Süddeutsche Zeitung

VfL Wolfsburg:Die Perfektionisten rollen weiter

Der VfL Wolfsburg siegt mit 2:1 in Bremen - und befindet sich als Tabellendritter weiter auf Champions League-Kurs.

Von Thomas Hürner, Bremen

Eine perfektionistische Veranlagung bringt viele Vorteile mit sich, so ein Leben als Perfektionist kann aber auch ziemlich anstrengend sein. Permanent werden die eigenen Ansprüche und Erwartungen mit der Realität abgeglichen, und schon die kleinste Abweichung kann deshalb mittelschweren Zorn auslösen.

Oliver Glasner, der eigentlich eher reservierte Trainer des VfL Wolfsburg, dürfte jedenfalls eher keine Unterlassungsklage in die Wege leiten, wenn man ihm besondere Akribie und Detailversessenheit zuschreibt. Immerhin liefert er allwöchentlich selbst die Belege dafür. Zum Beispiel am Samstag beim 2:1-Auswärtssieg gegen den SV Werder, als er kurz vor dem Halbzeitpfiff wutschnaubend und mit dem Kopf schüttelnd durch seine Coaching-Zone lief. "Ich zeig's auf Video", schimpfte er vor sich hin, "und die fallen trotzdem rein!"

Drauf reingefallen? Irgendeine Methodik wird Glasner schon erkannt haben beim einzigen Bremer Treffer des Spiels, der für Laien eher wie ein reines Zufallsprodukt aussah: Ein Freistoß von der Seite, ein paar umkämpfte Duelle im Strafraum, und dann landete der Ball irgendwie vor den Füßen von Kevin Möhwald, der durch ein Dickicht aus Freund und Feind ins Netz traf.

Die Wolfsburger haben schon jetzt mehr Punkte als in der gesamten Vorsaison

Der Unmut des Perfektionisten Glasner bezog sich auf zweierlei, wie er nach dem Spiel erklärte. Zum einen habe er ein Foul gesehen, weil ein Bremer Spieler den VfL-Verteidiger John Anthony Brooks geblockt habe. Zum anderen war es offenbar genau das, wovor Glasner seine Spieler bei der Videoanalyse vor der Partie gewarnt hatte: Das strategische Blocken des Gegners bei Standardsituationen.

Gegentore sind für Trainer zwar nie eine Petitesse, schon gar nicht, wenn diese trotz vorausgegangener Warnungen fallen. Aber wie sehr Glasner sich über diese einen Szene echauffieren konnte, war schon auch ein bisschen sinnbildlich für ihn und die Saison des VfL: Es war die einzige Unachtsamkeit, die sich der Tabellendritte während des gesamten Spiels leistete - und in der fußballerischen Weltanschauung Glasners ist das mindestens eine zu viel.

Es ist jedoch keineswegs so, dass die Wolfsburger einen hasenfüßigen Risikovermeidungsfußball spielen würden. Dass sie durch diesen Sieg an der Weser schon jetzt mehr Punkte als in der gesamten Vorsaison eingesammelt haben und als derzeit Tabellendritter unaufhaltsam in Richtung Champions League-Qualifikation rollen, liegt vor allem an ausgezeichneter Arbeit im Kollektiv und Lernfähigkeit. Wie etwa vor dem zweiten Tor des VfL, als Mittelfeldmotor Xaver Schlager den idealen Moment für eine frühe Pressingattacke antizipierte und der Ball in der 42. Minute schließlich nach einem Pressschlag im Laufweg von Stürmer Wout Weghorst landete, der mit der Coolness eines Jetzt-17-Tore-Mannes zum 2:0 traf.

Das sei "höchste Intensität" gewesen, lobte Glasner, "in meiner Fußball-Philosophie ist das ein perfektes Tor". Und es war kein Einzelfall: Schlager sowie sein Kollege im Mittelfeldzentrum, Maximilian Arnold, gehören zu den fünf Bundesliga-Spielern, die die meisten Bälle in der gegnerischen Hälfte erobern.

Glasner war "sehr, sehr zufrieden" mit seiner Mannschaft

Arnold wiederum war es, der in der achten Minute den ersten Treffer der Wolfsburger einleitete. Mit links zirkelte der Mittelfeldmann einen Freistoß mit viel Effet in den gegnerischen Strafraum, wo der Ball vom Kopf des VfL-Verteidigers Maxence Lacroix auf dem Kopf von Werder-Angreifer Josh Sargent landete - und dann im Tor.

"Ich bin sehr, sehr zufrieden, auch weil wir kaum eine klare Torchance zugelassen haben", sagte Glasner, der seiner Mannschaft vor allem in der zweiten Halbzeit einen dominanten Auftritt attestierte. Die VfL-Spieler verteidigten und attackierten mit all ihrer Körperlichkeit, wodurch die eigentlich ebenfalls sehr robusten Bremer im Kontrast bisweilen wie verzwergte Versionen ihrer selbst aussahen.

Werder-Trainer Florian Kohfeldt, auch ein bekennender Perfektionist, gratulierte der Gästemannschaft hinterher für ihre "Top-Leistung". Er wirkte sehr im Reinen mit sich und seinen Spielern. "Man muss auch mal ein bisschen Realismus an den Tag legen", fügte Kohfeldt an, "die haben gefühlt ein Spiel in den letzten 37 Jahren verloren." Die letzte Wolfsburger Niederlage war zwar vor gerade mal zwei Wochen, beim 1:2 in Hoffenheim - aber angesichts des Auftritts am Samstag wirkt das tatsächlich wie sehr lange her.

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