Wolfsburg bleibt Tabellenführer:Rollenmodell Bochum

Lesezeit: 2 min

Trotz der Tabellenführung glaubt der VfL Wolfsburg nicht daran, eine Spitzenmannschaft zu sein. Trotz aller Bescheidenheit schwebt den Niedersachsen aber vor, ähnlich stark wie der VfL Bochum im vergangenen Jahr aufzutrumpfen - zum Ärger der Gegner.

Von Javier Cáceres

Dimitrios Grammozis, 26 und Profi beim 1.FC Kaiserslautern, ist in Wuppertal geboren worden und hat das Fußballspielen in Velbert erlernt, genauer: beim TuS Neviges. In Situationen außerordentlicher emotionaler Belastung scheint er aber dazu zu neigen, die Sprache der griechischen Eltern zu strapazieren, so auch am Samstag.

Sekunden nur nachdem Diego Klimowicz, argentinischer Stürmer, in der 92. Minute den 2:1-Siegtreffer für den VfL Wolfsburg erzielt und so dafür gesorgt hatte, dass die VW-Filiale eine weitere Woche an der Spitze der Tabelle bleibt, trippelte Grammozis in die Kabine und ließ, derweil er die Festigkeit der gläsernen Stadiontüren einer handfesten Prüfung unterzog, eine hinreißende Kaskade an Flüchen los.

Nur allzu gerne hätte man erfahren, wie viele (und vor allem: wessen) Mütter dieser Erde er verwünscht hatte, leider stand er für Auskünfte nicht mehr zur Verfügung. Wohl aber sein Vorgesetzter Kurt Jara. Der sagte: "Wenn wir so weiter spielen, braucht uns für die Zukunft nicht bange zu sein."

Dank an die Fans

Als Indiz für seine Überlegung führte Jara an, dass seine Elf bei einer "absoluten Spitzenmannschaft" 90 Minuten lang ein Remis gehalten habe. Eine im Lichte des Spiels derart verfehlte Einschätzung, dass sogar die politisch korrekte Antwort von Wolfsburgs Trainer Erik Gerets ("Das macht mich ein wenig sprachlos") nach echter Verwunderung klang. Eine Spitzenmannschaft, so belehrte der frühere FCK-Trainer seinen Erben, sei der VfL aufgrund seiner gruppendynamischen Prozesse - fußballerisch hingegen "leider noch nicht".

In der zweiten Halbzeit beging Wolfsburg sogar vergessen geglaubte Sünden der Vergangenheit; derart weit standen die Linien auseinander, dass sich die Pfälzer des Ausgleichs durch Jancker nicht schämen mussten. Und da es nicht einfach war, stichhaltige Gründe für den Triumph zu benennen, hätschelte Gerets die Reservisten, vor allem aber auch die 18000 Wolfsburger Fans für ihren Kampfgeist: "Ohne sie hätten wir das Tor nicht mehr erzielt."

Überhaupt scheinen die Wolfsburger gegen manische Episoden gefeit zu sein, noch immer empfinden sie die Tabellenführung als Anekdote. Gewiss, man habe "einer anderen Art von Druck standgehalten" und die vollends neue Erfahrung gemacht, sich als Tabellenführer zu behaupten, sagte etwa Klimowicz: "Das muss man auch auskosten."

Das Rollenmodell, das die Wolfsburger im Sinn haben, sei aber nicht Werder Bremen, sondern der VfL Bochum: "Die haben sich vergangenes Jahr auch oben festsetzen können." Allerdings ist es kein geringfügiges Detail, dass Wolfsburg den fünften Saisonsieg ohne etatmäßiges Mittelfeld errang: Hristov (Knieoperation) stand schon vorher als Ausfall fest, Thiam und D'Alessandro mussten nach 30 Minuten verletzt ausgewechselt werden. Der Los-Lobos-Frontmann verließ den Platz "vorsichtshalber", die Adduktoren zwickten.

Man hätte auch Verständnis haben können, wenn er vor Lauterns Riedl geflohen wäre; der interpretierte die Manndeckung gewalttätig und bearbeitete die Knöchel des Argentiniers wie Grammozis später die Türen. D'Alessandro zuckte die Achseln: "Mich stört, wenn kein Ball in der Nähe ist."

© Süddeutsche Zeitung vom 27.9.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: