Klaus Wolfermann:Ein Zug, dass es nur so rauscht

imago 0010590315

Olympiasieger 1972 in München: Klaus Wolfermann.

(Foto: imago sportfotodienst; Sven Simon/imago sportfotodienst)

Klaus Wolfermann gewann bei den Olympischen Spielen 1972 in München Gold, später warf er Weltrekord. Heute feiert er seinen 75. Geburtstag und erinnert sich daran, dass er zunächst gar nicht als richtiger Speerwerfer galt.

Von Joachim Mölter

Zu den großen, wenn auch kaum bekannten Experten-Irrtümern der Leichtathletik-Geschichte gehört eine Einschätzung des polnischen Speerwerfers Janusz Sidlo. Der war in den Fünfziger- und Sechzigerjahren eine Größe in seiner Branche, Europameister, Weltrekordler, Olympia-Zweiter. Und von dieser hohen Warte aus erschien ihm ein aufstrebender Junior aus Deutschland vermutlich noch kleiner als dieser tatsächlich war. Jedenfalls ließ Altmeister Sidlo den jungen Mann bei einem Treffen anno 1967 in Paris wissen, dass er ja ganz gut sei - aber ein richtiger Speerwerfer sei er nicht.

Sechs Jahre später war der junge Mann Olympiasieger und Weltrekordler.

Klaus Wolfermann hat nicht vergessen, was Sidlo einst zu ihm gesagt hat. Er erzählt die Anekdote noch heute gern, gerade in diesen Tagen, in denen er wieder oft auf früher angesprochen wird: Am Mittwoch feiert er seinen 75. Geburtstag.

Zeitgenössischen Berichterstattern erschien Wolfermann eher wie ein "Meister im Minigolf"

Zu Sidlos Ehrenrettung sei gesagt, dass Wolfermann tatsächlich kein typischer Speerwerfer war, also schlank, groß gewachsen, mit langen Armen und somit optimalen Hebelverhältnissen. Sondern, wie er selbst sagt: "ein kleiner Gstumperter". Gedrungen, kompakt, bloß 176 Zentimeter zwischen Sohle und dem dergestalt übers Haupt drapierten Scheitel, dass er den zurückweichenden Haaransatz kaschierte. Des weiteren tarnte und täuschte er mit einem schwarzen Vollbart. Zeitgenössischen Berichterstattern erschien Klaus Wolfermann eher wie der "Sparkassenbeamte im Ort" oder ein "Meister im Minigolf". So erinnerte sich zumindest der Laudator, als der Athlet vor zehn Jahren in die Ruhmeshalle des deutschen Sports aufgenommen wurde.

Dem Bild, das man sich gemeinhin von einem Olympia-Helden macht, entsprach Klaus Wolfermann also genauso wenig wie dem des idealen Speerwerfers. Und dennoch verbindet man ihn mit den Spielen von 1972 wie nur wenige andere. "Wenn die Sprache auf München kommt, werden immer drei Namen genannt", sagt er: "Heide Rosendahl, Ulrike Meyfarth und meiner. Darauf bin ich stolz."

Heide Rosendahl hatte damals zum Auftakt der Leichtathletik-Wettkämpfe den Weitsprung gewonnen, und die erst 16 Jahre alte Ulrike Meyfarth war später am höchsten über die Latte gefloppt, getragen vermutlich immer noch von einer Begeisterungswelle, die Klaus Wolfermann tags zuvor ausgelöst hatte - am 3. September 1972, der als "goldener Sonntag" in die Geschichte der westdeutschen Leichtathletik einging. Drei olympische Goldmedaillen an einem Tag haben selbst die DDR-Athleten nur bei den vom Westen boykottierten Spielen von 1980 in Moskau einmal übertroffen.

Rust Germany May 06 2019 Eagles Charity Golf Cup at Europapark with Olympic Athlete Klaus Wolfe; imago 0091147546

Klaus Wolfermann nutzt seine Auftritte auf dem roten Teppich heute vor allem, um für seine sozialen Projekte zu werben.

