dieser Saison einen Vorsprung nicht in einen Sieg ummünzen können. "Dass uns eine Minikrise zugeschrieben wurde, ist ja Wahnsinn", empörte sich Nagelsmann, schließlich sei die TSG in der Liga nach acht Spielen Vierter: "Es gibt einige Klubs, die unruhiger schlafen als wir."
Noch fehle Demirbay die Lockerheit, glaubt Trainer Nagelsmann
Zu denen Schlechtschläfern der Liga gehören womöglich die Verantwortlichen des VfL Wolfsburg. Der VfL hat nur acht Zähler auf dem Konto und spielte seit dem Trainerwechsel von Andries Jonker zum ehemaligen Mainzer Coach Martin Schmidt vier Mal Unentschieden. Doch Nagelsmann warnt, weil er die Wolfsburger für eine "außergewöhnlich gut besetzte Mannschaft" hält. Außerdem sei die Handschrift des Trainers zu erkennen, Schmidt schätze er sehr, sagt Nagelsmann: "Wir brauchen eine Top-Leistung, um dort etwas zu holen."
Die Leistung gegen Basaksehir war in der zweiten Halbzeit sehr gut, weshalb Mittelfeldspieler Kerem Demirbay, 24, glaubt: "Mit einem ähnlich guten Auftritt wie am Donnerstag gewinnen wir auch in Wolfsburg." Der Mittelfeldspieler bereitete die ersten beiden Tore gegen die Türken am Donnerstag vor und half so mit, dass seine Elf nach einer Stunde Spielzeit eine Partie endlich einmal vorzeitig entscheiden und ein wenig Kraft sparen konnte. In der vergangenen Saison katapultierte sich Demirbay mit überragenden Leistungen in den Kader der deutschen Nationalmannschaft. Das sorgte in der Türkei für Unmut, weil er der türkischen Auswahl erst Hoffnungen gemacht, im letzten Moment aber einen Korb erteilt hatte. Der Linksfuß wurde deshalb am Donnerstag von den rund 2000 türkischen Anhängern im Stadion bei jedem Ballkontakt ausgepfiffen. Man könne es leider nicht allen rechtmachen, sagte er.
Das Geheimnis seines linken Fußes? Jahrmarkt-Preisschießen am Schwarzen Meer
Demirbay, im Sommer noch Confed-Cup-Sieger mit Deutschland, hat die starke Form der vergangenen Runde auch wegen Verletzungen noch nicht erreicht und ist nicht mehr in den Kader der Nationalmannschaft berufen worden. Demirbay fehle ein bisschen die Lockerheit, weil er sich manchmal zu viel Verantwortung aufbürde, glaubt Nagelsmann. Aber der Trainer stellt klar: "Er ist ein außergewöhnlich guter Spieler, der sehr wichtig für uns war und ist. Er kriegt die Zeit, die er braucht, um wieder dahin zu kommen, wo er letzte Runde war." Diesen starken Rückhalt hatte der Mann mit den Streichholzbeinen einst weder beim Hamburger SV, noch beim 1. FC Kaiserslautern, wo er in der Saison 2014/15 unter Kosta Runjaic spielte. Erst bei Fortuna Düsseldorf durfte er konstant seine Klasse zeigen, bevor er sich in Hoffenheim zu einer der Entdeckungen der letzten Erstligasaison aufschwang.
Wegen seines starken linken Fußes wird Demirbay oft mit Mesut Özil verglichen. Beide sind im Ruhrgebiet geboren, beide Familien stammen aus dem Ort Devrek am Schwarzen Meer. Demirbay sagt lachend, er habe Özil dort aber nie getroffen. Das Geheimnis seines linken Fußes liegt aber vielleicht am Schwarzen Meer: Als Kind durfte er auf dem Jahrmarkt irgendwann nicht mehr beim Elfmeterschießen mitmachen, weil er immer gewonnen hatte. Noch wartet der Preiskicker von einst auf sein erstes Saisontor. Die Leistungssteigerung gegen Basaksehir mit zwei Torvorlagen gibt aber Anlass zur Hoffnung, dass Kerem Demirbay die Form des Vorjahres (sechs Treffer, zehn Vorlagen) wieder findet.