Süddeutsche Zeitung

Wolfsburg:Dreck am Schuh, hart erarbeitet

Elfmeter vergeben, Eigentor: Der VfL verliert unglücklich gegen Schalke - und vermisst die Tore von Mario Gomez.

Von Javier Cáceres, Wolfsburg

Es riecht auch in Wolfsburg noch lange nicht nach Frühling. Doch als der Schiedsrichter die Partie des örtlichen Vereins für Leibesübungen gegen Schalke abpfiff, schien es fast so zu sein, als hätte sich eine Armee unsichtbarer Schmetterlinge auf die Schultern der Wolfsburger Profis gesetzt und sie mit all der Last der Welt bestäubt. Ein Spieler nach dem anderen sackte in sich zusammen, kniete oder lag auf dem Rasen, und als die Verzweifelten kurz darauf die Kabine ansteuerten, waren die meisten unansprechbar. Zu grausam las sich die Dramaturgie der letzen Viertelstunde der Partie: Paul Verhaegh, der Kapitän, verschoss einen Elfmeter (76.); und Robin Knoche, der junge Innenverteidiger, spitzelte einen vom Schalker Breel Embolo in den Fünfmeterraum geschlagenen Ball ins eigene Netz (86.).

0:1 stand es am Ende. Und anstatt den fünften Sieg zu feiern oder zumindest über das 14. Unentschieden der Saison zu hadern, das immerhin einen kleinen Schritt weg vom Abgrund bedeutet hätte, betrauerten sie nur die zehnte Niederlage.

Der VfL hat in dieser Saison fünf von sechs Strafstößen vergeben

Bruno Labbadia, der neue Trainer, ist immer noch sieglos, in vier Spielen hat er nur ein Unentschieden erreicht, Wolfsburg ist weiterhin punktgleich mit Mainz, dem Tabellen-16. "Es ist zum Kotzen", stieß Mittelfeldspieler Maximilian Arnold hervor, der sich als einer der wenigen neben Verhaegh und Knoche ("es tut mir leid für die Mannschaft") den Medien stellte. Und ja: Dass die Schalker mit drei Punkten heimfuhren, hatte viel mit einem Match-Glück zu tun, das bevorzugt jenen zufällt, die oben stehen. Und das dann die so genannten dreckigen Siege begünstigt wie eben jenen des Tabellenzweiten beim Tabellenfünfzehnten Wolfsburg. "Ich will's nicht zu poetisch gestalten", sagte Wolfsburgs Manager Olaf Rebbe, nachdem ihm das Wort "Fluch" über die Lippen gekommen war, und versuchte es dann prosaisch: "Wir haben Dreck am Schuh, und das gehörig."

Diesen Dreck haben sich die Wolfsburger in dieser Saison freilich hart erarbeitet. So sehr Schalkes Trainer Domenico Tedesco Qualität und Mentalität der Gastgeber lobte, so sehr er sich für den Sieg seines Teams fast entschuldigte ("es tut mir wirklich leid"): Die Wahrheit blieb, dass sich auch der Samstag in die Reihe der Spieltage fügte, an denen unerklärlich blieb, warum Wolfsburg so faszinierend wenig Fußball bietet. Labbadia lobte zwar, dass er vor allem eine gute defensive Ordnung, Grundtugenden und sogar die ein oder andere Torchance gesehen hatte. Allerdings stand auf der anderen Seite auch eine Schalker Elf, die von ihrem Trainer zu disziplinierten Auftritten am Limit getrieben wird.

"Ich kann mich an kein Spiel erinnern, wo einer nicht bei hundert Prozent war", sagte Schalkes Torwart Fährmann und fügte hinzu: In der Vorsaison sei das schon mal anders gewesen. Wenn sich aber zwei Mannschaften gegenüberstehen, die sich in Ordnung und Aufwand in nichts nachstehen, dann machen irgendwann Selbstsicherheit, Qualität oder auch nur die Trägheit des Glücks den Unterschied.

Die beiden entscheidenden Szenen waren Sinnbilder dafür: Verhaeghs verschossener Elfmeter war der fünfte von sechs Strafstößen, die der VfL in dieser Saison vergab. Beziehungsweise der elfte, den Fährmann in seiner Karriere hielt. Trainer Tedesco rannte nach dem Schlusspfiff auf seinen Torwart zu und sprang ihm vor Dankbarkeit in die Arme. Ohne Fährmanns Rettungstat hätte Embolo kaum zum Wegbereiter des Siegtors werden können: Er tunnelte vor Knoches Eigentor erst Didavi im Strafraum, dann schoss er blindlings vors Tor, weil man das im Training so übe, erzählte er später. Mehr noch: Er habe genau gesehen, dass da, wo er den Ball hinjagte, kein einziger Blauer stand. Doch das war ihm so egal wie allen Schalkern die Debatte über die ästhetische Qualität ihres Spiels. Irgendwie würde der Ball schon ins Tor fallen, lautete Embolos Kalkül. "Es war erzwungenes Glück", sagte der Schweizer.

Einen Stürmer, der das Glück erzwingt, hatte der VfL übrigens auch mal im Sortiment: Mario Gomez. In der Winterpause wurde der Nationalstürmer an seinen Heimatklub VfB Stuttgart veräußert, zu einer Zeit, in der der VfB noch ein Abstiegsrivale der Wolfsburger war. Inzwischen sind die Stuttgarter Zweiter der Rückrundentabelle. Unter anderem, weil Gomez seit der Rückkehr sechs Tore und zwei Torvorlagen fabriziert hat. Zum Vergleich: Der VfL ist 17. der Rückrundentabelle und hat 2018 gerade mal sieben Tore erzielt. Natürlich richten sich ob dieser Personalie die Augen noch intensiver auf Manager Rebbe, der auch am Samstag wieder "Gerüchtebingo" spielen sollte, wie er es nannte: Der TV-Sender Sky fragte ihn nach seinem angeblichen Rücktritt, den er dementierte.

Und Gomez? "Erst mal freut es mich für Mario. Das ist, was er sich gewünscht hat", sagte Rebbe, als habe Gomez' Glück Priorität. Reue hingegen verspürte er nicht; in Abwägung aller Fakten, zu denen auch Gomez' Wunsch zählte, nach Stuttgart zurückzukehren, "würden wir es wahrscheinlich wieder so machen". Trainer Labbadia sagte: "Da kann man nun nichts mehr daran ändern." Das weiß man auch in der VfL-Kabine. Doch hinter vorgehaltener Hand hält man es für tragisch: "Uns fehlt Mario mehr denn je", teilte ein Führungsspieler der Wolfsburger mit.

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SZ vom 19.03.2018
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