(Foto: Mandoga Media/Imago)

Wolfermann läutete jenen goldenen Sonntag also ein, nach seinem Sieg folgten binnen einer Stunde die 800-Meter-Läuferin Hildegard Falck und der im Januar verstorbene 50-Kilometer-Geher Bernd Kannenberg. Die waren freilich ebenso wie zuvor Rosendahl als Weltrekordler angetreten, Wolfermanns Erfolg hingegen kam überraschend, auch für ihn. "Ich hatte nicht daran gedacht, dass Janis Lusis zu schlagen ist", erzählt er.

Der für die Sowjetunion startende Lette war zwischen 1962 und 1971 viermal nacheinander Europameister gewesen und dazu 1968 Olympiasieger; kurz vor den Münchner Spielen hatte er den Weltrekord verbessert, auf 93,80 Meter. Es gab kaum einen größeren Favoriten in München als Lusis, und der 33-Jährige setzte dementsprechend gleich die Maßstäbe - 88,88 Meter im ersten Durchgang, 89,54 im dritten.

Den Wumms im Arm hat er von seinem Vater, einem Schmied aus Franken

Klaus Wolfermann mag zwar gstumpert gewesen sein, aber er war schnell, und er hatte "einen Zug, dass es nur so rauscht", erinnert sich ein Zeitzeuge. Den Wumms im Arm hatte Wolfermann von seinem Vater, einem Schmied aus Altdorf bei Nürnberg; die passende Technik hatte ihm sein Trainer beigebracht, der aus Landshut stammende Sportwissenschaftler Hermann Rieder. Alles, was er hatte und wusste, bündelte Wolfermann in seinem fünften Versuch - der Speer flog und flog und landete erst nach 90,48 Metern.

Doch Janis Lusis hatte noch eine Chance, und er hatte schon in Mexiko-Stadt mit seinem letzten Wurf gewonnen; auch diesmal sollte es sein bester werden. Der Speer kam jenseits der 90-Meter-Markierung auf, 80 000 Menschen im Olympiastadion hielten den Atem an. Als dann auf der Anzeigetafel das Ergebnis aufleuchtete - 90,46 -, brach unbeschreiblicher Jubel aus. Klaus Wolfermann war ja quasi Lokalmatador, er hatte zwei Jahre das Trikot des TSV 1860 München getragen, ehe er zum SV Gendorf wechselte, wo er eine Stelle als Sportlehrer bekommen hatte. Bei den Münchner Spielen war er der einzige Olympiasieger aus einem oberbayerischen Verein.

Über diesen Erfolg war Wolfermann derart verblüfft, dass er sich erst einmal bei seinem Rivalen dafür entschuldigte, ihm das sicher geglaubte Gold weggeschnappt zu haben. Das hinderte den Letten nicht, eine lebenslange Freundschaft mit seinem Bezwinger zu knüpfen. Und es hinderte Wolfermann nicht, Lusis auch noch den Weltrekord abzunehmen, mit einer Steigerung auf 94,08 Meter im Mai 1973.

Olympiasieg und Weltrekord reichten, um Klaus Wolfermann 1972 und 1973 zu Deutschlands Sportler des Jahres zu küren. Bis heute zehrt er vom damaligen Ruhm, er setzt ihn vor allem gewinnbringend für andere ein. Seit Jahren engagiert er sich für soziale Projekte, in erster Linie für die Kinderhilfe Organtransplantation. Sein Vater hat ihm nicht nur das körperliche Talent mit auf den Lebensweg gegeben, sondern auch ein soziales Gespür. In Altdorf gab und gibt es eine Einrichtung für Körperbehinderte, das Wichernhaus. "Da haben wir früher öfter mal Kinder im Rollstuhl durch den Ort gefahren, damit sie eine Freude haben", erzählt Wolfermann. Das hat er genauso wenig vergessen wie die Worte von Janusz Sidlo.

Zur SZ-Startseite
Bernd Kannenberg (BR Deutschland) - Olympiasieger 1972 über 50km Gehen; Bernd Kannenberg

München 1972
:Olympiasieger Bernd Kannenberg ist tot

Geher Bernd Kannenberg feierte 1972 in München überraschend die Gold-Medaille. Nun ist er im Alter von 78 Jahren gestorben.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: