WM 2010:Verdrängtes Virus

Weil der Weltfußballverband Fifa und die südafrikanische Regierung die WM und ihren Gastgeber nur von der Sonnenseite her präsentieren wollen, bleibt im Land mit der höchsten Infektionsrate das Thema Aids tabu.

Daniel Theweleit

Lutz van Dijk ist ein Tabubrecher. Der Deutsch-Niederländer ist Mitbegründer von Hokisa - Homes for Kids, einer südafrikanischen Stiftung, die Kinder aufnimmt, deren Eltern an Aids gestorben oder so krank sind, dass sie sich nicht mehr kümmern können. Und van Dijk ist ein Fußballfan, der glaubt, dass die Größe und der Zauber dieses Sports viel beitragen könnte zum Kampf gegen Aids. Könnte. Denn wie in fast allen Winkeln der südafrikanischen Gesellschaft ist die Krankheit auch unter Fußballern ein Tabu. In seinem Roman hat van Dijk das geändert.

Nike Soccer School in Soweto-FIFA World Cup

Beitrag zur Aufklärung: Der brasilianische Fußballer Alexandre Pato bei der Eröffnung eines Trainingszentrum in Soweto, in dem junge Fußballer auch auf die Gefahren des HI-Virus vorbereitet werden sollen.

(Foto: Getty Images)

Die Geschichte von "Themba", die gerade verfilmt wurde, und am 5. August in die deutschen Kinos kommt, erzählt von einem talentierten Spieler, der von einem Scout entdeckt wird. Jens Lehmann spielt diese Rolle in dem Film, und mit der Hilfe dieses Mannes macht Themba, der aus zerrütteten Verhältnissen kommt, Karriere. Er wird Nationalspieler und schießt in seinem ersten Länderspiel ein wichtiges Tor. Danach erklärt er öffentlich, dass er HIV-positiv ist. Das ist eine Sensation für Südafrika.

Halbherzige Kampagnen

Van Dijk sagt, man müsse "absolut davon ausgehen", dass auch in der echten südafrikanischen Mannschaft, die bei der WM in der Vorrunde ausgeschieden ist, infizierte Fußballer spielen. "Es gab auch verschiedene Gerüchte", erzählt er; dass einer der Profis öffentlich darüber spricht, bleibt aber Fiktion. "Leider", findet van Dijk. Denn ein solcher Schritt würde den Kampf gegen die Krankheit wahrscheinlich stärker beflügeln als die vielen, oft halbherzigen Aufklärungskampagnen. "Wenn bekannte Sportler und andere Prominente öffentlich erklären, dass sie infiziert sind, würde das hier entscheidend helfen, dass Menschen nicht nur über die anderen, die Unbekannten sprechen", sagt van Dijk.

Die Menschen neigen dazu, Aids zu verdrängen, das hat sich auch bei dieser WM gezeigt, die von vielen Aktivisten als große Chance begriffen wurde. Allein in Südafrika sterben täglich 1000 Menschen an den Folgen der Krankheit, jeden Tag stecken sich 2000 neu an, "das alles sind überwiegend junge Leute", sagt van Dijk, "in den meisten europäischen Ländern würden solche Zahlen zum Aufstand führen". Südafrika ist das Land mit der weltweit höchsten Infektionsrate, 18 bis 20 Prozent der Bevölkerung tragen das Virus in ihren Körpern.

Dennoch hat sich die Fifa nur zögerlich dazu durchgerungen, das Verteilen von Kondomen und Informationsmaterial im Stadion zuzulassen. "Darauf haben wir lange gewartet", sagt Mark Heywood, der Vizevorsitzende des südafrikanischen Aids-Rates Sanac. Wirklich präsent sind die Aktivisten aber nicht im Umfeld der Spiele. In Rustenburg etwa ist irgendwo am Straßenrand, zwei Kilometer vor dem Stadion, ein kleiner Informationsstand aufgebaut, die Massen werden so nicht erreicht.

Aids passt nicht ins Konzept

Letztlich reagiert die Fifa genau wie die Südafrikaner, die die Krankheit am liebsten aus der Realität verdrängen würden. Der Fußball-Weltverband und die südafrikanische Regierung wollen das Turnier und das Land des Gastgebers, "nur von der Sonnenseite her präsentieren", sagt van Dijk, der das zwar "verständlich, aber problematisch" findet. Aids passt natürlich überhaupt nicht ins Konzept der PR-Strategen, die das Image Afrikas erneuern wollen "Viele Probleme, nicht nur HIV und Aids, werden derzeit unter den Teppich gekehrt, hier ticken mehrere Zeitbomben, die nach dem Ende der WM leicht hochgehen können", sagt van Dijk.

Wie schlecht informiert Teile der Bevölkerung sind, zeigt eine Episode aus dem Leben von Jacob Zuma. Südafrikas Präsident wurde 2006 verdächtigt, eine Frau vergewaltigt zu haben, und gab in der Gerichtsverhandlung an, dass er sich nach ungeschütztem Geschlechtsverkehr mit einer HIV-positiven Frau mit einer Dusche vor einer Ansteckung schützen wollte. Immerhin hat er sich irgendwann für diese Behauptung entschuldigt. Und als Peter Mokaba, ein führendes Mitglied der Regierungspartei ANC, an Aids starb, wurde eine Lungenentzündung vorgeschoben; Mokaba hatte behauptet, die Existenz des HI-Virus sei nicht erwiesen, Pharmakonzerne wollten Südafrikaner nur "vergiften". Solche Geschichten machen deutlich, welch seltsame Gerüchte kursieren.

"Themba", der Film, der in Südafrika unmittelbar nach dem Ende der WM in die Kinos kommt, soll einen Beitrag zur Aufklärungsarbeit leisten. Und vielleicht lässt sich von der Geschichte irgendwann auch ein echter Nationalspieler inspirieren und erzählt der Welt, dass er HIV-positiv ist.

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